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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Dreizehntes Cap. II. Monarch. Statsformen. F. Neuere absol. Monarchie.
ausgaben. Weil Gott unumschränkter Herr der Welt ist, die
er geschaffen hat, und die er mit seinem Geiste erfüllt und
erhält, so sollten die Könige auch unumschränkte Herren der
Völker sein, die sie nicht geschaffen haben, und die sie nicht
zu erfüllen noch zu erhalten vermögen. Es kam, wie in den
Zeiten der römischen Imperatoren, wieder dahin, dasz die
Könige es liebten, sich auch mit der Gottheit zu identificiren.
Man weisz wie gern Ludwig XIV. den Jupiter gespielt hat, was
freilich in heidnischer Form eher anging als in christlicher.

Unmittelbar neben dieser Allmacht des Absolutismus,
welche nun durch die Theorie dem Monarchen zugesprochen,
und auch in wichtigen Beziehungen practisch geübt wurde,
offenbarte sich freilich von Zeit zu Zeit die völlige Ohn-
macht
der absoluten Könige. Es geschah nicht selten, dasz
Fürsten, welchen Schmeichelei und knechtischer Sinn eine
schrankenlose Gewalt beimaszen, selber zu willenlosen Dienern
des Ehrgeizes ihrer Günstlinge oder der Herrschsucht und Aus-
schweifung ihrer Maitressen erniedrigt wurden. Alles hing
ja von der Persönlichkeit des Monarchen ab. War er ein
hervorragendes Individuum, welches die dictatorische Gewalt
mit Energie und Geist zu handhaben verstand, wie Lud-
wig
XIV. selbst, bevor das Alter und der Genusz seine
Kräfte aufgezehrt hatten, so mochte er wenigstens den Schein
der Allmacht erhalten. Auf die Dauer konnte aber selbst ein
solcher Mann nicht auf so schwindlicher Höhe feststehen. 6

6 Lord Chatham (Brougham, Statsmänner I. S. 29) in einer Par-
lamentsrede: "Absolute Gewalt richtet den zu Grunde, der sie besitzt,
und ich weisz, dasz wo Gesetzlichkeit aufhört, Tyrannei beginnt." Gui-
zot
, Essais S. 245: "c'est le vice de la monarchie pure (?)
d'elever le
pouvoir si haut que la tete tourne a celui qui le possede et que ceux
qui le subissent osent a peine le regarder. Le souverain s'y croit un
dieu, le peuple y tombe dans l'idolatrie. On peut ecrire alors les devoirs
des rois et les droits des sujets; on peut meme les precher sans cesse;
mais les situations ont plus de force que les paroles, et quand l'inega-
lite est immense, les uns oublient aisement leurs devoirs, les autres leurs
droits."

Dreizehntes Cap. II. Monarch. Statsformen. F. Neuere absol. Monarchie.
ausgaben. Weil Gott unumschränkter Herr der Welt ist, die
er geschaffen hat, und die er mit seinem Geiste erfüllt und
erhält, so sollten die Könige auch unumschränkte Herren der
Völker sein, die sie nicht geschaffen haben, und die sie nicht
zu erfüllen noch zu erhalten vermögen. Es kam, wie in den
Zeiten der römischen Imperatoren, wieder dahin, dasz die
Könige es liebten, sich auch mit der Gottheit zu identificiren.
Man weisz wie gern Ludwig XIV. den Jupiter gespielt hat, was
freilich in heidnischer Form eher anging als in christlicher.

Unmittelbar neben dieser Allmacht des Absolutismus,
welche nun durch die Theorie dem Monarchen zugesprochen,
und auch in wichtigen Beziehungen practisch geübt wurde,
offenbarte sich freilich von Zeit zu Zeit die völlige Ohn-
macht
der absoluten Könige. Es geschah nicht selten, dasz
Fürsten, welchen Schmeichelei und knechtischer Sinn eine
schrankenlose Gewalt beimaszen, selber zu willenlosen Dienern
des Ehrgeizes ihrer Günstlinge oder der Herrschsucht und Aus-
schweifung ihrer Maitressen erniedrigt wurden. Alles hing
ja von der Persönlichkeit des Monarchen ab. War er ein
hervorragendes Individuum, welches die dictatorische Gewalt
mit Energie und Geist zu handhaben verstand, wie Lud-
wig
XIV. selbst, bevor das Alter und der Genusz seine
Kräfte aufgezehrt hatten, so mochte er wenigstens den Schein
der Allmacht erhalten. Auf die Dauer konnte aber selbst ein
solcher Mann nicht auf so schwindlicher Höhe feststehen. 6

