mündlicher Verträge nicht aus; aber man wird, der Sitte gemäß, nicht geneigt sein dürfen, mündliche Verabredungen als bindende Verträge anzuerkennen und aus- zulegen. Die schriftliche Vertragsform ist gegenwärtig so allgemeine Uebung, daß eine Abweichung davon und die Ausnahme eines mündlich abgeschlossenen Ver- trags nur schwer Glauben findet und daher die vollständige Beweisführung schwie- rig wird.
Der Vorbehalt der nachfolgenden Ratification wird oft ausdrücklich gemacht und dann ist es klar, daß die Unterzeichnung noch nicht definitiv bindet. Aber derselbe kann auch aus den Umständen als wirkliche Meinung der unterzeich- nenden Vertreter geschlossen werden und wirkt dann ebenso. Die vorbehaltene Aus- wechslung der Vertragsurkunden bedeutet gewöhnlich wieder den Vorbehalt der Ratification, welche durch die Auswechslung der Urkunden erwiesen und voll- zogen wird.
420.
Die grundlose Verweigerung der Ratification kann zwar je nach Umständen als eine Verletzung der schicklichen Rücksichten betrachtet werden, das Vertrauen zu dem verweigernden State ernstlich erschüttern und die freundlichen Beziehungen gefährden, aber sie darf selbst dann nicht als ein Rechtsbruch erklärt werden, wenn der unterhandelnde Gesante innerhalb seiner Vollmacht gehandelt und gemäß seinen Instructionen unterzeichnet hat.
Einige ältere Publicisten behaupteten, die Ratification dürfe nicht versagt werden, wenn der Gesante seine Vollmacht gezeigt und seine Instructionen nicht überschritten habe. Sie beriefen sich dabei auf die Analogie des Privatrechts. Aber bei der großen Wichtigkeit dieser Statenverhältnisse und bei der thatsächlichen Nöthi- gung, den Gesanten allgemeine Vollmachten mitzugeben, damit sie zweckmäßig unter- handeln können, hat der Ratificationsvorbehalt doch den Sinn einer nochmaligen Prüfung.
421.
Wird die vorbehaltene Ratification ertheilt, so wird, abgesehen von andern Verabredungen, die Gültigkeit des Vertrags auf den Zeitpunkt der vorherigen Unterzeichnung des Schlußprotokolls durch die Gesanten oder Agenten der contrahirenden Staten zurückgeführt.
Diese Regel entspricht der Völkersitte. Sie hat aber auch einen natürlichen Grund darin, daß durch die erste Unterzeichnung alle Verhältnisse gleichzeitig geord- net werden, und die spätere, an verschiedenen Tagen nachfolgende Ratification nur
Völkerrechtliche Verträge.
mündlicher Verträge nicht aus; aber man wird, der Sitte gemäß, nicht geneigt ſein dürfen, mündliche Verabredungen als bindende Verträge anzuerkennen und aus- zulegen. Die ſchriftliche Vertragsform iſt gegenwärtig ſo allgemeine Uebung, daß eine Abweichung davon und die Ausnahme eines mündlich abgeſchloſſenen Ver- trags nur ſchwer Glauben findet und daher die vollſtändige Beweisführung ſchwie- rig wird.
Der Vorbehalt der nachfolgenden Ratification wird oft ausdrücklich gemacht und dann iſt es klar, daß die Unterzeichnung noch nicht definitiv bindet. Aber derſelbe kann auch aus den Umſtänden als wirkliche Meinung der unterzeich- nenden Vertreter geſchloſſen werden und wirkt dann ebenſo. Die vorbehaltene Aus- wechslung der Vertragsurkunden bedeutet gewöhnlich wieder den Vorbehalt der Ratification, welche durch die Auswechslung der Urkunden erwieſen und voll- zogen wird.
420.
Die grundloſe Verweigerung der Ratification kann zwar je nach Umſtänden als eine Verletzung der ſchicklichen Rückſichten betrachtet werden, das Vertrauen zu dem verweigernden State ernſtlich erſchüttern und die freundlichen Beziehungen gefährden, aber ſie darf ſelbſt dann nicht als ein Rechtsbruch erklärt werden, wenn der unterhandelnde Geſante innerhalb ſeiner Vollmacht gehandelt und gemäß ſeinen Inſtructionen unterzeichnet hat.
