welchen Bedingungen Landesfremde Grundeigenthum erwerben und Handel oder Gewerbe in dem Lande selbständig betreiben dürfen.
Das Völkerrecht entscheidet darüber nicht, sondern das Statsrecht, außer wenn durch Statenverträge nähere auch dem andern Stat gegenüber bindende Be- stimmungen getroffen sind.
386.
Die Fremden haben einen rechtmäßigen Anspruch auf den gesetzlichen und landesüblichen Rechtsschutz ihrer Persönlichkeit, ihrer Familien- und Vermögensrechte.
Im Alterthum und im Mittelalter verstand sich dieses Recht der Fremden keineswegs. Vielmehr wurden sie als rechtlose Leute betrachtet, wenn sie nicht unter den besondern Schutz eines Gastfreundes oder Patrones oder eines Grundherrn oder angesehenen Bürgers gestellt waren. Die Fremden von heute dagegen stehen unter dem Schutze des humaner gewordenen Rechtes der civilisirten Völker. Auch der früher beliebte Vorzug der Einheimischen vor den Ausländern in der Geltendma- chung von Forderungen und insbesondere im Concurse wird immer mehr als unge- recht und der heutigen auf Gleichheit gegründeten Rechtsbildung zuwiderlaufend all- mählich überall beseitigt. Zunächst freilich entscheidet die Landesgesetzgebung über die Bedingungen und die Ausdehnung des den Fremden zukommenden Rechtsschutzes. Aber offenbare Unbill, welche der Stat gegen die Fremden üben wollte, würde Re- clamationen der Staten rechtfertigen, welchen dieselben angehören.
387.
Kein Stat ist verpflichtet, fremden Personen Privilegien oder solche persönliche und Standesrechte zuzugestehn, welche mit der Verfassung und den Grundrechten desselben nicht vereinbar sind. Vorbehalten bleiben die Rechte souveräner Personen und ihrer Vertreter.
Ein Stat, dessen Verfassung keinen Adel duldet, wie z. B. die Vereinigten Staten von Nordamerika, kann daher auch fremden Adlichen keine besondern Adels- rechte zugestehen. Strenge genommen braucht aber auch ein Stat, in dem es noch Adelsprivilegien gibt, dieselben fremden Adlichen deßhalb nicht einzuräumen, weil die Institution des Adels von wesentlich öffentlich-rechtlichem Ursprung und ein Theil der besondern Statsverfassung ist, welche als solche nicht auf ein anderes Land übertragbar ist. Indessen werden die Ehrenvorzüge, welche dem eigenen Adel zu- kommen, der Sitte gemäß gewöhnlich auch den Fremden von ähnlicher Rangstellung eingeräumt, und auch insofern eine möglichst gleichmäßige Behandlung der Einhei- mischen und der Fremden angestrebt.
Fünftes Buch.
welchen Bedingungen Landesfremde Grundeigenthum erwerben und Handel oder Gewerbe in dem Lande ſelbſtändig betreiben dürfen.
Das Völkerrecht entſcheidet darüber nicht, ſondern das Statsrecht, außer wenn durch Statenverträge nähere auch dem andern Stat gegenüber bindende Be- ſtimmungen getroffen ſind.
386.
Die Fremden haben einen rechtmäßigen Anſpruch auf den geſetzlichen und landesüblichen Rechtsſchutz ihrer Perſönlichkeit, ihrer Familien- und Vermögensrechte.
Im Alterthum und im Mittelalter verſtand ſich dieſes Recht der Fremden keineswegs. Vielmehr wurden ſie als rechtloſe Leute betrachtet, wenn ſie nicht unter den beſondern Schutz eines Gaſtfreundes oder Patrones oder eines Grundherrn oder angeſehenen Bürgers geſtellt waren. Die Fremden von heute dagegen ſtehen unter dem Schutze des humaner gewordenen Rechtes der civiliſirten Völker. Auch der früher beliebte Vorzug der Einheimiſchen vor den Ausländern in der Geltendma- chung von Forderungen und insbeſondere im Concurſe wird immer mehr als unge- recht und der heutigen auf Gleichheit gegründeten Rechtsbildung zuwiderlaufend all- mählich überall beſeitigt. Zunächſt freilich entſcheidet die Landesgeſetzgebung über die Bedingungen und die Ausdehnung des den Fremden zukommenden Rechtsſchutzes. Aber offenbare Unbill, welche der Stat gegen die Fremden üben wollte, würde Re- clamationen der Staten rechtfertigen, welchen dieſelben angehören.
