Es steht jedem State zu, die Bedingungen festzusetzen, unter welchen er fremden Flüchtlingen ein Asyl gewährt. Die Flüchtlinge selber haben keinen Rechtsanspruch auf Gewährung des Asyls gegen den fremden Stat.
Der Flüchtling kann sich nicht wie ein anderer Reisender auf das Recht des freien Verkehrs berufen, denn eine Grundbedingung dieses Rechts ist Unbeschol- tenheit der Reisenden. Kein Stat ist verpflichtet, Verbrecher oder eines Ver- brechens Angeklagte bei sich aufzunehmen und zu dulden, weil solche Fremde auch die Sicherheit seiner Bewohner oder unter Umständen des Stats selbst gefährden. Es gilt das auch von politischen Verbrechern. Aber wohl hat der Stat die moralische Pflicht, dabei nicht inhuman zu verfahren. Die Zurückweisung insbesondere von politischen Flüchtlingen oder gar ihre Auslieferung kann, selbst wenn sie keine Rechts- verletzung ist, doch eine tadelnswerthe Grausamkeit sein.
398.
Der Schutzstat, welcher das Asyl gewährt hat, ist auch, wenn das- selbe mißbraucht wird, berechtigt, und bei fortdauernder Gefahr für den befreundeten Heimatsstat des Flüchtlings auch verpflichtet, das Asyl zu entziehen oder insoweit zu beschränken, daß jene Gefahr beseitigt wird.
In mindern Fällen wird eine schärfere Aufsicht über den Flüchtling oder die Internirung desselben von der Grenze weg, ins Innere des Landes genügen, in schweren Fällen die Wegweisung in vorgeschriebener Richtung nöthig sein.
399.
Zur Auslieferung von Einheimischen an einen fremden Stat, in dessen Gebiet dieselben ein Verbrechen verübt haben, ist der Heimatsstat niemals verpflichtet.
Diese gegenwärtig auch von solchen Staten anerkannte Regel, welche eine Auslieferungspflicht bei gemeinen Verbrechen annehmen, macht freilich dann eine be- denkliche Lücke in das Strafrecht, wenn dieselben im Inlande nicht für ein auswärts begangenes Verbrechen zur Verantwortung gezogen werden können. Sie bleiben in diesem Falle straflos, obwohl die allgemeinen Rechtsgrundsätze eine Bestrafung ihres Verbrechens erfordern. Aber man zieht es vor, dem Individuum diesen Glücksfall zuzugestehen, als die Statsgenossen einer fremden Strafgerichts- barkeit zu überliefern.
Fünftes Buch.
397.
Es ſteht jedem State zu, die Bedingungen feſtzuſetzen, unter welchen er fremden Flüchtlingen ein Aſyl gewährt. Die Flüchtlinge ſelber haben keinen Rechtsanſpruch auf Gewährung des Aſyls gegen den fremden Stat.
Der Flüchtling kann ſich nicht wie ein anderer Reiſender auf das Recht des freien Verkehrs berufen, denn eine Grundbedingung dieſes Rechts iſt Unbeſchol- tenheit der Reiſenden. Kein Stat iſt verpflichtet, Verbrecher oder eines Ver- brechens Angeklagte bei ſich aufzunehmen und zu dulden, weil ſolche Fremde auch die Sicherheit ſeiner Bewohner oder unter Umſtänden des Stats ſelbſt gefährden. Es gilt das auch von politiſchen Verbrechern. Aber wohl hat der Stat die moraliſche Pflicht, dabei nicht inhuman zu verfahren. Die Zurückweiſung insbeſondere von politiſchen Flüchtlingen oder gar ihre Auslieferung kann, ſelbſt wenn ſie keine Rechts- verletzung iſt, doch eine tadelnswerthe Grauſamkeit ſein.
398.
Der Schutzſtat, welcher das Aſyl gewährt hat, iſt auch, wenn das- ſelbe mißbraucht wird, berechtigt, und bei fortdauernder Gefahr für den befreundeten Heimatsſtat des Flüchtlings auch verpflichtet, das Aſyl zu entziehen oder inſoweit zu beſchränken, daß jene Gefahr beſeitigt wird.
