Zwanzigstes Cap. IV. Demokrat. Statsformen. A. Die unmittelb. Demokr.
Demokratie gebrochen, und dann erst durch das Kaiserthum erdrückt worden. Die italienischen und die deutschen Aristo- kratien des Mittelalters sind vorerst durch die wachsende Macht der Fürsten überholt und gedemüthigt worden, und dann erst der Feindschaft der bürgerlichen Classen erlegen.
In dem modernen Stat nehmen daher die aristokratischen Classen nur noch als ein ausgezeichneter Bestandtheil des Volks eine mittlere, aber nirgends mehr eine souveräne Stellung ein. Sie sind überall entweder der Monarchie oder der Demokratie untergeordnet. Sie können jene unterstützen oder ermäszigen und diese veredeln oder beschränken, aber sie können nicht mehr die Statsregierung von Rechtswegen in Anspruch nehmen.
Zwanzigstes Capitel. IV. Demokratische Statsformen. A. Die unmittelbare (antike) Demokratie.
Die Art, wie im Alterthum die Demokratie (demokratia, d. h. Herrschaft des Demos der freien gemeinen Bürgerschaft) verstanden wurde, und wie sie in der neuern Zeit aufgefaszt wird, ist sehr verschieden. Die alten Demokraten gingen von dem State aus, und suchten die Freiheit Aller in der poli- tisch-gleichen Herrschaft Aller. Die neuern Demokraten gehen von der individuellen Freiheit der Einzelnen aus, und suchen möglichst wenig davon abzugeben an das Ganze, möglichst wenig zu gehorchen. Die alte Demokratie ferner war durchweg eine unmittelbare Demokratie, wenn auch bald in absoluter Form, bald ermäszigt; die neuere dagegen ist regelmäszig eine repräsentative Demokratie. Es ist einleuchtend, dasz die erstere nur in einem kleinen Stats-
Zwanzigstes Cap. IV. Demokrat. Statsformen. A. Die unmittelb. Demokr.
Demokratie gebrochen, und dann erst durch das Kaiserthum erdrückt worden. Die italienischen und die deutschen Aristo- kratien des Mittelalters sind vorerst durch die wachsende Macht der Fürsten überholt und gedemüthigt worden, und dann erst der Feindschaft der bürgerlichen Classen erlegen.
In dem modernen Stat nehmen daher die aristokratischen Classen nur noch als ein ausgezeichneter Bestandtheil des Volks eine mittlere, aber nirgends mehr eine souveräne Stellung ein. Sie sind überall entweder der Monarchie oder der Demokratie untergeordnet. Sie können jene unterstützen oder ermäszigen und diese veredeln oder beschränken, aber sie können nicht mehr die Statsregierung von Rechtswegen in Anspruch nehmen.
Zwanzigstes Capitel. IV. Demokratische Statsformen. A. Die unmittelbare (antike) Demokratie.
Die Art, wie im Alterthum die Demokratie (δημοϰϱατία, d. h. Herrschaft des Demos der freien gemeinen Bürgerschaft) verstanden wurde, und wie sie in der neuern Zeit aufgefaszt wird, ist sehr verschieden. Die alten Demokraten gingen von dem State aus, und suchten die Freiheit Aller in der poli- tisch-gleichen Herrschaft Aller. Die neuern Demokraten gehen von der individuellen Freiheit der Einzelnen aus, und suchen möglichst wenig davon abzugeben an das Ganze, möglichst wenig zu gehorchen. Die alte Demokratie ferner war durchweg eine unmittelbare Demokratie, wenn auch bald in absoluter Form, bald ermäszigt; die neuere dagegen ist regelmäszig eine repräsentative Demokratie. Es ist einleuchtend, dasz die erstere nur in einem kleinen Stats-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0543"n="525"/><fwplace="top"type="header">Zwanzigstes Cap. IV. Demokrat. Statsformen. A. Die unmittelb. Demokr.</fw><lb/>
Demokratie gebrochen, und dann erst durch das Kaiserthum<lb/>
erdrückt worden. Die italienischen und die deutschen Aristo-<lb/>
kratien des Mittelalters sind vorerst durch die wachsende<lb/>
