Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Zwölftes Capitel. II. Monarch. Statsformen. E. Die Lehensmonarchie etc.
an die Rechtsordnung gebunden und auch er konnte verklagt
werden, wenn er Unrecht verübte. Nach alter germanischer
Sitte richtet der Stellvertreter eines jeden Gerichtsherrn über
diesen, wenn er verklagt wird. So war sogar der deutsche
König, obwohl er römischer Kaiser und der oberste weltliche
Herr der Christenheit war, unter gewissen Voraussetzungen
genöthigt, vor seinem Stellvertreter, dem Pfalzgrafen bei Rhein
Rede zu stehen und sich dem Urtheil der Fürstengenossen zu
unterziehen. So richtete der Schultheisz über den Landgrafen.

Die Policeigewalt war wenig ausgebildet und gewöhn-
lich mit dem Richteramt verbunden. Eine Gensd'armerie gab
es noch nicht. Der ganze bureaukratische Apparat der heu-
tigen Policeiverwaltung fehlte.

Selbst die Heeresgewalt des Fürsten war durch das
nachwirkende Lehensrecht sehr beschränkt. Der Gehorsam
der aristokratischen Vasallenheere war enge begrenzt und be-
messen. Die Kriegsfolge der Vasallen wurde wie eine Guts-
last des Lehensgutes betrachtet und vor jeder energischen
Anspannung sorglich verhütet.

Die deutschen Könige haben es erfahren, wie schwer der
eigenwillige Trotz mächtiger Herzoge zu bändigen und wie
wenig verlässig die Treue der Reichsfürsten gegen das Reichs-
haupt war.

Die Könige und Landesherrn konnten wohl daneben auch
Soldtruppen werben und sie thaten es, um ein gefügigeres
und willfähriges Werkzeug der Gewalt sich zu schaffen. Aber
diese Söldner muszten von den Fürsten bezahlt werden, und
wenn die Landstände dafür keine Steuern bewilligten, wozu
sie nicht geneigt waren, so muszte der Sold aus dem fürst-
lichen Kammergute bestritten werden. Die Fürsten waren
daher oft genöthigt, Schulden zu machen und geriethen dann
in financielle Noth. Ueberdem wurden oft fremde Lands-
knechte als Söldner angeworben und diese machten hinwieder
den Fürsten dem Lande verhaszt, das sie knechteten.


Zwölftes Capitel. II. Monarch. Statsformen. E. Die Lehensmonarchie etc.
an die Rechtsordnung gebunden und auch er konnte verklagt
werden, wenn er Unrecht verübte. Nach alter germanischer
Sitte richtet der Stellvertreter eines jeden Gerichtsherrn über
diesen, wenn er verklagt wird. So war sogar der deutsche
König, obwohl er römischer Kaiser und der oberste weltliche
Herr der Christenheit war, unter gewissen Voraussetzungen
genöthigt, vor seinem Stellvertreter, dem Pfalzgrafen bei Rhein
Rede zu stehen und sich dem Urtheil der Fürstengenossen zu
unterziehen. So richtete der Schultheisz über den Landgrafen.

Die Policeigewalt war wenig ausgebildet und gewöhn-
lich mit dem Richteramt verbunden. Eine Gensd'armerie gab
es noch nicht. Der ganze bureaukratische Apparat der heu-
tigen Policeiverwaltung fehlte.

Selbst die Heeresgewalt des Fürsten war durch das
nachwirkende Lehensrecht sehr beschränkt. Der Gehorsam
der aristokratischen Vasallenheere war enge begrenzt und be-
messen. Die Kriegsfolge der Vasallen wurde wie eine Guts-
last des Lehensgutes betrachtet und vor jeder energischen
Anspannung sorglich verhütet.

Die deutschen Könige haben es erfahren, wie schwer der
eigenwillige Trotz mächtiger Herzoge zu bändigen und wie
wenig verlässig die Treue der Reichsfürsten gegen das Reichs-
haupt war.