In mindern Fällen wird eine ſchärfere Aufſicht über den Flüchtling oder die Internirung desſelben von der Grenze weg, ins Innere des Landes genügen, in ſchweren Fällen die Wegweiſung in vorgeſchriebener Richtung nöthig ſein.
399.
Zur Auslieferung von Einheimiſchen an einen fremden Stat, in deſſen Gebiet dieſelben ein Verbrechen verübt haben, iſt der Heimatsſtat niemals verpflichtet.
Dieſe gegenwärtig auch von ſolchen Staten anerkannte Regel, welche eine Auslieferungspflicht bei gemeinen Verbrechen annehmen, macht freilich dann eine be- denkliche Lücke in das Strafrecht, wenn dieſelben im Inlande nicht für ein auswärts begangenes Verbrechen zur Verantwortung gezogen werden können. Sie bleiben in dieſem Falle ſtraflos, obwohl die allgemeinen Rechtsgrundſätze eine Beſtrafung ihres Verbrechens erfordern. Aber man zieht es vor, dem Individuum dieſen Glücksfall zuzugeſtehen, als die Statsgenoſſen einer fremden Strafgerichts- barkeit zu überliefern.
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Fünftes Buch.
397.
Es ſteht jedem State zu, die Bedingungen feſtzuſetzen, unter welchen
er fremden Flüchtlingen ein Aſyl gewährt. Die Flüchtlinge ſelber haben
keinen Rechtsanſpruch auf Gewährung des Aſyls gegen den fremden Stat.
Der Flüchtling kann ſich nicht wie ein anderer Reiſender auf das Recht des
freien Verkehrs berufen, denn eine Grundbedingung dieſes Rechts iſt Unbeſchol-
tenheit der Reiſenden. Kein Stat iſt verpflichtet, Verbrecher oder eines Ver-
brechens Angeklagte bei ſich aufzunehmen und zu dulden, weil ſolche Fremde auch die
Sicherheit ſeiner Bewohner oder unter Umſtänden des Stats ſelbſt gefährden. Es
gilt das auch von politiſchen Verbrechern. Aber wohl hat der Stat die moraliſche
Pflicht, dabei nicht inhuman zu verfahren. Die Zurückweiſung insbeſondere von
politiſchen Flüchtlingen oder gar ihre Auslieferung kann, ſelbſt wenn ſie keine Rechts-
verletzung iſt, doch eine tadelnswerthe Grauſamkeit ſein.
398.
Der Schutzſtat, welcher das Aſyl gewährt hat, iſt auch, wenn das-
ſelbe mißbraucht wird, berechtigt, und bei fortdauernder Gefahr für den
befreundeten Heimatsſtat des Flüchtlings auch verpflichtet, das Aſyl zu
entziehen oder inſoweit zu beſchränken, daß jene Gefahr beſeitigt wird.
In mindern Fällen wird eine ſchärfere Aufſicht über den Flüchtling
oder die Internirung desſelben von der Grenze weg, ins Innere des Landes
genügen, in ſchweren Fällen die Wegweiſung in vorgeſchriebener Richtung
nöthig ſein.
399.
Zur Auslieferung von Einheimiſchen an einen fremden Stat, in
deſſen Gebiet dieſelben ein Verbrechen verübt haben, iſt der Heimatsſtat
niemals verpflichtet.
Dieſe gegenwärtig auch von ſolchen Staten anerkannte Regel, welche eine
Auslieferungspflicht bei gemeinen Verbrechen annehmen, macht freilich dann eine be-
denkliche Lücke in das Strafrecht, wenn dieſelben im Inlande nicht für
ein auswärts begangenes Verbrechen zur Verantwortung gezogen werden können.
Sie bleiben in dieſem Falle ſtraflos, obwohl die allgemeinen Rechtsgrundſätze eine
Beſtrafung ihres Verbrechens erfordern. Aber man zieht es vor, dem Individuum
dieſen Glücksfall zuzugeſtehen, als die Statsgenoſſen einer fremden Strafgerichts-
barkeit zu überliefern.
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/250>, abgerufen am 23.11.2024.
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