andern christlichen Völker hatten. Ueber ihnen allen erhoben sich ja nach der Fiction der mittelalterlichen Reichslehre in derselben Weise die kaiserliche Majestät und die päpstliche Heiligkeit.
88.
Es besteht kein Rangvorzug der Königreiche vor den Republiken mit königlichem Rang oder umgekehrt dieser vor jenen.
Das höfische Ceremoniel kennt wohl den Vortritt der Könige vor den Groß- herzogen, aber nicht einen Vortritt der Königsstaten vor den königlichen Freistaten. Die Macht und der politische Einfluß, welche die natürliche Grundlage auch für die Rangordnung der Staten bilden, sind von diesem Verfassungsunterschied unabhängig. England hatte als Republik unter Cromwell eine größere Bedeutung aber kei- nen andern Rang als zur Zeit des Königs KarlsI.; und die französische Republik behauptete im Frieden von Campo-Formio 1797 denselben Rang, wie vormals unter den Bourbonischen Königen.
89.
In allen wesentlichen Beziehungen stehen alle Königlichen Staten unter einander und auch den Kaiserlichen gleich. Insbesondere kommt allen das unbeanstandete Recht zu, Botschafter zu senden und zu empfan- gen, königliche Embleme in Krone, Scepter, Wappen anzunehmen und zu führen, im Ceremoniel und bei Unterzeichnung der Verträge auf dem Fuße der Gleichheit behandelt zu werden. Die Fürsten dieses Ranges geben sich im brieflichen Verkehr den Brudernamen.
Indessen erhalten nur die Könige als Statshäupter den Titel der "Majestät", nicht auch die übrigen Fürsten von Königlichem Rang, und es haben jene vor diesen den Vortritt.
Der Titel der Majestät, ursprünglich auf den Kaiser beschränkt, ist seit dem titelsüchtigen siebenzehnten Jahrhunderte auch auf die Könige ausgedehnt worden. Jedenfalls paßt er nur zu einer Würde, welche mit dem Vollgenuß der vollkommenen Regierungssouveränetät verbunden ist, aber nicht auf statsrechtlich abhängige Könige. Es wird aber wohl schwerer noch werden, die Titel zu ermäßigen, als die wirklichen Hoheitsrechte zu vermindern.
90.
Unter Staten von gleichem Rang haben je die älteren den Vortritt vor den jüngern. Ueberdem können die Rangverhältnisse zwischen einzelnen Staten durch Vertrag oder Observanz bestimmt sein.
Zweites Buch.
andern chriſtlichen Völker hatten. Ueber ihnen allen erhoben ſich ja nach der Fiction der mittelalterlichen Reichslehre in derſelben Weiſe die kaiſerliche Majeſtät und die päpſtliche Heiligkeit.
88.
Es beſteht kein Rangvorzug der Königreiche vor den Republiken mit königlichem Rang oder umgekehrt dieſer vor jenen.
Das höfiſche Ceremoniel kennt wohl den Vortritt der Könige vor den Groß- herzogen, aber nicht einen Vortritt der Königsſtaten vor den königlichen Freiſtaten. Die Macht und der politiſche Einfluß, welche die natürliche Grundlage auch für die Rangordnung der Staten bilden, ſind von dieſem Verfaſſungsunterſchied unabhängig. England hatte als Republik unter Cromwell eine größere Bedeutung aber kei- nen andern Rang als zur Zeit des Königs KarlsI.; und die franzöſiſche Republik behauptete im Frieden von Campo-Formio 1797 denſelben Rang, wie vormals unter den Bourboniſchen Königen.
89.
In allen weſentlichen Beziehungen ſtehen alle Königlichen Staten unter einander und auch den Kaiſerlichen gleich. Insbeſondere kommt allen das unbeanſtandete Recht zu, Botſchafter zu ſenden und zu empfan- gen, königliche Embleme in Krone, Scepter, Wappen anzunehmen und zu führen, im Ceremoniel und bei Unterzeichnung der Verträge auf dem Fuße der Gleichheit behandelt zu werden. Die Fürſten dieſes Ranges geben ſich im brieflichen Verkehr den Brudernamen.
