Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.Fünftes Buch. Asylstats verletzt haben, und daher auch nicht von diesem zu verfolgen seien, daß dieStrafgewalt ihrem Wesen nach territorial und nicht international sei, daß jedenfalls geringe Sicherheit für eine im Sinne des Asylstates geübte Justiz vor- handen sei und daß daher der Asylstat keine Veranlassung habe, einer fremden Ge- richtsbarkeit zu dienen und keine Verpflichtung, seine Schutzhoheit zu beschränken. Aber auch für die entgegengesetzte Meinung haben sich jederzeit gewichtige Meines Erachtens würde ein unbeschränktes Asyl die allgemeine mensch- Aber auch eine absolute Auslieferungspflicht würde in manchen Wo die Statenverträge die Auslieferung im Einzelnen näher ordnen, und 396. Den politischen Flüchtlingen darf jeder Stat freies Asyl gewähren. Fünftes Buch. Aſylſtats verletzt haben, und daher auch nicht von dieſem zu verfolgen ſeien, daß dieStrafgewalt ihrem Weſen nach territorial und nicht international ſei, daß jedenfalls geringe Sicherheit für eine im Sinne des Aſylſtates geübte Juſtiz vor- handen ſei und daß daher der Aſylſtat keine Veranlaſſung habe, einer fremden Ge- richtsbarkeit zu dienen und keine Verpflichtung, ſeine Schutzhoheit zu beſchränken. Aber auch für die entgegengeſetzte Meinung haben ſich jederzeit gewichtige Meines Erachtens würde ein unbeſchränktes Aſyl die allgemeine menſch- Aber auch eine abſolute Auslieferungspflicht würde in manchen Wo die Statenverträge die Auslieferung im Einzelnen näher ordnen, und 396. Den politiſchen Flüchtlingen darf jeder Stat freies Aſyl gewähren. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0248" n="226"/><fw place="top" type="header">Fünftes Buch.</fw><lb/> Aſylſtats verletzt haben, und daher auch nicht von dieſem zu verfolgen ſeien, daß die<lb/> Strafgewalt ihrem Weſen nach <hi rendition="#g">territorial</hi> und nicht <hi rendition="#g">international</hi> ſei, daß<lb/> jedenfalls geringe Sicherheit für eine im Sinne des Aſylſtates geübte Juſtiz vor-<lb/> handen ſei und daß daher der Aſylſtat keine Veranlaſſung habe, einer fremden Ge-<lb/> richtsbarkeit zu dienen und keine Verpflichtung, ſeine Schutzhoheit zu beſchränken.</p><lb/> <p>Aber auch für die entgegengeſetzte Meinung haben ſich jederzeit gewichtige<lb/> Stimmen erhoben, wie die von <hi rendition="#g">Grotius, Vattel, Kent</hi> u. ſ. f., welche auf das<lb/> allgemeine Intereſſe an der Handhabung der Gerechtigkeit und die Nothwendigkeit<lb/> der Beſtrafung der Verbrecher hinweiſen, auf die Gefahren aufmerkſam machen, welche<lb/> daraus für die Geſellſchaft entſtehen, wenn Verbrecher leicht einen Zufluchtsort fin-<lb/> den, in dem ſie ſich ſicher fühlen und von wo aus ſie ihre Angriffe auf die Rechts-<lb/> ordnung erneuern, und daraus die <hi rendition="#g">Pflicht der Staten</hi> ableiten, einander <hi rendition="#g">in<lb/> der wirkſamen Handhabung der Strafrechtspflege zu unter-<lb/> ſtützen</hi>.</p><lb/> <p>Meines Erachtens würde ein <hi rendition="#g">unbeſchränktes Aſyl</hi> die allgemeine menſch-<lb/> liche Rechtsordnung und Rechtsſicherheit bedrohen, zumal bei der Beweglichkeit der<lb/> heutigen Verkehrsmittel. Es iſt ein allgemeines Intereſſe, nicht ein bloßes Landes-<lb/> intereſſe, daß Mörder, Räuber, grobe Betrüger und große Diebe beſtraft werden.<lb/> Vortrefflich hat der franzöſiſche Miniſter <hi rendition="#g">Rouher</hi> (Rede vom 4. März 1866) die<lb/> Gründe für die <hi rendition="#g">Auslieferungspflicht</hi> mit wenigen Worten ausgeſprochen:<lb/> „Der Grundſatz der Auslieferung iſt der Grundſatz der Solidarität, der wechſelſeiti-<lb/> gen Verſicherung unter Regierungen und Völkern gegen ein überall drohendes Uebel<lb/> (<hi rendition="#aq">contre l’ubiquité du mal</hi>)“.</p><lb/> <p>Aber auch eine <hi rendition="#g">abſolute Auslieferungspflicht</hi> würde in manchen<lb/> Fällen die Intereſſen der Humanität und der Freiheit ernſtlich gefährden, und man<lb/> darf nicht vergeſſen, daß manche Verbrechen ausſchließlich den davon betroffenen Stat<lb/> und nicht die menſchliche Geſellſchaft verletzen und daß auch die Vertheidiger des<lb/> Aſyls gute Gründe anführen, auf welche innerhalb der nöthigen Schranken billige<lb/> Rückſicht zu nehmen iſt.</p><lb/> <p>Wo die Statenverträge die Auslieferung im Einzelnen näher ordnen, und<lb/> das iſt in neuerer Zeit ſehr oft geſchehen, da kommen natürlich die <hi rendition="#g">vertrags-<lb/> mäßigen Beſtimmungen</hi> zur Anwendung. Wenn keine Verträge binden, ſo<lb/> muß man ſich an die <hi rendition="#g">allgemeinen Rechtsgrundſätze</hi> halten. Da aber dieſe<lb/> heute noch nicht gleichmäßig und nicht allgemein anerkannt ſind, ſo hängt es <hi rendition="#g">that-<lb/> ſächlich</hi> noch von dem <hi rendition="#g">Ermeſſen des Aſylſtates</hi> ab, zu beſtimmen, in wie<lb/> weit er ſich durch die allgemeine Rechtsordnung für gebunden erachte. Es iſt aber<lb/> möglich und ſogar wahrſcheinlich, daß allmählich einige Hauptgrundſätze in der civi-<lb/> liſirten Welt ſich allgemeine Billigung erringen und ſo weit das geſchieht, wird<lb/> dann die Willkür der einzelnen Staten beſchränkt.</p> </div><lb/> <div n="4"> <head>396.</head><lb/> <p>Den politiſchen Flüchtlingen darf jeder Stat freies Aſyl gewähren.<lb/> Der Aſyl gebende Stat iſt nicht verpflichtet, auf Begehren des verfolgenden<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [226/0248]
Fünftes Buch.
