Wird zur Verstärkung einer Vertragsverbindlichkeit ein öffentlich-recht- liches Unterpfand gegeben, indem dem berechtigten Stat die Besitznahme eines Platzes oder andern Gebietstheiles zur Sicherung eingeräumt wird, so dauert das Recht dieses Besitzes so lange fort, bis der Vertrag voll- zogen oder in anderer befriedigender Weise für den Vollzug gesorgt ist. Geht die Aussicht auf Vertragserfüllung gänzlich unter, so wird ange- nommen, die ursprünglich bloß pfandweise übertragene Gebietshoheit werde zu dauerndem und nun eigenem Rechte der Statsgewalt, welche das Gebiet thatsächlich besitzt.
Nur von der öffentlich-rechtlichen Verpfändung der Gebiets- hoheit ist hier die Rede. Auch sie kam früher öfter vor, als heute; im Mittelalter freilich nach Analogie der privatrechtlichen Verpfändung des Grundeigenthums, in Form der Satzung und nicht selten zur Sicherung für Geldschulden des verpfän- denden Stats. Manche Gebietserweiterungen, besonders der Städtestaten des Mittel- alters sind so begründet und erreicht worden, daß denselben benachbarte Herrschaften verpfändet und nicht wieder gelöst wurden. Das heutige Recht unterscheidet schärfer zwischen der statlichen Verpfändung eines Gebiets und der privatrechtlichen Hypothek. Die Entstehungsform -- dort Statenvertrag, hier Fertigung im Grund- buch --, der Inhalt -- dort Besitz der Gebietshoheit, hier Sachenbesitz -- und die Wirkungen -- dort im Nothfall Aneignung, hier gerichtliche Versteigerung oder Zusprechung -- sind verschieden.
429.
Die gewaltsame Pfandnahme fremden Statsgebietes, zur Sicherung für völkerrechtliche Forderungen an den Stat, dem dieses Gebiet zugehört, ist nur unter denselben Voraussetzungen gestattet, unter denen der Krieg gerechtfertigt ist, es wäre denn, daß dem Pfand nehmenden State die Oberhoheit zustände über den bepfändeten Stat.
Wenn sich der bepfändete Stat widersetzt, so ist der Krieg offenbar; wenn nicht, so kann die Pfandnahme immer noch als Selbsthülfe im Frieden betrachtet werden. Aber sie erscheint so sehr in Form der Gewalt über fremdes Gebiet, daß das Völkerrecht dieselbe nicht als regelmäßiges Executionsmittel billigen kann, sondern nur dann, wenn es auch die gewaltsame Selbsthülfe im Krieg zulassen müßte.
430.
Die Erfüllung eines Vertrags kann auch im Ganzen oder in ein-
Sechstes Buch.
428.
Wird zur Verſtärkung einer Vertragsverbindlichkeit ein öffentlich-recht- liches Unterpfand gegeben, indem dem berechtigten Stat die Beſitznahme eines Platzes oder andern Gebietstheiles zur Sicherung eingeräumt wird, ſo dauert das Recht dieſes Beſitzes ſo lange fort, bis der Vertrag voll- zogen oder in anderer befriedigender Weiſe für den Vollzug geſorgt iſt. Geht die Ausſicht auf Vertragserfüllung gänzlich unter, ſo wird ange- nommen, die urſprünglich bloß pfandweiſe übertragene Gebietshoheit werde zu dauerndem und nun eigenem Rechte der Statsgewalt, welche das Gebiet thatſächlich beſitzt.
Nur von der öffentlich-rechtlichen Verpfändung der Gebiets- hoheit iſt hier die Rede. Auch ſie kam früher öfter vor, als heute; im Mittelalter freilich nach Analogie der privatrechtlichen Verpfändung des Grundeigenthums, in Form der Satzung und nicht ſelten zur Sicherung für Geldſchulden des verpfän- denden Stats. Manche Gebietserweiterungen, beſonders der Städteſtaten des Mittel- alters ſind ſo begründet und erreicht worden, daß denſelben benachbarte Herrſchaften verpfändet und nicht wieder gelöst wurden. Das heutige Recht unterſcheidet ſchärfer zwiſchen der ſtatlichen Verpfändung eines Gebiets und der privatrechtlichen Hypothek. Die Entſtehungsform — dort Statenvertrag, hier Fertigung im Grund- buch —, der Inhalt — dort Beſitz der Gebietshoheit, hier Sachenbeſitz — und die Wirkungen — dort im Nothfall Aneignung, hier gerichtliche Verſteigerung oder Zuſprechung — ſind verſchieden.