Die Könige und Landesherrn konnten wohl daneben auch
Soldtruppen werben und sie thaten es, um ein gefügigeres
und willfähriges Werkzeug der Gewalt sich zu schaffen. Aber
diese Söldner muszten von den Fürsten bezahlt werden, und
wenn die Landstände dafür keine Steuern bewilligten, wozu
sie nicht geneigt waren, so muszte der Sold aus dem fürst-
lichen Kammergute bestritten werden. Die Fürsten waren
daher oft genöthigt, Schulden zu machen und geriethen dann
in financielle Noth. Ueberdem wurden oft fremde Lands-
knechte als Söldner angeworben und diese machten hinwieder
den Fürsten dem Lande verhaszt, das sie knechteten.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0457" n="439"/><fw place="top" type="header">Zwölftes Capitel. II. Monarch. Statsformen. E. Die Lehensmonarchie etc.</fw><lb/>
an die Rechtsordnung gebunden und auch er konnte verklagt<lb/>
werden, wenn er Unrecht verübte. Nach alter germanischer<lb/>
Sitte richtet der Stellvertreter eines jeden Gerichtsherrn über<lb/>
diesen, wenn er verklagt wird. So war sogar der deutsche<lb/>
König, obwohl er römischer Kaiser und der oberste weltliche<lb/>
Herr der Christenheit war, unter gewissen Voraussetzungen<lb/>
genöthigt, vor seinem Stellvertreter, dem Pfalzgrafen bei Rhein<lb/>
Rede zu stehen und sich dem Urtheil der Fürstengenossen zu<lb/>
unterziehen. So richtete der Schultheisz über den Landgrafen.</p><lb/>
          <p>Die <hi rendition="#g">Policeigewalt</hi> war wenig ausgebildet und gewöhn-<lb/>
lich mit dem Richteramt verbunden. Eine Gensd'armerie gab<lb/>
es noch nicht. Der ganze bureaukratische Apparat der heu-<lb/>
tigen Policeiverwaltung fehlte.</p><lb/>
          <p>Selbst die <hi rendition="#g">Heeresgewalt</hi> des Fürsten war durch das<lb/>
nachwirkende Lehensrecht sehr beschränkt. Der Gehorsam<lb/>
der aristokratischen Vasallenheere war enge begrenzt und be-<lb/>
messen. Die Kriegsfolge der Vasallen wurde wie eine Guts-<lb/>
last des Lehensgutes betrachtet und vor jeder energischen<lb/>
Anspannung sorglich verhütet.</p><lb/>
          <p>Die deutschen Könige haben es erfahren, wie schwer der<lb/>
eigenwillige Trotz mächtiger Herzoge zu bändigen und wie<lb/>
wenig verlässig die Treue der Reichsfürsten gegen das Reichs-<lb/>
haupt war.</p><lb/>
          <p>Die Könige und Landesherrn konnten wohl daneben auch<lb/><hi rendition="#g">Soldtruppen</hi> werben und sie thaten es, um ein gefügigeres<lb/>
und willfähriges Werkzeug der Gewalt sich zu schaffen. Aber<lb/>
diese Söldner muszten von den Fürsten bezahlt werden, und<lb/>
wenn die Landstände dafür keine Steuern bewilligten, wozu<lb/>
sie nicht geneigt waren, so muszte der Sold aus dem fürst-<lb/>
lichen Kammergute bestritten werden. Die Fürsten waren<lb/>
daher oft genöthigt, Schulden zu machen und geriethen dann<lb/>
in financielle Noth. Ueberdem wurden oft fremde Lands-<lb/>
knechte als Söldner angeworben und diese machten hinwieder<lb/>
den Fürsten dem Lande verhaszt, das sie knechteten.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[439/0457] Zwölftes Capitel. II. Monarch. Statsformen. E. Die Lehensmonarchie etc. an die Rechtsordnung gebunden und auch er konnte verklagt werden, wenn er Unrecht verübte. Nach alter germanischer Sitte richtet der Stellvertreter eines jeden Gerichtsherrn über diesen, wenn er verklagt wird. So war sogar der deutsche König, obwohl er römischer Kaiser und der oberste weltliche Herr der Christenheit war, unter gewissen Voraussetzungen genöthigt, vor seinem Stellvertreter, dem Pfalzgrafen bei Rhein Rede zu stehen und sich dem Urtheil der Fürstengenossen zu unterziehen. So richtete der Schultheisz über den Landgrafen. Die Policeigewalt war wenig ausgebildet und gewöhn- lich mit dem Richteramt verbunden. Eine Gensd'armerie gab es noch nicht. Der ganze bureaukratische Apparat der heu- tigen Policeiverwaltung fehlte. Selbst die Heeresgewalt des Fürsten war durch das nachwirkende Lehensrecht sehr beschränkt. Der Gehorsam der aristokratischen Vasallenheere war enge begrenzt und be- messen. Die Kriegsfolge der Vasallen wurde wie eine Guts- last des Lehensgutes betrachtet und vor jeder energischen Anspannung sorglich verhütet. Die deutschen Könige haben es erfahren, wie schwer der eigenwillige Trotz mächtiger Herzoge zu bändigen und wie wenig verlässig die Treue der Reichsfürsten gegen das Reichs- haupt war. Die Könige und Landesherrn konnten wohl daneben auch Soldtruppen werben und sie thaten es, um ein gefügigeres und willfähriges Werkzeug der Gewalt sich zu schaffen. Aber diese Söldner muszten von den Fürsten bezahlt werden, und wenn die Landstände dafür keine Steuern bewilligten, wozu sie nicht geneigt waren, so muszte der Sold aus dem fürst- lichen Kammergute bestritten werden. Die Fürsten waren daher oft genöthigt, Schulden zu machen und geriethen dann in financielle Noth. Ueberdem wurden oft fremde Lands- knechte als Söldner angeworben und diese machten hinwieder den Fürsten dem Lande verhaszt, das sie knechteten.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/457
Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 439. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/457>, abgerufen am 27.11.2024.