Aſylſtats verletzt haben, und daher auch nicht von dieſem zu verfolgen ſeien, daß die
Strafgewalt ihrem Weſen nach territorial und nicht international ſei, daß
jedenfalls geringe Sicherheit für eine im Sinne des Aſylſtates geübte Juſtiz vor-
handen ſei und daß daher der Aſylſtat keine Veranlaſſung habe, einer fremden Ge-
richtsbarkeit zu dienen und keine Verpflichtung, ſeine Schutzhoheit zu beſchränken.
Aber auch für die entgegengeſetzte Meinung haben ſich jederzeit gewichtige
Stimmen erhoben, wie die von Grotius, Vattel, Kent u. ſ. f., welche auf das
allgemeine Intereſſe an der Handhabung der Gerechtigkeit und die Nothwendigkeit
der Beſtrafung der Verbrecher hinweiſen, auf die Gefahren aufmerkſam machen, welche
daraus für die Geſellſchaft entſtehen, wenn Verbrecher leicht einen Zufluchtsort fin-
den, in dem ſie ſich ſicher fühlen und von wo aus ſie ihre Angriffe auf die Rechts-
ordnung erneuern, und daraus die Pflicht der Staten ableiten, einander in
der wirkſamen Handhabung der Strafrechtspflege zu unter-
ſtützen.
Meines Erachtens würde ein unbeſchränktes Aſyl die allgemeine menſch-
liche Rechtsordnung und Rechtsſicherheit bedrohen, zumal bei der Beweglichkeit der
heutigen Verkehrsmittel. Es iſt ein allgemeines Intereſſe, nicht ein bloßes Landes-
intereſſe, daß Mörder, Räuber, grobe Betrüger und große Diebe beſtraft werden.
Vortrefflich hat der franzöſiſche Miniſter Rouher (Rede vom 4. März 1866) die
Gründe für die Auslieferungspflicht mit wenigen Worten ausgeſprochen:
„Der Grundſatz der Auslieferung iſt der Grundſatz der Solidarität, der wechſelſeiti-
gen Verſicherung unter Regierungen und Völkern gegen ein überall drohendes Uebel
(contre l’ubiquité du mal)“.
Aber auch eine abſolute Auslieferungspflicht würde in manchen
Fällen die Intereſſen der Humanität und der Freiheit ernſtlich gefährden, und man
darf nicht vergeſſen, daß manche Verbrechen ausſchließlich den davon betroffenen Stat
und nicht die menſchliche Geſellſchaft verletzen und daß auch die Vertheidiger des
Aſyls gute Gründe anführen, auf welche innerhalb der nöthigen Schranken billige
Rückſicht zu nehmen iſt.
Wo die Statenverträge die Auslieferung im Einzelnen näher ordnen, und
das iſt in neuerer Zeit ſehr oft geſchehen, da kommen natürlich die vertrags-
mäßigen Beſtimmungen zur Anwendung. Wenn keine Verträge binden, ſo
muß man ſich an die allgemeinen Rechtsgrundſätze halten. Da aber dieſe
heute noch nicht gleichmäßig und nicht allgemein anerkannt ſind, ſo hängt es that-
ſächlich noch von dem Ermeſſen des Aſylſtates ab, zu beſtimmen, in wie
weit er ſich durch die allgemeine Rechtsordnung für gebunden erachte. Es iſt aber
möglich und ſogar wahrſcheinlich, daß allmählich einige Hauptgrundſätze in der civi-
liſirten Welt ſich allgemeine Billigung erringen und ſo weit das geſchieht, wird
dann die Willkür der einzelnen Staten beſchränkt.
396.
Den politiſchen Flüchtlingen darf jeder Stat freies Aſyl gewähren.
Der Aſyl gebende Stat iſt nicht verpflichtet, auf Begehren des verfolgenden
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