Einige ältere Publiciſten behaupteten, die Ratification dürfe nicht verſagt werden, wenn der Geſante ſeine Vollmacht gezeigt und ſeine Inſtructionen nicht überſchritten habe. Sie beriefen ſich dabei auf die Analogie des Privatrechts. Aber bei der großen Wichtigkeit dieſer Statenverhältniſſe und bei der thatſächlichen Nöthi- gung, den Geſanten allgemeine Vollmachten mitzugeben, damit ſie zweckmäßig unter- handeln können, hat der Ratificationsvorbehalt doch den Sinn einer nochmaligen Prüfung.
421.
Wird die vorbehaltene Ratification ertheilt, ſo wird, abgeſehen von andern Verabredungen, die Gültigkeit des Vertrags auf den Zeitpunkt der vorherigen Unterzeichnung des Schlußprotokolls durch die Geſanten oder Agenten der contrahirenden Staten zurückgeführt.
Dieſe Regel entſpricht der Völkerſitte. Sie hat aber auch einen natürlichen Grund darin, daß durch die erſte Unterzeichnung alle Verhältniſſe gleichzeitig geord- net werden, und die ſpätere, an verſchiedenen Tagen nachfolgende Ratification nur
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Völkerrechtliche Verträge.
mündlicher Verträge nicht aus; aber man wird, der Sitte gemäß, nicht geneigt
ſein dürfen, mündliche Verabredungen als bindende Verträge anzuerkennen und aus-
zulegen. Die ſchriftliche Vertragsform iſt gegenwärtig ſo allgemeine Uebung,
daß eine Abweichung davon und die Ausnahme eines mündlich abgeſchloſſenen Ver-
trags nur ſchwer Glauben findet und daher die vollſtändige Beweisführung ſchwie-
rig wird.
Der Vorbehalt der nachfolgenden Ratification wird oft ausdrücklich
gemacht und dann iſt es klar, daß die Unterzeichnung noch nicht definitiv bindet.
Aber derſelbe kann auch aus den Umſtänden als wirkliche Meinung der unterzeich-
nenden Vertreter geſchloſſen werden und wirkt dann ebenſo. Die vorbehaltene Aus-
wechslung der Vertragsurkunden bedeutet gewöhnlich wieder den Vorbehalt
der Ratification, welche durch die Auswechslung der Urkunden erwieſen und voll-
zogen wird.
420.
Die grundloſe Verweigerung der Ratification kann zwar je nach
Umſtänden als eine Verletzung der ſchicklichen Rückſichten betrachtet werden,
das Vertrauen zu dem verweigernden State ernſtlich erſchüttern und die
freundlichen Beziehungen gefährden, aber ſie darf ſelbſt dann nicht als ein
Rechtsbruch erklärt werden, wenn der unterhandelnde Geſante innerhalb
ſeiner Vollmacht gehandelt und gemäß ſeinen Inſtructionen unterzeichnet
hat.
Einige ältere Publiciſten behaupteten, die Ratification dürfe nicht verſagt
werden, wenn der Geſante ſeine Vollmacht gezeigt und ſeine Inſtructionen nicht
überſchritten habe. Sie beriefen ſich dabei auf die Analogie des Privatrechts. Aber
bei der großen Wichtigkeit dieſer Statenverhältniſſe und bei der thatſächlichen Nöthi-
gung, den Geſanten allgemeine Vollmachten mitzugeben, damit ſie zweckmäßig unter-
handeln können, hat der Ratificationsvorbehalt doch den Sinn einer nochmaligen
Prüfung.
421.
Wird die vorbehaltene Ratification ertheilt, ſo wird, abgeſehen von
andern Verabredungen, die Gültigkeit des Vertrags auf den Zeitpunkt der
vorherigen Unterzeichnung des Schlußprotokolls durch die Geſanten oder
Agenten der contrahirenden Staten zurückgeführt.
Dieſe Regel entſpricht der Völkerſitte. Sie hat aber auch einen natürlichen
Grund darin, daß durch die erſte Unterzeichnung alle Verhältniſſe gleichzeitig geord-
net werden, und die ſpätere, an verſchiedenen Tagen nachfolgende Ratification nur
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/261>, abgerufen am 22.02.2025.
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