387.
Kein Stat iſt verpflichtet, fremden Perſonen Privilegien oder ſolche perſönliche und Standesrechte zuzugeſtehn, welche mit der Verfaſſung und den Grundrechten desſelben nicht vereinbar ſind. Vorbehalten bleiben die Rechte ſouveräner Perſonen und ihrer Vertreter.
Ein Stat, deſſen Verfaſſung keinen Adel duldet, wie z. B. die Vereinigten Staten von Nordamerika, kann daher auch fremden Adlichen keine beſondern Adels- rechte zugeſtehen. Strenge genommen braucht aber auch ein Stat, in dem es noch Adelsprivilegien gibt, dieſelben fremden Adlichen deßhalb nicht einzuräumen, weil die Inſtitution des Adels von weſentlich öffentlich-rechtlichem Urſprung und ein Theil der beſondern Statsverfaſſung iſt, welche als ſolche nicht auf ein anderes Land übertragbar iſt. Indeſſen werden die Ehrenvorzüge, welche dem eigenen Adel zu- kommen, der Sitte gemäß gewöhnlich auch den Fremden von ähnlicher Rangſtellung eingeräumt, und auch inſofern eine möglichſt gleichmäßige Behandlung der Einhei- miſchen und der Fremden angeſtrebt.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0244"n="222"/><fwplace="top"type="header">Fünftes Buch.</fw><lb/>
welchen Bedingungen Landesfremde Grundeigenthum erwerben und Handel<lb/>
oder Gewerbe in dem Lande ſelbſtändig betreiben dürfen.</p><lb/><p>Das Völkerrecht entſcheidet darüber nicht, ſondern das <hirendition="#g">Statsrecht</hi>, außer<lb/>
wenn durch Statenverträge nähere auch dem andern Stat gegenüber bindende Be-<lb/>ſtimmungen getroffen ſind.</p></div><lb/><divn="4"><head>386.</head><lb/><p>Die Fremden haben einen rechtmäßigen Anſpruch auf den geſetzlichen<lb/>
und landesüblichen Rechtsſchutz ihrer Perſönlichkeit, ihrer Familien- und<lb/>
Vermögensrechte.</p><lb/><p>Im Alterthum und im Mittelalter verſtand ſich dieſes Recht der Fremden<lb/>
keineswegs. Vielmehr wurden ſie als rechtloſe Leute betrachtet, wenn ſie nicht<lb/>
unter den beſondern Schutz eines Gaſtfreundes oder Patrones oder eines Grundherrn<lb/>
oder angeſehenen Bürgers geſtellt waren. Die Fremden von heute dagegen ſtehen<lb/>
unter dem Schutze des humaner gewordenen Rechtes der civiliſirten Völker. Auch<lb/>
der früher beliebte Vorzug der Einheimiſchen vor den Ausländern in der Geltendma-<lb/>
chung von Forderungen und insbeſondere im Concurſe wird immer mehr als unge-<lb/>
recht und der heutigen auf Gleichheit gegründeten Rechtsbildung zuwiderlaufend all-<lb/>
mählich überall beſeitigt. Zunächſt freilich entſcheidet die Landesgeſetzgebung über<lb/>
die Bedingungen und die Ausdehnung des den Fremden zukommenden Rechtsſchutzes.<lb/>
Aber offenbare Unbill, welche der Stat gegen die Fremden üben wollte, würde Re-<lb/>
clamationen der Staten rechtfertigen, welchen dieſelben angehören.</p></div><lb/><divn="4"><head>387.</head><lb/><p>Kein Stat iſt verpflichtet, fremden Perſonen Privilegien oder ſolche<lb/>
perſönliche und Standesrechte zuzugeſtehn, welche mit der Verfaſſung und<lb/>
den Grundrechten desſelben nicht vereinbar ſind. Vorbehalten bleiben die<lb/>
Rechte ſouveräner Perſonen und ihrer Vertreter.</p><lb/><p>Ein Stat, deſſen Verfaſſung keinen Adel duldet, wie z. B. die Vereinigten<lb/>
Staten von Nordamerika, kann daher auch fremden Adlichen keine beſondern Adels-<lb/>
rechte zugeſtehen. Strenge genommen braucht aber auch ein Stat, in dem es noch<lb/>
Adelsprivilegien gibt, dieſelben fremden Adlichen deßhalb nicht einzuräumen, weil die<lb/>
Inſtitution des Adels von weſentlich öffentlich-rechtlichem Urſprung und ein Theil der<lb/><hirendition="#g">beſondern Statsverfaſſung</hi> iſt, welche als ſolche nicht auf ein anderes Land<lb/>
übertragbar iſt. Indeſſen werden die Ehrenvorzüge, welche dem eigenen Adel zu-<lb/>
kommen, der Sitte gemäß gewöhnlich auch den Fremden von ähnlicher Rangſtellung<lb/>
eingeräumt, und auch inſofern eine möglichſt gleichmäßige Behandlung der Einhei-<lb/>
miſchen und der Fremden angeſtrebt.</p></div><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[222/0244]
Fünftes Buch.
