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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Sechstes Buch. Die Statsformen.

Nicht immer haben aber die Einzelstaten und der Ge-
sammtstat dieselbe Verfassungsform. Der deutsche Bund von
1815 blieb eine Oligarchie von souveränen Fürsten, ohne Volks-
vertretung, während in den Einzelstaten die constitutionelle
Monarchie nach und nach eingeführt ward. Einzelne Cantone
der Schweiz sind noch absolute Demokratien, während der
Gesammtstat repräsentativ-demokratisch ist. Die englische
Verfassung ist constitutionel-monarchisch, aber englische Neben-
länder in Asien werden noch als Absolutien verwaltet, andere
halbsouveräne Staten sind Republiken unter brittischer Schutz-
hoheit.

Sind die Nationalitäten, die Civilisationsstufen und die
historischen Bedingungen sehr verschieden, so wird sich auch
eine Verschiedenheit der Verfassungsform rechtfertigen; sind
sie gleichartig -- wie im Deutschen Bund -- so wird diese
Verschiedenheit als Unnatur und Disharmonie empfunden.

Zu allen zusammengesetzten Statswesen kommt aber
nothwendig ein neuer Gegensatz hinzu, nämlich das Macht-
verhältnisz
des einen Gesammt- oder Hauptstates zu der
Selbständigkeit der Einzel- oder Nebenstaten.

Mit Rücksicht darauf lassen sich folgende Hauptverhält-
nisse unterscheiden:

I. Ein herrschender Hauptstat mit ganz unter-
thänigen Nebenländern
.

Von der Art sind viele Besitzungen der europäischen
Mächte vorzüglich in Asien und in Afrika. Nur der Haupt-
stat ist als freier Stat organisirt, die Nebenländer sind unfreie
und überdem der Fremdherrschaft unterworfene Staten. Die
Gegensätze der Staten sind hier äuszerst schroff und der
mögliche Conflict zwischen ihnen wird durch die Energie der
Herrschaft des einen States über den andern zu lösen versucht. 1

II. Ein oberherrlicher Hauptstat gegenüber Vasallen-

1 Vgl. die vortreffliche Ausführung bei Mill, Betrachtungen über die
Repräsentativverfassung (übersetzt von Wille). Zürich 1862.
Sechstes Buch. Die Statsformen.

Nicht immer haben aber die Einzelstaten und der Ge-
sammtstat dieselbe Verfassungsform. Der deutsche Bund von
1815 blieb eine Oligarchie von souveränen Fürsten, ohne Volks-
vertretung, während in den Einzelstaten die constitutionelle
Monarchie nach und nach eingeführt ward. Einzelne Cantone
der Schweiz sind noch absolute Demokratien, während der
Gesammtstat repräsentativ-demokratisch ist. Die englische
Verfassung ist constitutionel-monarchisch, aber englische Neben-
länder in Asien werden noch als Absolutien verwaltet, andere
halbsouveräne Staten sind Republiken unter brittischer Schutz-
hoheit.

Sind die Nationalitäten, die Civilisationsstufen und die
historischen Bedingungen sehr verschieden, so wird sich auch
eine Verschiedenheit der Verfassungsform rechtfertigen; sind
sie gleichartig — wie im Deutschen Bund — so wird diese
Verschiedenheit als Unnatur und Disharmonie empfunden.

Zu allen zusammengesetzten Statswesen kommt aber
nothwendig ein neuer Gegensatz hinzu, nämlich das Macht-
verhältnisz
des einen Gesammt- oder Hauptstates zu der
Selbständigkeit der Einzel- oder Nebenstaten.

Mit Rücksicht darauf lassen sich folgende Hauptverhält-
nisse unterscheiden:

I. Ein herrschender Hauptstat mit ganz unter-
thänigen Nebenländern
.

Von der Art sind viele Besitzungen der europäischen
Mächte vorzüglich in Asien und in Afrika. Nur der Haupt-
stat ist als freier Stat organisirt, die Nebenländer sind unfreie
und überdem der Fremdherrschaft unterworfene Staten. Die
Gegensätze der Staten sind hier äuszerst schroff und der
mögliche Conflict zwischen ihnen wird durch die Energie der
Herrschaft des einen States über den andern zu lösen versucht. 1

II. Ein oberherrlicher Hauptstat gegenüber Vasallen-

1 Vgl. die vortreffliche Ausführung bei Mill, Betrachtungen über die
Repräsentativverfassung (übersetzt von Wille). Zürich 1862.
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[556/0574] Sechstes Buch. Die Statsformen. Nicht immer haben aber die Einzelstaten und der Ge- sammtstat dieselbe Verfassungsform. Der deutsche Bund von 1815 blieb eine Oligarchie von souveränen Fürsten, ohne Volks- vertretung, während in den Einzelstaten die constitutionelle Monarchie nach und nach eingeführt ward. Einzelne Cantone der Schweiz sind noch absolute Demokratien, während der Gesammtstat repräsentativ-demokratisch ist. Die englische Verfassung ist constitutionel-monarchisch, aber englische Neben- länder in Asien werden noch als Absolutien verwaltet, andere halbsouveräne Staten sind Republiken unter brittischer Schutz- hoheit. Sind die Nationalitäten, die Civilisationsstufen und die historischen Bedingungen sehr verschieden, so wird sich auch eine Verschiedenheit der Verfassungsform rechtfertigen; sind sie gleichartig — wie im Deutschen Bund — so wird diese Verschiedenheit als Unnatur und Disharmonie empfunden. Zu allen zusammengesetzten Statswesen kommt aber nothwendig ein neuer Gegensatz hinzu, nämlich das Macht- verhältnisz des einen Gesammt- oder Hauptstates zu der Selbständigkeit der Einzel- oder Nebenstaten. Mit Rücksicht darauf lassen sich folgende Hauptverhält- nisse unterscheiden: I. Ein herrschender Hauptstat mit ganz unter- thänigen Nebenländern. Von der Art sind viele Besitzungen der europäischen Mächte vorzüglich in Asien und in Afrika. Nur der Haupt- stat ist als freier Stat organisirt, die Nebenländer sind unfreie und überdem der Fremdherrschaft unterworfene Staten. Die Gegensätze der Staten sind hier äuszerst schroff und der mögliche Conflict zwischen ihnen wird durch die Energie der Herrschaft des einen States über den andern zu lösen versucht. 1 II. Ein oberherrlicher Hauptstat gegenüber Vasallen- 1 Vgl. die vortreffliche Ausführung bei Mill, Betrachtungen über die Repräsentativverfassung (übersetzt von Wille). Zürich 1862.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 556. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/574>, abgerufen am 22.11.2024.