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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Drittes Capitel. I. Inhalt der Statssouveränetät.

4. Ebenso liegt in der Statssouveränetät die Befugnisz,
die erforderlichen Gesetze zu geben. Die gesetzgebende
Gewalt im engern Sinne wie die constituirende ist ein Aus-
flusz der Statssouveränetät und zugleich ihre regelmäszige
Offenbarung
.

5. Auszerdem aber beruht im Princip auch alle andere
Statsgewalt
auf ihr, weszhalb denn auch die Verfassung
und die Gesetzgebung alle andern Aeuszerungen der Stats-
hoheit und Statsgewalt begrenzen und ordnen. Aber während
sie in der Constituirung und Gesetzgebung activ erscheint,
verhält sie sich hier in der Regel ruhend. In der Monarchie
insbesondere finden wir vielmehr die dem täglichen und ver-
änderlichen Bedürfnisz des States gewidmete Thätigkeit der
übrigen Statsgewalten in der Souveränetät des Monarchen
concentrirt. Das Volk in seiner Gesammtheit ruht, sein Haupt
handelt hier, sei es unmittelbar, sei es durch die Vermitt-
lung der mannichfaltigen Aemter und Behörden, die von ihm
abgeleitet sind.

Wenn aber das Organ, welches die regelmäszige Action
zu besorgen hat, unfähig oder untauglich dazu wird, wenn
insbesondere der Thron erledigt wird und für keine Nachfolge
durch die Verfassung gesorgt ist, so wird die Souveränetät
des States selbst wieder wirksam, um diesen Mangel zu be-
seitigen und den Thron neu zu besetzen.

6. Unverantwortlichkeit. Vor einem höhern Stand-
punkte zwar gibt es keine Unverantwortlichkeit der Menschen
für ihre Handlungen oder Unterlassungen. Und in der That
nicht blosz das ewige Gericht Gottes über die Welt schlieszt
den Gedanken einer Unverantwortlichkeit auch der Völker aus.5

da ist die höchste Noth und da ist Empörung gegen die Unterdrücker
so rechtmäszig wie irgend etwas. Wer da die Rechtmäszigkeit des Auf-
standes verkennt, der musz ein elender Mensch sein."
5 Robespierre hat im Jacobinerclub (Februar 1793) das Gegen-
theil verfochten: "Ich habe inmitten der Verfolgungen und ohne Unter-
Drittes Capitel. I. Inhalt der Statssouveränetät.

4. Ebenso liegt in der Statssouveränetät die Befugnisz,
die erforderlichen Gesetze zu geben. Die gesetzgebende
Gewalt im engern Sinne wie die constituirende ist ein Aus-
flusz der Statssouveränetät und zugleich ihre regelmäszige
Offenbarung
.

5. Auszerdem aber beruht im Princip auch alle andere
Statsgewalt
auf ihr, weszhalb denn auch die Verfassung
und die Gesetzgebung alle andern Aeuszerungen der Stats-
hoheit und Statsgewalt begrenzen und ordnen. Aber während
sie in der Constituirung und Gesetzgebung activ erscheint,
verhält sie sich hier in der Regel ruhend. In der Monarchie
insbesondere finden wir vielmehr die dem täglichen und ver-
änderlichen Bedürfnisz des States gewidmete Thätigkeit der
übrigen Statsgewalten in der Souveränetät des Monarchen
concentrirt. Das Volk in seiner Gesammtheit ruht, sein Haupt
handelt hier, sei es unmittelbar, sei es durch die Vermitt-
lung der mannichfaltigen Aemter und Behörden, die von ihm
abgeleitet sind.

Wenn aber das Organ, welches die regelmäszige Action
zu besorgen hat, unfähig oder untauglich dazu wird, wenn
insbesondere der Thron erledigt wird und für keine Nachfolge
durch die Verfassung gesorgt ist, so wird die Souveränetät
des States selbst wieder wirksam, um diesen Mangel zu be-
seitigen und den Thron neu zu besetzen.

6. Unverantwortlichkeit. Vor einem höhern Stand-
punkte zwar gibt es keine Unverantwortlichkeit der Menschen
für ihre Handlungen oder Unterlassungen. Und in der That
nicht blosz das ewige Gericht Gottes über die Welt schlieszt
den Gedanken einer Unverantwortlichkeit auch der Völker aus.5

da ist die höchste Noth und da ist Empörung gegen die Unterdrücker
so rechtmäszig wie irgend etwas. Wer da die Rechtmäszigkeit des Auf-
standes verkennt, der musz ein elender Mensch sein.“
5 Robespierre hat im Jacobinerclub (Februar 1793) das Gegen-
theil verfochten: „Ich habe inmitten der Verfolgungen und ohne Unter-
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[579/0597] Drittes Capitel. I. Inhalt der Statssouveränetät. 4. Ebenso liegt in der Statssouveränetät die Befugnisz, die erforderlichen Gesetze zu geben. Die gesetzgebende Gewalt im engern Sinne wie die constituirende ist ein Aus- flusz der Statssouveränetät und zugleich ihre regelmäszige Offenbarung. 5. Auszerdem aber beruht im Princip auch alle andere Statsgewalt auf ihr, weszhalb denn auch die Verfassung und die Gesetzgebung alle andern Aeuszerungen der Stats- hoheit und Statsgewalt begrenzen und ordnen. Aber während sie in der Constituirung und Gesetzgebung activ erscheint, verhält sie sich hier in der Regel ruhend. In der Monarchie insbesondere finden wir vielmehr die dem täglichen und ver- änderlichen Bedürfnisz des States gewidmete Thätigkeit der übrigen Statsgewalten in der Souveränetät des Monarchen concentrirt. Das Volk in seiner Gesammtheit ruht, sein Haupt handelt hier, sei es unmittelbar, sei es durch die Vermitt- lung der mannichfaltigen Aemter und Behörden, die von ihm abgeleitet sind. Wenn aber das Organ, welches die regelmäszige Action zu besorgen hat, unfähig oder untauglich dazu wird, wenn insbesondere der Thron erledigt wird und für keine Nachfolge durch die Verfassung gesorgt ist, so wird die Souveränetät des States selbst wieder wirksam, um diesen Mangel zu be- seitigen und den Thron neu zu besetzen. 6. Unverantwortlichkeit. Vor einem höhern Stand- punkte zwar gibt es keine Unverantwortlichkeit der Menschen für ihre Handlungen oder Unterlassungen. Und in der That nicht blosz das ewige Gericht Gottes über die Welt schlieszt den Gedanken einer Unverantwortlichkeit auch der Völker aus. 5 4 5 Robespierre hat im Jacobinerclub (Februar 1793) das Gegen- theil verfochten: „Ich habe inmitten der Verfolgungen und ohne Unter- 4 da ist die höchste Noth und da ist Empörung gegen die Unterdrücker so rechtmäszig wie irgend etwas. Wer da die Rechtmäszigkeit des Auf- standes verkennt, der musz ein elender Mensch sein.“

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 579. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/597>, abgerufen am 22.11.2024.