Indeſſen erhalten nur die Könige als Statshäupter den Titel der „Majeſtät“, nicht auch die übrigen Fürſten von Königlichem Rang, und es haben jene vor dieſen den Vortritt.
Der Titel der Majeſtät, urſprünglich auf den Kaiſer beſchränkt, iſt ſeit dem titelſüchtigen ſiebenzehnten Jahrhunderte auch auf die Könige ausgedehnt worden. Jedenfalls paßt er nur zu einer Würde, welche mit dem Vollgenuß der vollkommenen Regierungsſouveränetät verbunden iſt, aber nicht auf ſtatsrechtlich abhängige Könige. Es wird aber wohl ſchwerer noch werden, die Titel zu ermäßigen, als die wirklichen Hoheitsrechte zu vermindern.
90.
Unter Staten von gleichem Rang haben je die älteren den Vortritt vor den jüngern. Ueberdem können die Rangverhältniſſe zwiſchen einzelnen Staten durch Vertrag oder Obſervanz beſtimmt ſein.
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Zweites Buch.
andern chriſtlichen Völker hatten. Ueber ihnen allen erhoben ſich ja nach der Fiction der
mittelalterlichen Reichslehre in derſelben Weiſe die kaiſerliche Majeſtät und die
päpſtliche Heiligkeit.
88.
Es beſteht kein Rangvorzug der Königreiche vor den Republiken mit
königlichem Rang oder umgekehrt dieſer vor jenen.
Das höfiſche Ceremoniel kennt wohl den Vortritt der Könige vor den Groß-
herzogen, aber nicht einen Vortritt der Königsſtaten vor den königlichen Freiſtaten.
Die Macht und der politiſche Einfluß, welche die natürliche Grundlage auch für die
Rangordnung der Staten bilden, ſind von dieſem Verfaſſungsunterſchied unabhängig.
England hatte als Republik unter Cromwell eine größere Bedeutung aber kei-
nen andern Rang als zur Zeit des Königs Karls I.; und die franzöſiſche
Republik behauptete im Frieden von Campo-Formio 1797 denſelben Rang, wie
vormals unter den Bourboniſchen Königen.
89.
In allen weſentlichen Beziehungen ſtehen alle Königlichen Staten
unter einander und auch den Kaiſerlichen gleich. Insbeſondere kommt
allen das unbeanſtandete Recht zu, Botſchafter zu ſenden und zu empfan-
gen, königliche Embleme in Krone, Scepter, Wappen anzunehmen und
zu führen, im Ceremoniel und bei Unterzeichnung der Verträge auf dem
Fuße der Gleichheit behandelt zu werden. Die Fürſten dieſes Ranges geben
ſich im brieflichen Verkehr den Brudernamen.
Indeſſen erhalten nur die Könige als Statshäupter den Titel der
„Majeſtät“, nicht auch die übrigen Fürſten von Königlichem Rang, und es
haben jene vor dieſen den Vortritt.
Der Titel der Majeſtät, urſprünglich auf den Kaiſer beſchränkt, iſt ſeit dem
titelſüchtigen ſiebenzehnten Jahrhunderte auch auf die Könige ausgedehnt worden.
Jedenfalls paßt er nur zu einer Würde, welche mit dem Vollgenuß der vollkommenen
Regierungsſouveränetät verbunden iſt, aber nicht auf ſtatsrechtlich abhängige Könige.
Es wird aber wohl ſchwerer noch werden, die Titel zu ermäßigen, als die wirklichen
Hoheitsrechte zu vermindern.
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Unter Staten von gleichem Rang haben je die älteren den Vortritt
vor den jüngern. Ueberdem können die Rangverhältniſſe zwiſchen einzelnen
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/116>, abgerufen am 27.11.2024.
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