Der Garantiefall ist gemeinsam von denselben zu prüfen und so weit es nöthig und thunlich erscheint, gemeinsame Hülfe oder Abhülfe zu gewähren. Können sich die Garanten nicht unter einander verständigen, so ist jeder Einzelne berechtigt und bona fide verpflichtet, nach seinem Ermessen dem Vertrag Folge zu geben.
Die Collectivgarantie findet sich öfter, wenn ein völkerrechtlicher Zu- stand durch dieselbe geschützt werden soll, z. B. zum Schutz der Neutralisirung eines Gebiets (Garantiebeschluß) als zur Verstärkung einer andern Hauptverpflichtung (Bürgschaftsgarantie), es widerstreitet aber der bona fides, derselben nur eine moralische Bedeutung deßhalb beizulegen, weil es schwierig sei, die Einstimmigkeit zu erzielen, und jeder einzelne Garant, zufolge seiner Souveränetät, die Macht habe, durch seinen Widerspruch eine gemeinsame Action zu verhindern. So unsicher die völkerrechtlichen Verpflichtungen sind, so darf ihre rechtliche Verbindlichkeit doch nicht verkannt werden. Die Garanten, welche den garantirten Zustand, z. B. die angefochtene Neutralität von Belgien nicht wider den Angreifer vertheidigen, obwohl sie das sollen und können, erfüllen ihr Versprechen nicht und handeln inso- fern rechtswidrig. Insoweit ein gemeinsames Interesse der Collectiv- garantie zu Grunde liegt, haben auch alle Betheiligten ein Recht, die andern Theilnehmer zur Ausübung ihres Rechts und zur Erfüllung ihrer Pflicht zu mahnen. Vgl. die Erörterungen über den Garantiebeschluß der Londoner Conferenz von 1867 über die Neutralität des Großherzogthums Luxemburg.
441.
Wenn ein Stat für die Verbindlichkeiten eines andern States als Bürge eintritt, so verpflichtet er sich, selber für den andern Stat die Lei- stung zu erfüllen, wenn dieser in der Erfüllung seiner Vertragspflicht sich säumig erweist.
Der Garant ist von dem eigentlichen Bürgen zu unterscheiden. Jener verbindet sich, die verpflichtete Hauptpartei zur Erfüllung anzuhalten, beziehungsweise den Be- rechtigten in der Durchführung seiner Forderung zu unterstützen. Dieser dagegen ist verpflichtet, selber subsidiär oder unter Umständen sogar gleichzeitig neben dem Hauptverpflichteten anstatt desselben die Leistung zu erfüllen. Die Bürgschaft kann eine privatrechtliche sein, wenn sie sich auf Bezahlung einer Geldschuld bezieht, sie kann aber auch öffentlich-rechtlich sein, in dem sie sich auf einen öffentlich-recht- lichen Inhalt bezieht.
Völkerrechtliche Verträge.
Der Garantiefall iſt gemeinſam von denſelben zu prüfen und ſo weit es nöthig und thunlich erſcheint, gemeinſame Hülfe oder Abhülfe zu gewähren. Können ſich die Garanten nicht unter einander verſtändigen, ſo iſt jeder Einzelne berechtigt und bona fide verpflichtet, nach ſeinem Ermeſſen dem Vertrag Folge zu geben.
Die Collectivgarantie findet ſich öfter, wenn ein völkerrechtlicher Zu- ſtand durch dieſelbe geſchützt werden ſoll, z. B. zum Schutz der Neutraliſirung eines Gebiets (Garantiebeſchluß) als zur Verſtärkung einer andern Hauptverpflichtung (Bürgſchaftsgarantie), es widerſtreitet aber der bona fides, derſelben nur eine moraliſche Bedeutung deßhalb beizulegen, weil es ſchwierig ſei, die Einſtimmigkeit zu erzielen, und jeder einzelne Garant, zufolge ſeiner Souveränetät, die Macht habe, durch ſeinen Widerſpruch eine gemeinſame Action zu verhindern. So unſicher die völkerrechtlichen Verpflichtungen ſind, ſo darf ihre rechtliche Verbindlichkeit doch nicht verkannt werden. Die Garanten, welche den garantirten Zuſtand, z. B. die angefochtene Neutralität von Belgien nicht wider den Angreifer vertheidigen, obwohl ſie das ſollen und können, erfüllen ihr Verſprechen nicht und handeln inſo- fern rechtswidrig. Inſoweit ein gemeinſames Intereſſe der Collectiv- garantie zu Grunde liegt, haben auch alle Betheiligten ein Recht, die andern Theilnehmer zur Ausübung ihres Rechts und zur Erfüllung ihrer Pflicht zu mahnen. Vgl. die Erörterungen über den Garantiebeſchluß der Londoner Conferenz von 1867 über die Neutralität des Großherzogthums Luxemburg.
