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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Sechstes Buch. Die Statsformen.
fassung. Die Volksbeschlüsse (psephismata) wurden ent-
scheidend, und der Demos beschlosz, wie ein absoluter Despot,
was ihm gefiel auch wider die Gesetze. 2

Die eigentliche Gesetzgebung stand zwar nicht der Volks-
versammlung selbst, sondern den Nomotheten zu; aber auf
die Entscheidung dieser hatte die Verhandlung und Stimmung
jener einen meistens überwältigenden Einflusz und die Nomo-
theten waren selber nur ein zahlreicher, im einzelnen Falle
gewählter Ausschusz der Volksversammlung. Dagegen ent-
schied die Volksversammlung selbst die wichtigsten Regierungs-
geschäfte. Sie selber hörte die Gesandten anderer Staten an,
ernannte Gesandte, berieth und bestimmte die Instructionen
derselben. Sie beschlosz Krieg oder Frieden, erwählte die
Feldherren, regelte den Sold und sogar die Art der Kriegs-
führung. Das Schicksal der eroberten Städte und Länder
wurde von ihr normirt. Sie verfügte über die Aufnahme und
Anerkennung neuer Götter, über die religiösen Feste, über
neue Priesterthümer. Sie ertheilte Bürgerrechte und Privile-
gien. Ueber den Zustand der Finanzen, die Einnahmen und
Ausgaben der Republik muszte ihr in jeder Prytanie (zu 35
oder 36 Tagen um) Rechenschaft abgelegt werden. Von ihr
wurden die Steuern auferlegt, die Schirmgelder der Metöken
bestimmt, das Münzwesen geordnet, zu freiwilligen Beiträgen
aufgefordert. Die Bauten der Tempel und öffentlichen Ge-
bäude, der Straszen, Mauern u. s. f., sowie die wichtigen Aus-
gaben für den Schiffsbau bedurften ihrer Genehmigung und
die wesentlichen Aufträge dafür gab sie selber. Sie verwen-
dete die Statsgelder auch zum Privatvergnügen der einzelnen
Bürger, indem sie diesen den Besuch der Theater bezahlen
liesz. Die regelmäszige Strafgerichtsbarkeit war der Volks-
versammlung zwar entzogen, aber in auszerordentlichen Fällen,
insbesondere wo das Gesetz ein Verbrechen nicht vorgesehen

2 Vgl. Aristot. Polit. IV. 4, 4 u. 6.

Sechstes Buch. Die Statsformen.
fassung. Die Volksbeschlüsse (ψηφίςματα) wurden ent-
scheidend, und der Demos beschlosz, wie ein absoluter Despot,
was ihm gefiel auch wider die Gesetze. 2

Die eigentliche Gesetzgebung stand zwar nicht der Volks-
versammlung selbst, sondern den Nomotheten zu; aber auf
die Entscheidung dieser hatte die Verhandlung und Stimmung
jener einen meistens überwältigenden Einflusz und die Nomo-
theten waren selber nur ein zahlreicher, im einzelnen Falle
gewählter Ausschusz der Volksversammlung. Dagegen ent-
schied die Volksversammlung selbst die wichtigsten Regierungs-
geschäfte. Sie selber hörte die Gesandten anderer Staten an,
ernannte Gesandte, berieth und bestimmte die Instructionen
derselben. Sie beschlosz Krieg oder Frieden, erwählte die
Feldherren, regelte den Sold und sogar die Art der Kriegs-
führung. Das Schicksal der eroberten Städte und Länder
wurde von ihr normirt. Sie verfügte über die Aufnahme und
Anerkennung neuer Götter, über die religiösen Feste, über
neue Priesterthümer. Sie ertheilte Bürgerrechte und Privile-
gien. Ueber den Zustand der Finanzen, die Einnahmen und
Ausgaben der Republik muszte ihr in jeder Prytanie (zu 35
oder 36 Tagen um) Rechenschaft abgelegt werden. Von ihr
wurden die Steuern auferlegt, die Schirmgelder der Metöken
bestimmt, das Münzwesen geordnet, zu freiwilligen Beiträgen
aufgefordert. Die Bauten der Tempel und öffentlichen Ge-
bäude, der Straszen, Mauern u. s. f., sowie die wichtigen Aus-
gaben für den Schiffsbau bedurften ihrer Genehmigung und
die wesentlichen Aufträge dafür gab sie selber. Sie verwen-
dete die Statsgelder auch zum Privatvergnügen der einzelnen
Bürger, indem sie diesen den Besuch der Theater bezahlen
liesz. Die regelmäszige Strafgerichtsbarkeit war der Volks-
versammlung zwar entzogen, aber in auszerordentlichen Fällen,
insbesondere wo das Gesetz ein Verbrechen nicht vorgesehen

2 Vgl. Aristot. Polit. IV. 4, 4 u. 6.
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[528/0546] Sechstes Buch. Die Statsformen. fassung. Die Volksbeschlüsse (ψηφίςματα) wurden ent- scheidend, und der Demos beschlosz, wie ein absoluter Despot, was ihm gefiel auch wider die Gesetze. 2 Die eigentliche Gesetzgebung stand zwar nicht der Volks- versammlung selbst, sondern den Nomotheten zu; aber auf die Entscheidung dieser hatte die Verhandlung und Stimmung jener einen meistens überwältigenden Einflusz und die Nomo- theten waren selber nur ein zahlreicher, im einzelnen Falle gewählter Ausschusz der Volksversammlung. Dagegen ent- schied die Volksversammlung selbst die wichtigsten Regierungs- geschäfte. Sie selber hörte die Gesandten anderer Staten an, ernannte Gesandte, berieth und bestimmte die Instructionen derselben. Sie beschlosz Krieg oder Frieden, erwählte die Feldherren, regelte den Sold und sogar die Art der Kriegs- führung. Das Schicksal der eroberten Städte und Länder wurde von ihr normirt. Sie verfügte über die Aufnahme und Anerkennung neuer Götter, über die religiösen Feste, über neue Priesterthümer. Sie ertheilte Bürgerrechte und Privile- gien. Ueber den Zustand der Finanzen, die Einnahmen und Ausgaben der Republik muszte ihr in jeder Prytanie (zu 35 oder 36 Tagen um) Rechenschaft abgelegt werden. Von ihr wurden die Steuern auferlegt, die Schirmgelder der Metöken bestimmt, das Münzwesen geordnet, zu freiwilligen Beiträgen aufgefordert. Die Bauten der Tempel und öffentlichen Ge- bäude, der Straszen, Mauern u. s. f., sowie die wichtigen Aus- gaben für den Schiffsbau bedurften ihrer Genehmigung und die wesentlichen Aufträge dafür gab sie selber. Sie verwen- dete die Statsgelder auch zum Privatvergnügen der einzelnen Bürger, indem sie diesen den Besuch der Theater bezahlen liesz. Die regelmäszige Strafgerichtsbarkeit war der Volks- versammlung zwar entzogen, aber in auszerordentlichen Fällen, insbesondere wo das Gesetz ein Verbrechen nicht vorgesehen 2 Vgl. Aristot. Polit. IV. 4, 4 u. 6.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 528. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/546>, abgerufen am 23.11.2024.