Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.Sechstes Buch. Die Statsformen. Er ging in das französische Rechtssprichwort über: "Qui veutle roi, si veut la loi." War einmal das Recht der Gesetz- gebung in dem Könige concentrirt, und wurde dasselbe diesem in unbeschränkter Weise eingeräumt, so konnten von da aus die Hemmnisse, welche das Lehenswesen und die ständischen Rechte der vollen Entwicklung der Statsgewalt, des nationalen Geistes und der öffentlichen Wohlfahrt entgegensetzten, ent- fernt werden. Die von der neuen Rechtsgelehrsamkeit ge- leitete Praxis der Gerichte, besonders der königlichen Parla- mente, half im einzelnen kräftig mit, dieser Richtung den Sieg zu bereiten. Die öffentliche Meinung, zunächst in den Städten, in welchen die römische Cultur einen uralten Wohn- sitz hatte und welche von den Einflüssen des Lehensrechtes freier geblieben waren, war der veränderten Rechtsansicht günstig. Sie haszte die kleinen Herren viel mehr, als sie den nationalen König fürchtete; und die Fortschritte der städtischen Gewerbe in Handel und Handwerk schienen durch die Demüthigung und Schwächung der Lehensherren nur ge- fördert zu werden. Auch die Bauern konnten eher gewinnen als verlieren, wenn die Macht des Königs über ihre Bedränger zunahm. Seit Ludwig XI. 3 (1462-1483) war das Uebergewicht haber der absoluten Königsgewalt erklärte der für Statsrecht angestellte Professor Delaunay den Satz in nicht absolutistischem Sinne: "que la loy est la volonte du Roy et non pas que la volonte du Roy soit loy." Aber es fanden sich zu allen Zeiten dienstbare Parteimänner, welche über alle mittelalterlichen Schranken des römischen Princips hinweg- setzten und eifrig für die absolute Gewalt des Monarchen kämpften. 3 Er verbot 1463 dem Herzog von Bretagne den Ausdruck: "par la
grace de Dieu" für sich anzusprechen. Vor Karl VII. bedienten sich die Seigneurs gewöhnlich dieser Berufung in ihren Titeln. Schäffner, französ. Rechtsg. II. S. 273. In dem durch die Schweizer auf Anstiften des Königs vollzogenen Untergang des Herzogs Karl des Kühnen von Burgund wurde nun das Haupt der hohen Lehensaristokratie erschlagen, und damit war der Sieg des Königthums in Frankreich entschieden. Sechstes Buch. Die Statsformen. Er ging in das französische Rechtssprichwort über: „Qui veutle roi, si veut la loi.“ War einmal das Recht der Gesetz- gebung in dem Könige concentrirt, und wurde dasselbe diesem in unbeschränkter Weise eingeräumt, so konnten von da aus die Hemmnisse, welche das Lehenswesen und die ständischen Rechte der vollen Entwicklung der Statsgewalt, des nationalen Geistes und der öffentlichen Wohlfahrt entgegensetzten, ent- fernt werden. Die von der neuen Rechtsgelehrsamkeit ge- leitete Praxis der Gerichte, besonders der königlichen Parla- mente, half im einzelnen kräftig mit, dieser Richtung den Sieg zu bereiten. Die öffentliche Meinung, zunächst in den Städten, in welchen die römische Cultur einen uralten Wohn- sitz hatte und welche von den Einflüssen des Lehensrechtes freier geblieben waren, war der veränderten Rechtsansicht günstig. Sie haszte die kleinen Herren viel mehr, als sie den nationalen König fürchtete; und die Fortschritte der städtischen Gewerbe in Handel und Handwerk schienen durch die Demüthigung und Schwächung der Lehensherren nur ge- fördert zu werden. Auch die Bauern konnten eher gewinnen als verlieren, wenn die Macht des Königs über ihre Bedränger zunahm. Seit Ludwig XI. 3 (1462-1483) war das Uebergewicht haber der absoluten Königsgewalt erklärte der für Statsrecht angestellte Professor Delaunay den Satz in nicht absolutistischem Sinne: „que la loy est la volonté du Roy et non pas que la volonté du Roy soit loy.“ Aber es fanden sich zu allen Zeiten dienstbare Parteimänner, welche über alle mittelalterlichen Schranken des römischen Princips hinweg- setzten und eifrig für die absolute Gewalt des Monarchen kämpften. 3 Er verbot 1463 dem Herzog von Bretagne den Ausdruck: „par la
grace de Dieu“ für sich anzusprechen. Vor Karl VII. bedienten sich die Seigneurs gewöhnlich dieser Berufung in ihren Titeln. Schäffner, französ. Rechtsg. II. S. 273. In dem durch die Schweizer auf Anstiften des Königs vollzogenen Untergang des Herzogs Karl des Kühnen von Burgund wurde nun das Haupt der hohen Lehensaristokratie erschlagen, und damit war der Sieg des Königthums in Frankreich entschieden. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0460" n="442"/><fw place="top" type="header">Sechstes Buch. Die Statsformen.</fw><lb/> Er ging in das französische Rechtssprichwort über: „<hi rendition="#i">Qui veut<lb/> le roi, si veut la loi</hi>.