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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Erstes Buch. Der Statsbegriff.
stücken der hellenischen Nation, aus Stämmen und Stammes-
theilen gebildet. Sie erheben sich nur wenig über blosze
Stadtgemeinden. Die hohe Idee gewinnt daher nur eine
niedere Gestalt; obwohl auf die Menschheit bezogen, kann sie
nur in dem engen Umkreis eines Gebirgsthals oder eines
Küstensaumes zu kindlicher Erscheinung gelangen.

Die Ueberspannung der Statsidee zur Allmacht und die
Ohnmacht in der Gestaltung der wirklichen Staten sind also
dicht beisammen; es sind das die beiden Hauptmängel des
im übrigen höchst würdigen und in anderer Hinsicht mensch-
lich-wahren und fruchtbaren hellenischen Statsbegriffs.

B. Die römische Statsidee.

Die Römer waren das genialste Rechts- und Stats-
volk
des classischen Alterthums; und sie waren das mehr noch
durch ihren Charakter als ihren Geist. Sie übten daher auch
eine gröszere Wirkung auf die Welt aus als die Hellenen.

Zunächst freilich ist die römische Statsidee mit der grie-
chischen nahe verwandt. Cicero hat in seinen Werken über
den Stat beständig die Athenischen Vorbilder vor Augen; und
wenn die römischen Juristen das Recht und den Stat im All-
gemeinen erklären, so folgen sie den griechischen Philo-
sophen, vorzüglich den Stoikern nach.

So erklärt Cicero den Stat für die höchste Schöpfung der
menschlichen Kraft (virtus) und erhebt es preisend, "dasz in
Nichts mehr der Mensch sich dem Willen der Götter nähere,
als in der Begründung und Erhaltung der Staten."3 Auch
er vergleicht gelegentlich den Stat mit dem Menschen und
das Statshaupt mit dem Geiste, der den Leib beherrsche. 4


3 Cicero de Rep. 1. 7.: "Neque est ulla res, in qua propins ad Deo-
rum numen virtus accedat humana, quam civitates aut condere novas
aut conservare jam conditas."
4 Cicero de Rep. III. 25.: "Sic regum, sic imperatorum, sic magi-
stratuum, sic patrum, sic populorum imperia civibus sociispue praesunt,
ut corporibus animus."

Erstes Buch. Der Statsbegriff.
stücken der hellenischen Nation, aus Stämmen und Stammes-
theilen gebildet. Sie erheben sich nur wenig über blosze
Stadtgemeinden. Die hohe Idee gewinnt daher nur eine
niedere Gestalt; obwohl auf die Menschheit bezogen, kann sie
nur in dem engen Umkreis eines Gebirgsthals oder eines
Küstensaumes zu kindlicher Erscheinung gelangen.

Die Ueberspannung der Statsidee zur Allmacht und die
Ohnmacht in der Gestaltung der wirklichen Staten sind also
dicht beisammen; es sind das die beiden Hauptmängel des
im übrigen höchst würdigen und in anderer Hinsicht mensch-
lich-wahren und fruchtbaren hellenischen Statsbegriffs.

B. Die römische Statsidee.

Die Römer waren das genialste Rechts- und Stats-
volk
des classischen Alterthums; und sie waren das mehr noch
durch ihren Charakter als ihren Geist. Sie übten daher auch
eine gröszere Wirkung auf die Welt aus als die Hellenen.

Zunächst freilich ist die römische Statsidee mit der grie-
chischen nahe verwandt. Cicero hat in seinen Werken über
den Stat beständig die Athenischen Vorbilder vor Augen; und
wenn die römischen Juristen das Recht und den Stat im All-
gemeinen erklären, so folgen sie den griechischen Philo-
sophen, vorzüglich den Stoikern nach.

So erklärt Cicero den Stat für die höchste Schöpfung der
menschlichen Kraft (virtus) und erhebt es preisend, „dasz in
Nichts mehr der Mensch sich dem Willen der Götter nähere,
als in der Begründung und Erhaltung der Staten.“3 Auch
er vergleicht gelegentlich den Stat mit dem Menschen und
das Statshaupt mit dem Geiste, der den Leib beherrsche. 4


3 Cicero de Rep. 1. 7.: „Neque est ulla res, in qua propins ad Deo-
rum numen virtus accedat humana, quam civitates aut condere novas
aut conservare jam conditas.“
4 Cicero de Rep. III. 25.: „Sic regum, sic imperatorum, sic magi-
stratuum, sic patrum, sic populorum imperia civibus sociispue praesunt,
ut corporibus animus.“
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[40/0058] Erstes Buch. Der Statsbegriff. stücken der hellenischen Nation, aus Stämmen und Stammes- theilen gebildet. Sie erheben sich nur wenig über blosze Stadtgemeinden. Die hohe Idee gewinnt daher nur eine niedere Gestalt; obwohl auf die Menschheit bezogen, kann sie nur in dem engen Umkreis eines Gebirgsthals oder eines Küstensaumes zu kindlicher Erscheinung gelangen. Die Ueberspannung der Statsidee zur Allmacht und die Ohnmacht in der Gestaltung der wirklichen Staten sind also dicht beisammen; es sind das die beiden Hauptmängel des im übrigen höchst würdigen und in anderer Hinsicht mensch- lich-wahren und fruchtbaren hellenischen Statsbegriffs. B. Die römische Statsidee. Die Römer waren das genialste Rechts- und Stats- volk des classischen Alterthums; und sie waren das mehr noch durch ihren Charakter als ihren Geist. Sie übten daher auch eine gröszere Wirkung auf die Welt aus als die Hellenen. Zunächst freilich ist die römische Statsidee mit der grie- chischen nahe verwandt. Cicero hat in seinen Werken über den Stat beständig die Athenischen Vorbilder vor Augen; und wenn die römischen Juristen das Recht und den Stat im All- gemeinen erklären, so folgen sie den griechischen Philo- sophen, vorzüglich den Stoikern nach. So erklärt Cicero den Stat für die höchste Schöpfung der menschlichen Kraft (virtus) und erhebt es preisend, „dasz in Nichts mehr der Mensch sich dem Willen der Götter nähere, als in der Begründung und Erhaltung der Staten.“ 3 Auch er vergleicht gelegentlich den Stat mit dem Menschen und das Statshaupt mit dem Geiste, der den Leib beherrsche. 4 3 Cicero de Rep. 1. 7.: „Neque est ulla res, in qua propins ad Deo- rum numen virtus accedat humana, quam civitates aut condere novas aut conservare jam conditas.“ 4 Cicero de Rep. III. 25.: „Sic regum, sic imperatorum, sic magi- stratuum, sic patrum, sic populorum imperia civibus sociispue praesunt, ut corporibus animus.“

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/58>, abgerufen am 24.11.2024.