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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Sechstes Buch. Die Statsformen.
dieser regierenden Aristokratie, dem Reichsfürstenrath,
gelungen, so wird noch das reichsstädtische Collegium
um seine Zustimmung befragt; aber da zu der Zeit auch in
den Reichsstädten gewöhnlich eine patricische Aristokratie das
Regiment besitzt, so ist selbst hier wieder die Vertretung
auf den Reichstagen groszentheils aristokratisch. Die Reichs-
regierung steht dem Kaiser und dem Kurfürsten gemeinsam
zu, nicht jenem allein, und an eine unmittelbare Einwirkung
und Beherrschung der Reichsgewalt den Personen und Zu-
ständen gegenüber ist nicht mehr zu denken. Diese war in
jeder Weise unterbrochen durch die Landesherrschaft der erb-
lichen Reichsaristokratie, unterbrochen und gelähmt bei wei-
tem mehr als vermittelt.

In allen politischen und rechtlichen Verhältnissen zeigt
sich diese aristokratische Neigung des Mittelalters zu erb-
licher Befestigung derselben. Die Lehen, die Reichswürden
und Aemter, die Gerichtsbarkeit in allen Stufen, Grafschaften,
Vogteien, Grundherrschaften, selbst die Stühle der urtheilen-
den Schöffen, die Ritterschaft, der Hofdienst der Ministeria-
len, die Patriciate in den Städten, die Meyer- und Kellerämter
in den Dörfern, der hofrechtliche Besitz der hörigen Bauern,
Alles wurde während des Mittelalters erblich.

Im Gegensatze zu dieser Richtung des Mittelalters äuszert
dagegen die neuere Zeit vielfältig ihre Abneigung gegen
das politische Princip der Erblichkeit. In beiden sich wider-
streitenden Tendenzen liegt ein Element der Wahrheit, und
eines des Irrthums und der Uebertreibung. Die neuere Zeit
hat Recht, wenn sie gegen die Hemmnisse ankämpft, welche
eine verhärtete und beschränkte Erblichkeit der Verhältnisse
der Entwicklung des Lebens und der Befriedigung der mo-
dernen Bedürfnisse entgegensetzt; sie hat Recht, wenn sie
für die individuelle Tüchtigkeit Anerkennung verlangt; Recht,
wenn sie nicht mehr zugibt, dasz die politischen Aemter,
welche persönliche Fähigkeit und zugleich Unterordnung unter

Sechstes Buch. Die Statsformen.
dieser regierenden Aristokratie, dem Reichsfürstenrath,
gelungen, so wird noch das reichsstädtische Collegium
um seine Zustimmung befragt; aber da zu der Zeit auch in
den Reichsstädten gewöhnlich eine patricische Aristokratie das
Regiment besitzt, so ist selbst hier wieder die Vertretung
auf den Reichstagen groszentheils aristokratisch. Die Reichs-
regierung steht dem Kaiser und dem Kurfürsten gemeinsam
zu, nicht jenem allein, und an eine unmittelbare Einwirkung
und Beherrschung der Reichsgewalt den Personen und Zu-
ständen gegenüber ist nicht mehr zu denken. Diese war in
jeder Weise unterbrochen durch die Landesherrschaft der erb-
lichen Reichsaristokratie, unterbrochen und gelähmt bei wei-
tem mehr als vermittelt.

In allen politischen und rechtlichen Verhältnissen zeigt
sich diese aristokratische Neigung des Mittelalters zu erb-
licher Befestigung derselben. Die Lehen, die Reichswürden
und Aemter, die Gerichtsbarkeit in allen Stufen, Grafschaften,
Vogteien, Grundherrschaften, selbst die Stühle der urtheilen-
den Schöffen, die Ritterschaft, der Hofdienst der Ministeria-
len, die Patriciate in den Städten, die Meyer- und Kellerämter
in den Dörfern, der hofrechtliche Besitz der hörigen Bauern,
Alles wurde während des Mittelalters erblich.

Im Gegensatze zu dieser Richtung des Mittelalters äuszert
dagegen die neuere Zeit vielfältig ihre Abneigung gegen
das politische Princip der Erblichkeit. In beiden sich wider-
streitenden Tendenzen liegt ein Element der Wahrheit, und
eines des Irrthums und der Uebertreibung. Die neuere Zeit
hat Recht, wenn sie gegen die Hemmnisse ankämpft, welche
eine verhärtete und beschränkte Erblichkeit der Verhältnisse
der Entwicklung des Lebens und der Befriedigung der mo-
dernen Bedürfnisse entgegensetzt; sie hat Recht, wenn sie
für die individuelle Tüchtigkeit Anerkennung verlangt; Recht,
wenn sie nicht mehr zugibt, dasz die politischen Aemter,
welche persönliche Fähigkeit und zugleich Unterordnung unter

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[522/0540] Sechstes Buch. Die Statsformen. dieser regierenden Aristokratie, dem Reichsfürstenrath, gelungen, so wird noch das reichsstädtische Collegium um seine Zustimmung befragt; aber da zu der Zeit auch in den Reichsstädten gewöhnlich eine patricische Aristokratie das Regiment besitzt, so ist selbst hier wieder die Vertretung auf den Reichstagen groszentheils aristokratisch. Die Reichs- regierung steht dem Kaiser und dem Kurfürsten gemeinsam zu, nicht jenem allein, und an eine unmittelbare Einwirkung und Beherrschung der Reichsgewalt den Personen und Zu- ständen gegenüber ist nicht mehr zu denken. Diese war in jeder Weise unterbrochen durch die Landesherrschaft der erb- lichen Reichsaristokratie, unterbrochen und gelähmt bei wei- tem mehr als vermittelt. In allen politischen und rechtlichen Verhältnissen zeigt sich diese aristokratische Neigung des Mittelalters zu erb- licher Befestigung derselben. Die Lehen, die Reichswürden und Aemter, die Gerichtsbarkeit in allen Stufen, Grafschaften, Vogteien, Grundherrschaften, selbst die Stühle der urtheilen- den Schöffen, die Ritterschaft, der Hofdienst der Ministeria- len, die Patriciate in den Städten, die Meyer- und Kellerämter in den Dörfern, der hofrechtliche Besitz der hörigen Bauern, Alles wurde während des Mittelalters erblich. Im Gegensatze zu dieser Richtung des Mittelalters äuszert dagegen die neuere Zeit vielfältig ihre Abneigung gegen das politische Princip der Erblichkeit. In beiden sich wider- streitenden Tendenzen liegt ein Element der Wahrheit, und eines des Irrthums und der Uebertreibung. Die neuere Zeit hat Recht, wenn sie gegen die Hemmnisse ankämpft, welche eine verhärtete und beschränkte Erblichkeit der Verhältnisse der Entwicklung des Lebens und der Befriedigung der mo- dernen Bedürfnisse entgegensetzt; sie hat Recht, wenn sie für die individuelle Tüchtigkeit Anerkennung verlangt; Recht, wenn sie nicht mehr zugibt, dasz die politischen Aemter, welche persönliche Fähigkeit und zugleich Unterordnung unter

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 522. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/540>, abgerufen am 27.11.2024.