“ War einmal das Recht der Gesetz-<lb/> gebung in dem Könige concentrirt, und wurde dasselbe diesem<lb/> in unbeschränkter Weise eingeräumt, so konnten von da aus<lb/> die Hemmnisse, welche das Lehenswesen und die ständischen<lb/> Rechte der vollen Entwicklung der Statsgewalt, des nationalen<lb/> Geistes und der öffentlichen Wohlfahrt entgegensetzten, ent-<lb/> fernt werden. Die von der neuen Rechtsgelehrsamkeit ge-<lb/> leitete Praxis der Gerichte, besonders der königlichen Parla-<lb/> mente, half im einzelnen kräftig mit, dieser Richtung den<lb/> Sieg zu bereiten. Die öffentliche Meinung, zunächst in den<lb/> Städten, in welchen die römische Cultur einen uralten Wohn-<lb/> sitz hatte und welche von den Einflüssen des Lehensrechtes<lb/> freier geblieben waren, war der veränderten Rechtsansicht<lb/> günstig. Sie haszte die kleinen Herren viel mehr, als sie<lb/> den nationalen König fürchtete; und die Fortschritte der<lb/> städtischen Gewerbe in Handel und Handwerk schienen durch<lb/> die Demüthigung und Schwächung der Lehensherren nur ge-<lb/> fördert zu werden. Auch die Bauern konnten eher gewinnen<lb/> als verlieren, wenn die Macht des Königs über ihre Bedränger<lb/> zunahm.</p><lb/> <p>Seit <hi rendition="#g">Ludwig</hi> XI. <note place="foot" n="3">Er verbot 1463 dem Herzog von Bretagne den Ausdruck: „<hi rendition="#i">par la<lb/> grace de Dieu</hi>“ für sich anzusprechen. Vor Karl VII. bedienten sich die<lb/> Seigneurs gewöhnlich dieser Berufung in ihren Titeln. <hi rendition="#g">Schäffner</hi>,<lb/> französ. Rechtsg. II. S. 273. In dem durch die Schweizer auf Anstiften<lb/> des Königs vollzogenen Untergang des Herzogs Karl des Kühnen von<lb/> Burgund wurde nun das Haupt der hohen Lehensaristokratie erschlagen,<lb/> und damit war der Sieg des Königthums in Frankreich entschieden.</note> (1462-1483) war das Uebergewicht<lb/> der königlichen Gewalt über die Lehensherrschaft in Frank-<lb/><note xml:id="note-0460" prev="#note-0459" place="foot" n="2">haber der absoluten Königsgewalt erklärte der für Statsrecht angestellte<lb/> Professor <hi rendition="#i">Delaunay</hi> den Satz in nicht absolutistischem Sinne: „que la<lb/> loy est la volonté du Roy et non pas que la volonté du Roy soit loy.“<lb/> Aber es fanden sich zu allen Zeiten dienstbare Parteimänner, welche<lb/> über alle mittelalterlichen Schranken des römischen Princips hinweg-<lb/> setzten und eifrig für die absolute Gewalt des Monarchen kämpften.</note><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [442/0460]
Sechstes Buch. Die Statsformen.
Er ging in das französische Rechtssprichwort über: „Qui veut
le roi, si veut la loi.“ War einmal das Recht der Gesetz-
gebung in dem Könige concentrirt, und wurde dasselbe diesem
in unbeschränkter Weise eingeräumt, so konnten von da aus
die Hemmnisse, welche das Lehenswesen und die ständischen
Rechte der vollen Entwicklung der Statsgewalt, des nationalen
Geistes und der öffentlichen Wohlfahrt entgegensetzten, ent-
fernt werden. Die von der neuen Rechtsgelehrsamkeit ge-
leitete Praxis der Gerichte, besonders der königlichen Parla-
mente, half im einzelnen kräftig mit, dieser Richtung den
Sieg zu bereiten. Die öffentliche Meinung, zunächst in den
Städten, in welchen die römische Cultur einen uralten Wohn-
sitz hatte und welche von den Einflüssen des Lehensrechtes
freier geblieben waren, war der veränderten Rechtsansicht
günstig. Sie haszte die kleinen Herren viel mehr, als sie
den nationalen König fürchtete; und die Fortschritte der
städtischen Gewerbe in Handel und Handwerk schienen durch
die Demüthigung und Schwächung der Lehensherren nur ge-
fördert zu werden. Auch die Bauern konnten eher gewinnen
als verlieren, wenn die Macht des Königs über ihre Bedränger
zunahm.
Seit Ludwig XI. 3 (1462-1483) war das Uebergewicht
der königlichen Gewalt über die Lehensherrschaft in Frank-
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3 Er verbot 1463 dem Herzog von Bretagne den Ausdruck: „par la
grace de Dieu“ für sich anzusprechen. Vor Karl VII. bedienten sich die
Seigneurs gewöhnlich dieser Berufung in ihren Titeln. Schäffner,
französ. Rechtsg. II. S. 273. In dem durch die Schweizer auf Anstiften
des Königs vollzogenen Untergang des Herzogs Karl des Kühnen von
Burgund wurde nun das Haupt der hohen Lehensaristokratie erschlagen,
und damit war der Sieg des Königthums in Frankreich entschieden.
2 haber der absoluten Königsgewalt erklärte der für Statsrecht angestellte
Professor Delaunay den Satz in nicht absolutistischem Sinne: „que la
loy est la volonté du Roy et non pas que la volonté du Roy soit loy.“
Aber es fanden sich zu allen Zeiten dienstbare Parteimänner, welche
über alle mittelalterlichen Schranken des römischen Princips hinweg-
setzten und eifrig für die absolute Gewalt des Monarchen kämpften.
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