441.
Wenn ein Stat für die Verbindlichkeiten eines andern States als Bürge eintritt, ſo verpflichtet er ſich, ſelber für den andern Stat die Lei- ſtung zu erfüllen, wenn dieſer in der Erfüllung ſeiner Vertragspflicht ſich ſäumig erweist.
Der Garant iſt von dem eigentlichen Bürgen zu unterſcheiden. Jener verbindet ſich, die verpflichtete Hauptpartei zur Erfüllung anzuhalten, beziehungsweiſe den Be- rechtigten in der Durchführung ſeiner Forderung zu unterſtützen. Dieſer dagegen iſt verpflichtet, ſelber ſubſidiär oder unter Umſtänden ſogar gleichzeitig neben dem Hauptverpflichteten anſtatt desſelben die Leiſtung zu erfüllen. Die Bürgſchaft kann eine privatrechtliche ſein, wenn ſie ſich auf Bezahlung einer Geldſchuld bezieht, ſie kann aber auch öffentlich-rechtlich ſein, in dem ſie ſich auf einen öffentlich-recht- lichen Inhalt bezieht.
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Völkerrechtliche Verträge.
Der Garantiefall iſt gemeinſam von denſelben zu prüfen und ſo weit es
nöthig und thunlich erſcheint, gemeinſame Hülfe oder Abhülfe zu gewähren.
Können ſich die Garanten nicht unter einander verſtändigen, ſo iſt jeder
Einzelne berechtigt und bona fide verpflichtet, nach ſeinem Ermeſſen dem
Vertrag Folge zu geben.
Die Collectivgarantie findet ſich öfter, wenn ein völkerrechtlicher Zu-
ſtand durch dieſelbe geſchützt werden ſoll, z. B. zum Schutz der Neutraliſirung eines
Gebiets (Garantiebeſchluß) als zur Verſtärkung einer andern Hauptverpflichtung
(Bürgſchaftsgarantie), es widerſtreitet aber der bona fides, derſelben nur eine
moraliſche Bedeutung deßhalb beizulegen, weil es ſchwierig ſei, die Einſtimmigkeit
zu erzielen, und jeder einzelne Garant, zufolge ſeiner Souveränetät, die Macht habe,
durch ſeinen Widerſpruch eine gemeinſame Action zu verhindern. So unſicher die
völkerrechtlichen Verpflichtungen ſind, ſo darf ihre rechtliche Verbindlichkeit doch
nicht verkannt werden. Die Garanten, welche den garantirten Zuſtand, z. B. die
angefochtene Neutralität von Belgien nicht wider den Angreifer vertheidigen, obwohl
ſie das ſollen und können, erfüllen ihr Verſprechen nicht und handeln inſo-
fern rechtswidrig. Inſoweit ein gemeinſames Intereſſe der Collectiv-
garantie zu Grunde liegt, haben auch alle Betheiligten ein Recht, die andern
Theilnehmer zur Ausübung ihres Rechts und zur Erfüllung ihrer Pflicht zu mahnen.
Vgl. die Erörterungen über den Garantiebeſchluß der Londoner Conferenz von 1867
über die Neutralität des Großherzogthums Luxemburg.
441.
Wenn ein Stat für die Verbindlichkeiten eines andern States als
Bürge eintritt, ſo verpflichtet er ſich, ſelber für den andern Stat die Lei-
ſtung zu erfüllen, wenn dieſer in der Erfüllung ſeiner Vertragspflicht ſich
ſäumig erweist.
Der Garant iſt von dem eigentlichen Bürgen zu unterſcheiden. Jener verbindet
ſich, die verpflichtete Hauptpartei zur Erfüllung anzuhalten, beziehungsweiſe den Be-
rechtigten in der Durchführung ſeiner Forderung zu unterſtützen. Dieſer dagegen iſt
verpflichtet, ſelber ſubſidiär oder unter Umſtänden ſogar gleichzeitig neben
dem Hauptverpflichteten anſtatt desſelben die Leiſtung zu erfüllen. Die Bürgſchaft
kann eine privatrechtliche ſein, wenn ſie ſich auf Bezahlung einer Geldſchuld bezieht,
ſie kann aber auch öffentlich-rechtlich ſein, in dem ſie ſich auf einen öffentlich-recht-
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/269>, abgerufen am 27.11.2024.
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