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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Vierz. Cap. II. Mon. Statsformen. G. Const. Monarchie. 1. Entstehung etc.
letzteren Stände vorzüglich gegen die grosze Macht des Adels
stützen müssen, der auszerhalb der Reichsstände in dem aus-
schlieszlich aus ihm bestellten Reichsrathe (Statsrath und
Ministerien) das wichtigste Organ seines Einflusses besasz.
Erst Gustav III. brach dieses Uebergewicht der Aristokratie,
welche die Existenz der Krone und die Sicherheit des Landes
bedroht hatte, und eröffnete auch (1789) nicht adeligen Per-
sonen den Zutritt zu den oberen Reichsämtern, nur die "höch-
sten und vornehmsten Aemter des Reiches und Hofes" noch
ausgenommen.

Die Verfassung Schwedens vom 7. Juni 1809 22 ist eine
Fortbildung der früheren Verfassung von 1772. 23 Mit beson-
derer Ausführlichkeit und Sorgfalt, und mehr als in den übri-
gen Constitutionen der neueren Zeit sind in derselben der
königliche Statsrath und die vier Statssecretäre be-
handelt. Die Ernennung auch zu diesen Stellen ist nicht
mehr auf den Kreis des Adels eingeschränkt. Die Reichs-
stände, ohne deren Mitwirkung und Zustimmung der König
weder die Verfassung ändern, noch Gesetze geben, noch neue
Steuern erheben darf, war noch vor kurzem in vier Stände
getheilt. Die Mehrheit dreier Stände war in der Regel für
den vierten bindend, bei Verfassungsgesetzen aber Einigkeit
aller vier Stände und des Königs erforderlich.

Diese Verfassung schlosz sich in manchen Beziehungen
noch näher an die auch in Deutschland im Mittelalter be-
standenen Grundlagen der ständischen Verfassungen an. Die
Schwierigkeit aber, bei dieser Viergliederung der Stände einen
einheitlichen Nationalwillen zu Stande zu bringen, war wohl
eine Hauptursache, weszhalb dieselbe auszerhalb Schwedens
wenig Beachtung und keine Nachbildung fand, obwohl sie in
andern Beziehungen mancherlei Vorzüge vor vielen andern
modernen Systemen besitzt. Im Jahr 1865 kam endlich auch

22 Schubert, Verf. II, S. 368.
23 Schubert, Verf. II, S. 349.

Vierz. Cap. II. Mon. Statsformen. G. Const. Monarchie. 1. Entstehung etc.
letzteren Stände vorzüglich gegen die grosze Macht des Adels
stützen müssen, der auszerhalb der Reichsstände in dem aus-
schlieszlich aus ihm bestellten Reichsrathe (Statsrath und
Ministerien) das wichtigste Organ seines Einflusses besasz.
Erst Gustav III. brach dieses Uebergewicht der Aristokratie,
welche die Existenz der Krone und die Sicherheit des Landes
bedroht hatte, und eröffnete auch (1789) nicht adeligen Per-
sonen den Zutritt zu den oberen Reichsämtern, nur die „höch-
sten und vornehmsten Aemter des Reiches und Hofes“ noch
ausgenommen.

Die Verfassung Schwedens vom 7. Juni 1809 22 ist eine
Fortbildung der früheren Verfassung von 1772. 23 Mit beson-
derer Ausführlichkeit und Sorgfalt, und mehr als in den übri-
gen Constitutionen der neueren Zeit sind in derselben der
königliche Statsrath und die vier Statssecretäre be-
handelt. Die Ernennung auch zu diesen Stellen ist nicht
mehr auf den Kreis des Adels eingeschränkt. Die Reichs-
stände, ohne deren Mitwirkung und Zustimmung der König
weder die Verfassung ändern, noch Gesetze geben, noch neue
Steuern erheben darf, war noch vor kurzem in vier Stände
getheilt. Die Mehrheit dreier Stände war in der Regel für
den vierten bindend, bei Verfassungsgesetzen aber Einigkeit
aller vier Stände und des Königs erforderlich.

Diese Verfassung schlosz sich in manchen Beziehungen
noch näher an die auch in Deutschland im Mittelalter be-
standenen Grundlagen der ständischen Verfassungen an. Die
Schwierigkeit aber, bei dieser Viergliederung der Stände einen
einheitlichen Nationalwillen zu Stande zu bringen, war wohl
eine Hauptursache, weszhalb dieselbe auszerhalb Schwedens
wenig Beachtung und keine Nachbildung fand, obwohl sie in
andern Beziehungen mancherlei Vorzüge vor vielen andern
modernen Systemen besitzt. Im Jahr 1865 kam endlich auch

22 Schubert, Verf. II, S. 368.
23 Schubert, Verf. II, S. 349.
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[469/0487] Vierz. Cap. II. Mon. Statsformen. G. Const. Monarchie. 1. Entstehung etc. letzteren Stände vorzüglich gegen die grosze Macht des Adels stützen müssen, der auszerhalb der Reichsstände in dem aus- schlieszlich aus ihm bestellten Reichsrathe (Statsrath und Ministerien) das wichtigste Organ seines Einflusses besasz. Erst Gustav III. brach dieses Uebergewicht der Aristokratie, welche die Existenz der Krone und die Sicherheit des Landes bedroht hatte, und eröffnete auch (1789) nicht adeligen Per- sonen den Zutritt zu den oberen Reichsämtern, nur die „höch- sten und vornehmsten Aemter des Reiches und Hofes“ noch ausgenommen. Die Verfassung Schwedens vom 7. Juni 1809 22 ist eine Fortbildung der früheren Verfassung von 1772. 23 Mit beson- derer Ausführlichkeit und Sorgfalt, und mehr als in den übri- gen Constitutionen der neueren Zeit sind in derselben der königliche Statsrath und die vier Statssecretäre be- handelt. Die Ernennung auch zu diesen Stellen ist nicht mehr auf den Kreis des Adels eingeschränkt. Die Reichs- stände, ohne deren Mitwirkung und Zustimmung der König weder die Verfassung ändern, noch Gesetze geben, noch neue Steuern erheben darf, war noch vor kurzem in vier Stände getheilt. Die Mehrheit dreier Stände war in der Regel für den vierten bindend, bei Verfassungsgesetzen aber Einigkeit aller vier Stände und des Königs erforderlich. Diese Verfassung schlosz sich in manchen Beziehungen noch näher an die auch in Deutschland im Mittelalter be- standenen Grundlagen der ständischen Verfassungen an. Die Schwierigkeit aber, bei dieser Viergliederung der Stände einen einheitlichen Nationalwillen zu Stande zu bringen, war wohl eine Hauptursache, weszhalb dieselbe auszerhalb Schwedens wenig Beachtung und keine Nachbildung fand, obwohl sie in andern Beziehungen mancherlei Vorzüge vor vielen andern modernen Systemen besitzt. Im Jahr 1865 kam endlich auch 22 Schubert, Verf. II, S. 368. 23 Schubert, Verf. II, S. 349.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 469. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/487>, abgerufen am 24.11.2024.