Die Statshoheit im Verhältniß zum Land. Gebietshoheit.
350.
Wenn von Schiffsleuten eines nationalen Schiffes, d. h. eines Schiffes, welches sich nicht dem Verbande mit einem geordneten State entzogen hat, auf offener See Raub oder Mord oder andere Verbrechen verübt werden, so ist die völkerrechtliche Gerichtsbarkeit über Seeräuber nicht begründet, sondern nur die statsrechtliche des States, welchem das Schiff zugehört.
Anders ist es, wenn die aufrührerische Schiffsmannschaft eines unter natio- naler Flagge fahrenden Schiffs nun sich von der Statsordnung losgesagt, und eigen- willig Räuberei betreibt. Dadurch wird das Schiff zum Piratenschiff. Ueber einen Fall der Art aus den Chilesischen Gewässern berichtet PhillimoreI. 357. Wenn gleich die von einem englischen Kriegsschiff gefangene Mannschaft an die Ge- richte von Chili zur Bestrafung überliefert wurde, so erachtete sich doch der englische Admiralitätshof ebenfalls für zuständig. Dagegen gilt für alle andern Verbrechen, die nicht völkerrechtlich als Seeräuberei betrachtet werden, die ordentliche Gerichtsbarkeit.
351.
Das freie Meer darf nicht zur Zufuhr von Sclaven über See miß- braucht werden.
Die Schiffe, welche gegen das völkerrechtliche Verbot Sclaven füh- ren, unterliegen aber zunächst der Gerichtsbarkeit des States, welchem sie angehören.
Das heutige Völkerrecht verwirft die Institutionen der Sclaverei als einen Widerspruch des natürlichen Menschenrechts. Vgl. darüber Buch V. Abschnitt 1. Früher galt der Handel insbesondere mit farbigen Sclaven als erlaubt, und noch in dem Frieden von Utrecht von 1713 ließ sich England von Spanien aus- drücklich das Recht zusichern, eine bestimmte Anzahl Negersclaven alljährlich in die Spanischen Colonien einzuführen. Seither hat das moderne Rechtsgefühl diesen Handel als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit gebrandmarkt. Auf dem Wiener Congreß erklärten am 8. Febr. 1815 im Anschluß an den Zusatz des Pariserfriedens zwischen England und Frankreich vom 30. Mai 1814 die versammelten Mächte ihr Verlangen "de mettre un terme au fleau qui avait si longtemps desole l'Afrique, degrade l'Europe et afflige l'humanite" und ver- sprachen einander beizustehen in der möglichst baldigen "abolition universelle de la traite des negres" (Wheatonhistoire I. 183). Auf den Congressen von Aachen 1818 und Verona 1822 wurde die Abschaffung des Negerhan- dels neuerdings im Princip ausgesprochen. Vor allen andern Staten war Eng- land bemüht, diesen schändlichen Seehandel zu unterdrücken und schloß mit einer großen Anzahl von Staten darüber besondere Verträge ab. Das Verzeichniß dieser Verträge gibt PhillimoreI. § 307. Von größter Bedeutung waren insbeson-
Die Statshoheit im Verhältniß zum Land. Gebietshoheit.
350.
Wenn von Schiffsleuten eines nationalen Schiffes, d. h. eines Schiffes, welches ſich nicht dem Verbande mit einem geordneten State entzogen hat, auf offener See Raub oder Mord oder andere Verbrechen verübt werden, ſo iſt die völkerrechtliche Gerichtsbarkeit über Seeräuber nicht begründet, ſondern nur die ſtatsrechtliche des States, welchem das Schiff zugehört.
Anders iſt es, wenn die aufrühreriſche Schiffsmannſchaft eines unter natio- naler Flagge fahrenden Schiffs nun ſich von der Statsordnung losgeſagt, und eigen- willig Räuberei betreibt. Dadurch wird das Schiff zum Piratenſchiff. Ueber einen Fall der Art aus den Chileſiſchen Gewäſſern berichtet PhillimoreI. 357. Wenn gleich die von einem engliſchen Kriegsſchiff gefangene Mannſchaft an die Ge- richte von Chili zur Beſtrafung überliefert wurde, ſo erachtete ſich doch der engliſche Admiralitätshof ebenfalls für zuſtändig. Dagegen gilt für alle andern Verbrechen, die nicht völkerrechtlich als Seeräuberei betrachtet werden, die ordentliche Gerichtsbarkeit.
351.
Das freie Meer darf nicht zur Zufuhr von Sclaven über See miß- braucht werden.
Die Schiffe, welche gegen das völkerrechtliche Verbot Sclaven füh- ren, unterliegen aber zunächſt der Gerichtsbarkeit des States, welchem ſie angehören.
