der sich Alles beugen muszte. Sie war die Concentration der römischen Weltherrschaft, das imperium mundi in Einem Individuum. Das ideale Motiv, welchem freilich die Rea- lität nur selten entsprach, war die öffentliche Wohlfahrt, Salus publica, das grosze Statsprincip der Römer, welches sie in den Statsangelegenheiten wenigstens in späterer Zeit mehr anriefen als das Recht, Jus, so sehr sie im Privatrecht ge- rade dieses zu Ehren brachten und ausbildeten.
Die römische Kaisergeschichte, wie sie diese absolute Statsform im groszartigsten Maszstabe zur Erscheinung ge- bracht, hat zugleich der Nachwelt die Warnung hinterlassen, dasz ein solches Uebermasz von Macht weder zum Besten dessen dient, der sie besitzt, noch der Nation, für welche sie geübt werden soll. 11
In der Zeit des untergehenden und innerlich verdorbe- nen Weltreiches mochte übrigens dieselbe nöthig und in dem Schicksale hinreichend begründet sein. Die römische Aristo- kratie war theils entartet, theils nicht stark genug, den un- ermeszlichen Statskörper zu leiten. Von Zeit zu Zeit noch ohnmächtige Versuche wagend, ihre frühere Herrschaft her- zustellen, ergab sie sich doch in der Regel der zwingenden Gewalt der neuen Verhältnisse. 12 Die Masse des Volkes, ohne Anspruch auf Herrschaft, der Waffen entwöhnt, den Werken und Genüssen des Friedens ergeben, zog sogar die Herrschaft des Einen Kaisers dem Regimente des Senates vor, und freute sich trotz der eigenen politischen Ohnmacht über die De-
11 Man vergleiche nur die folgenden Worte des Kaisers Tiberius, welche ursprünglich vielleicht aufrichtig gemeint waren, mit seinen Tha- ten. Sueton. Tiber. 29: "Dixi et nunc et saepe alias, P. C., bonum et salutarem Principem, quem vos tanta et tam libera potestate exstruxistis, senatui servire debere et universis civibus saepe et plerumque etiam sin- gulis: neque id dixisse me poenitet."
12 Wie wenig damals die frühere republikanische Verfassung bei den untern Volksclassen zu Rom populär war, zeigen die Vorgänge bei der Erhebung des Kaisers Claudius.
Sechstes Buch. Die Statsformen.
der sich Alles beugen muszte. Sie war die Concentration der römischen Weltherrschaft, das imperium mundi in Einem Individuum. Das ideale Motiv, welchem freilich die Rea- lität nur selten entsprach, war die öffentliche Wohlfahrt, Salus publica, das grosze Statsprincip der Römer, welches sie in den Statsangelegenheiten wenigstens in späterer Zeit mehr anriefen als das Recht, Jus, so sehr sie im Privatrecht ge- rade dieses zu Ehren brachten und ausbildeten.
Die römische Kaisergeschichte, wie sie diese absolute Statsform im groszartigsten Maszstabe zur Erscheinung ge- bracht, hat zugleich der Nachwelt die Warnung hinterlassen, dasz ein solches Uebermasz von Macht weder zum Besten dessen dient, der sie besitzt, noch der Nation, für welche sie geübt werden soll. 11
In der Zeit des untergehenden und innerlich verdorbe- nen Weltreiches mochte übrigens dieselbe nöthig und in dem Schicksale hinreichend begründet sein. Die römische Aristo- kratie war theils entartet, theils nicht stark genug, den un- ermeszlichen Statskörper zu leiten. Von Zeit zu Zeit noch ohnmächtige Versuche wagend, ihre frühere Herrschaft her- zustellen, ergab sie sich doch in der Regel der zwingenden Gewalt der neuen Verhältnisse. 12 Die Masse des Volkes, ohne Anspruch auf Herrschaft, der Waffen entwöhnt, den Werken und Genüssen des Friedens ergeben, zog sogar die Herrschaft des Einen Kaisers dem Regimente des Senates vor, und freute sich trotz der eigenen politischen Ohnmacht über die De-
11 Man vergleiche nur die folgenden Worte des Kaisers Tiberius, welche ursprünglich vielleicht aufrichtig gemeint waren, mit seinen Tha- ten. Sueton. Tiber. 29: „Dixi et nunc et saepe alias, P. C., bonum et salutarem Principem, quem vos tanta et tam libera potestate exstruxistis, senatui servire debere et universis civibus saepe et plerumque etiam sin- gulis: neque id dixisse me poenitet.“
12 Wie wenig damals die frühere republikanische Verfassung bei den untern Volksclassen zu Rom populär war, zeigen die Vorgänge bei der Erhebung des Kaisers Claudius.
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Sechstes Buch. Die Statsformen.
der sich Alles beugen muszte. Sie war die Concentration der
römischen Weltherrschaft, das imperium mundi in Einem
Individuum. Das ideale Motiv, welchem freilich die Rea-
lität nur selten entsprach, war die öffentliche Wohlfahrt,
Salus publica, das grosze Statsprincip der Römer, welches sie
in den Statsangelegenheiten wenigstens in späterer Zeit mehr
anriefen als das Recht, Jus, so sehr sie im Privatrecht ge-
rade dieses zu Ehren brachten und ausbildeten.
Die römische Kaisergeschichte, wie sie diese absolute
Statsform im groszartigsten Maszstabe zur Erscheinung ge-
bracht, hat zugleich der Nachwelt die Warnung hinterlassen,
dasz ein solches Uebermasz von Macht weder zum Besten
dessen dient, der sie besitzt, noch der Nation, für welche sie
geübt werden soll. 11
In der Zeit des untergehenden und innerlich verdorbe-
nen Weltreiches mochte übrigens dieselbe nöthig und in dem
Schicksale hinreichend begründet sein. Die römische Aristo-
kratie war theils entartet, theils nicht stark genug, den un-
ermeszlichen Statskörper zu leiten. Von Zeit zu Zeit noch
ohnmächtige Versuche wagend, ihre frühere Herrschaft her-
zustellen, ergab sie sich doch in der Regel der zwingenden
Gewalt der neuen Verhältnisse. 12 Die Masse des Volkes, ohne
Anspruch auf Herrschaft, der Waffen entwöhnt, den Werken
und Genüssen des Friedens ergeben, zog sogar die Herrschaft
des Einen Kaisers dem Regimente des Senates vor, und freute
sich trotz der eigenen politischen Ohnmacht über die De-
11 Man vergleiche nur die folgenden Worte des Kaisers Tiberius,
welche ursprünglich vielleicht aufrichtig gemeint waren, mit seinen Tha-
ten. Sueton. Tiber. 29: „Dixi et nunc et saepe alias, P. C., bonum et
salutarem Principem, quem vos tanta et tam libera potestate exstruxistis,
senatui servire debere et universis civibus saepe et plerumque etiam sin-
gulis: neque id dixisse me poenitet.“
12 Wie wenig damals die frühere republikanische Verfassung bei den
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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 420. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/438>, abgerufen am 16.02.2025.
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