Macht der Fürsten überholt und gedemüthigt worden, und<lb/>
dann erst der Feindschaft der bürgerlichen Classen erlegen.</p><lb/><p>In dem modernen Stat nehmen daher die aristokratischen<lb/>
Classen nur noch als ein ausgezeichneter Bestandtheil des<lb/>
Volks eine <hirendition="#g">mittlere</hi>, aber nirgends mehr eine souveräne<lb/>
Stellung ein. Sie sind überall entweder der Monarchie oder<lb/>
der Demokratie untergeordnet. Sie können jene unterstützen<lb/>
oder ermäszigen und diese veredeln oder beschränken, aber<lb/>
sie können nicht mehr die Statsregierung von Rechtswegen<lb/>
in Anspruch nehmen.</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="2"><head>Zwanzigstes Capitel.<lb/><hirendition="#b">IV. Demokratische Statsformen.<lb/>
A. Die unmittelbare (antike) Demokratie.</hi></head><lb/><p>Die Art, wie im Alterthum die Demokratie (δημοϰϱατία,<lb/>
d. h. Herrschaft des Demos der freien gemeinen Bürgerschaft)<lb/>
verstanden wurde, und wie sie in der neuern Zeit aufgefaszt<lb/>
wird, ist sehr verschieden. Die alten Demokraten gingen von<lb/>
dem <hirendition="#g">State</hi> aus, und suchten die Freiheit Aller in der poli-<lb/>
tisch-gleichen <hirendition="#g">Herrschaft</hi> Aller. Die neuern Demokraten<lb/>
gehen von der <hirendition="#g">individuellen Freiheit</hi> der Einzelnen aus,<lb/>
und suchen möglichst wenig davon abzugeben an das Ganze,<lb/>
möglichst wenig zu <hirendition="#g">gehorchen</hi>. Die alte Demokratie ferner<lb/>
war durchweg eine <hirendition="#g">unmittelbare</hi> Demokratie, wenn auch<lb/>
bald in absoluter Form, bald ermäszigt; die neuere dagegen<lb/>
ist regelmäszig eine <hirendition="#g">repräsentative</hi> Demokratie. Es ist<lb/>
einleuchtend, dasz die erstere nur in einem kleinen Stats-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[525/0543]
Zwanzigstes Cap. IV. Demokrat. Statsformen. A. Die unmittelb. Demokr.
Demokratie gebrochen, und dann erst durch das Kaiserthum
erdrückt worden. Die italienischen und die deutschen Aristo-
kratien des Mittelalters sind vorerst durch die wachsende
Macht der Fürsten überholt und gedemüthigt worden, und
dann erst der Feindschaft der bürgerlichen Classen erlegen.
In dem modernen Stat nehmen daher die aristokratischen
Classen nur noch als ein ausgezeichneter Bestandtheil des
Volks eine mittlere, aber nirgends mehr eine souveräne
Stellung ein. Sie sind überall entweder der Monarchie oder
der Demokratie untergeordnet. Sie können jene unterstützen
oder ermäszigen und diese veredeln oder beschränken, aber
sie können nicht mehr die Statsregierung von Rechtswegen
in Anspruch nehmen.
Zwanzigstes Capitel.
IV. Demokratische Statsformen.
A. Die unmittelbare (antike) Demokratie.
Die Art, wie im Alterthum die Demokratie (δημοϰϱατία,
d. h. Herrschaft des Demos der freien gemeinen Bürgerschaft)
verstanden wurde, und wie sie in der neuern Zeit aufgefaszt
wird, ist sehr verschieden. Die alten Demokraten gingen von
dem State aus, und suchten die Freiheit Aller in der poli-
tisch-gleichen Herrschaft Aller. Die neuern Demokraten
gehen von der individuellen Freiheit der Einzelnen aus,
und suchen möglichst wenig davon abzugeben an das Ganze,
möglichst wenig zu gehorchen. Die alte Demokratie ferner
war durchweg eine unmittelbare Demokratie, wenn auch
bald in absoluter Form, bald ermäszigt; die neuere dagegen
ist regelmäszig eine repräsentative Demokratie. Es ist
einleuchtend, dasz die erstere nur in einem kleinen Stats-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 525. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/543>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.