429.
Die gewaltſame Pfandnahme fremden Statsgebietes, zur Sicherung für völkerrechtliche Forderungen an den Stat, dem dieſes Gebiet zugehört, iſt nur unter denſelben Vorausſetzungen geſtattet, unter denen der Krieg gerechtfertigt iſt, es wäre denn, daß dem Pfand nehmenden State die Oberhoheit zuſtände über den bepfändeten Stat.
Wenn ſich der bepfändete Stat widerſetzt, ſo iſt der Krieg offenbar; wenn nicht, ſo kann die Pfandnahme immer noch als Selbſthülfe im Frieden betrachtet werden. Aber ſie erſcheint ſo ſehr in Form der Gewalt über fremdes Gebiet, daß das Völkerrecht dieſelbe nicht als regelmäßiges Executionsmittel billigen kann, ſondern nur dann, wenn es auch die gewaltſame Selbſthülfe im Krieg zulaſſen müßte.
430.
Die Erfüllung eines Vertrags kann auch im Ganzen oder in ein-
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Sechstes Buch.
428.
Wird zur Verſtärkung einer Vertragsverbindlichkeit ein öffentlich-recht-
liches Unterpfand gegeben, indem dem berechtigten Stat die Beſitznahme
eines Platzes oder andern Gebietstheiles zur Sicherung eingeräumt wird,
ſo dauert das Recht dieſes Beſitzes ſo lange fort, bis der Vertrag voll-
zogen oder in anderer befriedigender Weiſe für den Vollzug geſorgt iſt.
Geht die Ausſicht auf Vertragserfüllung gänzlich unter, ſo wird ange-
nommen, die urſprünglich bloß pfandweiſe übertragene Gebietshoheit werde
zu dauerndem und nun eigenem Rechte der Statsgewalt, welche das
Gebiet thatſächlich beſitzt.
Nur von der öffentlich-rechtlichen Verpfändung der Gebiets-
hoheit iſt hier die Rede. Auch ſie kam früher öfter vor, als heute; im Mittelalter
freilich nach Analogie der privatrechtlichen Verpfändung des Grundeigenthums,
in Form der Satzung und nicht ſelten zur Sicherung für Geldſchulden des verpfän-
denden Stats. Manche Gebietserweiterungen, beſonders der Städteſtaten des Mittel-
alters ſind ſo begründet und erreicht worden, daß denſelben benachbarte Herrſchaften
verpfändet und nicht wieder gelöst wurden. Das heutige Recht unterſcheidet ſchärfer
zwiſchen der ſtatlichen Verpfändung eines Gebiets und der privatrechtlichen Hypothek.
Die Entſtehungsform — dort Statenvertrag, hier Fertigung im Grund-
buch —, der Inhalt — dort Beſitz der Gebietshoheit, hier Sachenbeſitz
— und die Wirkungen — dort im Nothfall Aneignung, hier gerichtliche
Verſteigerung oder Zuſprechung — ſind verſchieden.
429.
Die gewaltſame Pfandnahme fremden Statsgebietes, zur Sicherung
für völkerrechtliche Forderungen an den Stat, dem dieſes Gebiet zugehört,
iſt nur unter denſelben Vorausſetzungen geſtattet, unter denen der Krieg
gerechtfertigt iſt, es wäre denn, daß dem Pfand nehmenden State die
Oberhoheit zuſtände über den bepfändeten Stat.
Wenn ſich der bepfändete Stat widerſetzt, ſo iſt der Krieg offenbar; wenn
nicht, ſo kann die Pfandnahme immer noch als Selbſthülfe im Frieden betrachtet
werden. Aber ſie erſcheint ſo ſehr in Form der Gewalt über fremdes Gebiet, daß das
Völkerrecht dieſelbe nicht als regelmäßiges Executionsmittel billigen kann, ſondern nur
dann, wenn es auch die gewaltſame Selbſthülfe im Krieg zulaſſen müßte.
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/264>, abgerufen am 21.11.2024.
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