6 Lord Chatham (Brougham, Statsmänner I. S. 29) in einer Par-
lamentsrede: „Absolute Gewalt richtet den zu Grunde, der sie besitzt,
und ich weisz, dasz wo Gesetzlichkeit aufhört, Tyrannei beginnt.“ Gui-
zot
, Essais S. 245: „c'est le vice de la monarchie pure (?)
d'élever le
pouvoir si haut que la tête tourne à celui qui le possède et que ceux
qui le subissent osent à peine le regarder. Le souverain s'y croit un
dieu, le peuple y tombe dans l'idolâtrie. On peut écrire alors les devoirs
des rois et les droits des sujets; on peut même les prêcher sans cesse;
mais les situations ont plus de force que les paroles, et quand l'inéga-
lité est immense, les uns oublient aisément leurs devoirs, les autres leurs
droits.“
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[445/0463] Dreizehntes Cap. II. Monarch. Statsformen. F. Neuere absol. Monarchie. ausgaben. Weil Gott unumschränkter Herr der Welt ist, die er geschaffen hat, und die er mit seinem Geiste erfüllt und erhält, so sollten die Könige auch unumschränkte Herren der Völker sein, die sie nicht geschaffen haben, und die sie nicht zu erfüllen noch zu erhalten vermögen. Es kam, wie in den Zeiten der römischen Imperatoren, wieder dahin, dasz die Könige es liebten, sich auch mit der Gottheit zu identificiren. Man weisz wie gern Ludwig XIV. den Jupiter gespielt hat, was freilich in heidnischer Form eher anging als in christlicher. Unmittelbar neben dieser Allmacht des Absolutismus, welche nun durch die Theorie dem Monarchen zugesprochen, und auch in wichtigen Beziehungen practisch geübt wurde, offenbarte sich freilich von Zeit zu Zeit die völlige Ohn- macht der absoluten Könige. Es geschah nicht selten, dasz Fürsten, welchen Schmeichelei und knechtischer Sinn eine schrankenlose Gewalt beimaszen, selber zu willenlosen Dienern des Ehrgeizes ihrer Günstlinge oder der Herrschsucht und Aus- schweifung ihrer Maitressen erniedrigt wurden. Alles hing ja von der Persönlichkeit des Monarchen ab. War er ein hervorragendes Individuum, welches die dictatorische Gewalt mit Energie und Geist zu handhaben verstand, wie Lud- wig XIV. selbst, bevor das Alter und der Genusz seine Kräfte aufgezehrt hatten, so mochte er wenigstens den Schein der Allmacht erhalten. Auf die Dauer konnte aber selbst ein solcher Mann nicht auf so schwindlicher Höhe feststehen. 6 6 Lord Chatham (Brougham, Statsmänner I. S. 29) in einer Par- lamentsrede: „Absolute Gewalt richtet den zu Grunde, der sie besitzt, und ich weisz, dasz wo Gesetzlichkeit aufhört, Tyrannei beginnt.“ Gui- zot, Essais S. 245: „c'est le vice de la monarchie pure (?) d'élever le pouvoir si haut que la tête tourne à celui qui le possède et que ceux qui le subissent osent à peine le regarder. Le souverain s'y croit un dieu, le peuple y tombe dans l'idolâtrie. On peut écrire alors les devoirs des rois et les droits des sujets; on peut même les prêcher sans cesse; mais les situations ont plus de force que les paroles, et quand l'inéga- lité est immense, les uns oublient aisément leurs devoirs, les autres leurs droits.“

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 445. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/463>, abgerufen am 24.11.2024.