Das heutige Völkerrecht verwirft die Inſtitutionen der Sclaverei als einen Widerſpruch des natürlichen Menſchenrechts. Vgl. darüber Buch V. Abſchnitt 1. Früher galt der Handel insbeſondere mit farbigen Sclaven als erlaubt, und noch in dem Frieden von Utrecht von 1713 ließ ſich England von Spanien aus- drücklich das Recht zuſichern, eine beſtimmte Anzahl Negerſclaven alljährlich in die Spaniſchen Colonien einzuführen. Seither hat das moderne Rechtsgefühl dieſen Handel als ein Verbrechen gegen die Menſchlichkeit gebrandmarkt. Auf dem Wiener Congreß erklärten am 8. Febr. 1815 im Anſchluß an den Zuſatz des Pariſerfriedens zwiſchen England und Frankreich vom 30. Mai 1814 die verſammelten Mächte ihr Verlangen „de mettre un terme au fléau qui avait si longtemps désolé l’Afrique, dégradé l’Europe et affligé l’humanité“ und ver- ſprachen einander beizuſtehen in der möglichſt baldigen „abolition universelle de la traite des nègres“ (Wheatonhistoire I. 183). Auf den Congreſſen von Aachen 1818 und Verona 1822 wurde die Abſchaffung des Negerhan- dels neuerdings im Princip ausgeſprochen. Vor allen andern Staten war Eng- land bemüht, dieſen ſchändlichen Seehandel zu unterdrücken und ſchloß mit einer großen Anzahl von Staten darüber beſondere Verträge ab. Das Verzeichniß dieſer Verträge gibt PhillimoreI. § 307. Von größter Bedeutung waren insbeſon-
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Die Statshoheit im Verhältniß zum Land. Gebietshoheit.
350.
Wenn von Schiffsleuten eines nationalen Schiffes, d. h. eines Schiffes,
welches ſich nicht dem Verbande mit einem geordneten State entzogen hat,
auf offener See Raub oder Mord oder andere Verbrechen verübt werden,
ſo iſt die völkerrechtliche Gerichtsbarkeit über Seeräuber nicht begründet,
ſondern nur die ſtatsrechtliche des States, welchem das Schiff zugehört.
Anders iſt es, wenn die aufrühreriſche Schiffsmannſchaft eines unter natio-
naler Flagge fahrenden Schiffs nun ſich von der Statsordnung losgeſagt, und eigen-
willig Räuberei betreibt. Dadurch wird das Schiff zum Piratenſchiff. Ueber einen
Fall der Art aus den Chileſiſchen Gewäſſern berichtet Phillimore I. 357.
Wenn gleich die von einem engliſchen Kriegsſchiff gefangene Mannſchaft an die Ge-
richte von Chili zur Beſtrafung überliefert wurde, ſo erachtete ſich doch der engliſche
Admiralitätshof ebenfalls für zuſtändig. Dagegen gilt für alle andern Verbrechen,
die nicht völkerrechtlich als Seeräuberei betrachtet werden, die ordentliche Gerichtsbarkeit.
351.
Das freie Meer darf nicht zur Zufuhr von Sclaven über See miß-
braucht werden.
Die Schiffe, welche gegen das völkerrechtliche Verbot Sclaven füh-
ren, unterliegen aber zunächſt der Gerichtsbarkeit des States, welchem ſie
angehören.
Das heutige Völkerrecht verwirft die Inſtitutionen der Sclaverei als einen
Widerſpruch des natürlichen Menſchenrechts. Vgl. darüber Buch V. Abſchnitt 1.
Früher galt der Handel insbeſondere mit farbigen Sclaven als erlaubt, und noch
in dem Frieden von Utrecht von 1713 ließ ſich England von Spanien aus-
drücklich das Recht zuſichern, eine beſtimmte Anzahl Negerſclaven alljährlich in die
Spaniſchen Colonien einzuführen. Seither hat das moderne Rechtsgefühl dieſen
Handel als ein Verbrechen gegen die Menſchlichkeit gebrandmarkt. Auf
dem Wiener Congreß erklärten am 8. Febr. 1815 im Anſchluß an den Zuſatz
des Pariſerfriedens zwiſchen England und Frankreich vom 30. Mai 1814 die
verſammelten Mächte ihr Verlangen „de mettre un terme au fléau qui avait si
longtemps désolé l’Afrique, dégradé l’Europe et affligé l’humanité“ und ver-
ſprachen einander beizuſtehen in der möglichſt baldigen „abolition universelle de
la traite des nègres“ (Wheaton histoire I. 183). Auf den Congreſſen von
Aachen 1818 und Verona 1822 wurde die Abſchaffung des Negerhan-
dels neuerdings im Princip ausgeſprochen. Vor allen andern Staten war Eng-
land bemüht, dieſen ſchändlichen Seehandel zu unterdrücken und ſchloß mit einer
großen Anzahl von Staten darüber beſondere Verträge ab. Das Verzeichniß dieſer
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/223>, abgerufen am 22.12.2024.
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