welchen Bedingungen Landesfremde Grundeigenthum erwerben und Handel
oder Gewerbe in dem Lande ſelbſtändig betreiben dürfen.
Das Völkerrecht entſcheidet darüber nicht, ſondern das Statsrecht, außer
wenn durch Statenverträge nähere auch dem andern Stat gegenüber bindende Be-
ſtimmungen getroffen ſind.
386.
Die Fremden haben einen rechtmäßigen Anſpruch auf den geſetzlichen
und landesüblichen Rechtsſchutz ihrer Perſönlichkeit, ihrer Familien- und
Vermögensrechte.
Im Alterthum und im Mittelalter verſtand ſich dieſes Recht der Fremden
keineswegs. Vielmehr wurden ſie als rechtloſe Leute betrachtet, wenn ſie nicht
unter den beſondern Schutz eines Gaſtfreundes oder Patrones oder eines Grundherrn
oder angeſehenen Bürgers geſtellt waren. Die Fremden von heute dagegen ſtehen
unter dem Schutze des humaner gewordenen Rechtes der civiliſirten Völker. Auch
der früher beliebte Vorzug der Einheimiſchen vor den Ausländern in der Geltendma-
chung von Forderungen und insbeſondere im Concurſe wird immer mehr als unge-
recht und der heutigen auf Gleichheit gegründeten Rechtsbildung zuwiderlaufend all-
mählich überall beſeitigt. Zunächſt freilich entſcheidet die Landesgeſetzgebung über
die Bedingungen und die Ausdehnung des den Fremden zukommenden Rechtsſchutzes.
Aber offenbare Unbill, welche der Stat gegen die Fremden üben wollte, würde Re-
clamationen der Staten rechtfertigen, welchen dieſelben angehören.
387.
Kein Stat iſt verpflichtet, fremden Perſonen Privilegien oder ſolche
perſönliche und Standesrechte zuzugeſtehn, welche mit der Verfaſſung und
den Grundrechten desſelben nicht vereinbar ſind. Vorbehalten bleiben die
Rechte ſouveräner Perſonen und ihrer Vertreter.
Ein Stat, deſſen Verfaſſung keinen Adel duldet, wie z. B. die Vereinigten
Staten von Nordamerika, kann daher auch fremden Adlichen keine beſondern Adels-
rechte zugeſtehen. Strenge genommen braucht aber auch ein Stat, in dem es noch
Adelsprivilegien gibt, dieſelben fremden Adlichen deßhalb nicht einzuräumen, weil die
Inſtitution des Adels von weſentlich öffentlich-rechtlichem Urſprung und ein Theil der
beſondern Statsverfaſſung iſt, welche als ſolche nicht auf ein anderes Land
übertragbar iſt. Indeſſen werden die Ehrenvorzüge, welche dem eigenen Adel zu-
kommen, der Sitte gemäß gewöhnlich auch den Fremden von ähnlicher Rangſtellung
eingeräumt, und auch inſofern eine möglichſt gleichmäßige Behandlung der Einhei-
miſchen und der Fremden angeſtrebt.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/244>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.