Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Neuntes Cap. II. Monarch. Statsformen. B. Altrömisches Volkskönigthum.
dem Interrex unter Mitwirkung des Senats und mit Zu-
stimmung der Götter ernannt oder auf Lebenszeit gewählt,
nicht eine königliche Erbdynastie anerkannt. Es kommt daher
mehr auf die Individualität desselben, als auf den Stamm
an. Dem gewählten Könige wird nach einem von ihm selber
vorgeschlagenen Gesetz
der Curien mit den Auspicien
von dem Interrex die königliche Gewalt übertragen, 2 ganz
so wie später den Magistraten der Republik ihr imperium.
So ist das römische Königthum von Anfang an auch eine
individuelle Magistratur.

Schon diese Unterschiede bedingen eine andere Auffassung
der königlichen Institution. Ein anderer nicht minder ge-
wichtiger liegt in der Art und dem Charakter der könig-
lichen Gewalt
selbst. In manchen Dingen zwar sind die
Rechte des Rex ähnlich denen der andern antiken Könige.
Auch er ist Opferpriester für das Volk und Oberpriester,
auch er versammelt und leitet sowohl den Senat, als die ver-
schiedenen Comitien des Volks. Eben so ist er in der Regel
der oberste Richter, ungeachtet es von seinen Strafen unter
gewissen Voraussetzungen noch eine Berufung an das Volk
gibt. Er steht ferner von Rechtes wegen an der Spitze der
Kriegsverfassung, und ist der natürliche Heerführer. Endlich
besitzt auch er Reichthum an Gütern und Einkünften. 3

Aber ungeachtet der römische König kein Abkömmling
der Götter und nur auf Lebenszeit gewählt ist, so ist seine
Macht doch sehr viel intensiver und voller als die der grie-
chischen Könige. Darin offenbart sich schon von Anfang an
der vorzugsweise statliche Sinn der Römer, dasz sie ihre ober-
sten Magistrate mit einer Fülle von Macht, und insbesondere
mit der Gewalt ausstatten, für die öffentliche Wohlfahrt ener-

2 Es ist das die sog. lex regia, welche zur Kaiserzeit erneuert ward.
Ulpianus in pr. L. 1. de constit. Princip. Cicero de lege agrar. II. 11.
3 Vgl. Niebuhr, röm. Gesch. I. (356). Rubino, Untersuch. über
röm. Verf. I. Abschn. 2. Th. Mommsen römisches Statsrecht. Bd. II.

Neuntes Cap. II. Monarch. Statsformen. B. Altrömisches Volkskönigthum.
dem Interrex unter Mitwirkung des Senats und mit Zu-
stimmung der Götter ernannt oder auf Lebenszeit gewählt,
nicht eine königliche Erbdynastie anerkannt. Es kommt daher
mehr auf die Individualität desselben, als auf den Stamm
an. Dem gewählten Könige wird nach einem von ihm selber
vorgeschlagenen Gesetz
der Curien mit den Auspicien
von dem Interrex die königliche Gewalt übertragen, 2 ganz
so wie später den Magistraten der Republik ihr imperium.
So ist das römische Königthum von Anfang an auch eine
individuelle Magistratur.

Schon diese Unterschiede bedingen eine andere Auffassung
der königlichen Institution. Ein anderer nicht minder ge-
wichtiger liegt in der Art und dem Charakter der könig-
lichen Gewalt
selbst. In manchen Dingen zwar sind die
Rechte des Rex ähnlich denen der andern antiken Könige.
Auch er ist Opferpriester für das Volk und Oberpriester,
auch er versammelt und leitet sowohl den Senat, als die ver-
schiedenen Comitien des Volks. Eben so ist er in der Regel
der oberste Richter, ungeachtet es von seinen Strafen unter
gewissen Voraussetzungen noch eine Berufung an das Volk
gibt. Er steht ferner von Rechtes wegen an der Spitze der
Kriegsverfassung, und ist der natürliche Heerführer. Endlich
besitzt auch er Reichthum an Gütern und Einkünften. 3

Aber ungeachtet der römische König kein Abkömmling
der Götter und nur auf Lebenszeit gewählt ist, so ist seine
Macht doch sehr viel intensiver und voller als die der grie-
chischen Könige. Darin offenbart sich schon von Anfang an
der vorzugsweise statliche Sinn der Römer, dasz sie ihre ober-
sten Magistrate mit einer Fülle von Macht, und insbesondere
mit der Gewalt ausstatten, für die öffentliche Wohlfahrt ener-

2 Es ist das die sog. lex regia, welche zur Kaiserzeit erneuert ward.
Ulpianus in pr. L. 1. de constit. Princip. Cicero de lege agrar. II. 11.
3 Vgl. Niebuhr, röm. Gesch. I. (356). Rubino, Untersuch. über
röm. Verf. I. Abschn. 2. Th. Mommsen römisches Statsrecht. Bd. II.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0429" n="411"/><fw place="top" type="header">Neuntes Cap. II. Monarch. Statsformen. B. Altrömisches Volkskönigthum.</fw><lb/>
dem <hi rendition="#g">Interrex</hi> unter Mitwirkung des Senats und mit Zu-<lb/>
stimmung der Götter <hi rendition="#g">ernannt</hi> oder auf Lebenszeit <hi rendition="#g">gewählt</hi>,<lb/>
nicht eine königliche Erbdynastie anerkannt. Es kommt daher<lb/>
mehr auf die <hi rendition="#g">Individualität</hi> desselben, als auf den Stamm<lb/>
an. Dem gewählten Könige wird nach einem von ihm <hi rendition="#g">selber<lb/>
vorgeschlagenen Gesetz</hi> der Curien mit den Auspicien<lb/>
von dem Interrex die königliche Gewalt übertragen, <note place="foot" n="2">Es ist das die sog. lex regia, welche zur Kaiserzeit erneuert ward.<lb/><hi rendition="#i">Ulpianus</hi> in pr. L. 1. de constit. Princip. <hi rendition="#i">Cicero</hi> de lege agrar. II. 11.</note> ganz<lb/>
so wie später den Magistraten der Republik ihr imperium.<lb/>
So ist das römische Königthum von Anfang an auch eine<lb/><hi rendition="#g">individuelle Magistratur</hi>.</p><lb/>
          <p>Schon diese Unterschiede bedingen eine andere Auffassung<lb/>
der königlichen Institution. Ein anderer nicht minder ge-<lb/>
wichtiger liegt in der Art und dem Charakter der <hi rendition="#g">könig-<lb/>
lichen Gewalt</hi> selbst. In manchen Dingen zwar sind die<lb/>
Rechte des Rex ähnlich denen der andern antiken Könige.<lb/>
Auch er ist Opferpriester für das Volk und Oberpriester,<lb/>
auch er versammelt und leitet sowohl den Senat, als die ver-<lb/>
schiedenen Comitien des Volks. Eben so ist er in der Regel<lb/>
der oberste Richter, ungeachtet es von seinen Strafen unter<lb/>
gewissen Voraussetzungen noch eine Berufung an das Volk<lb/>
gibt. Er steht ferner von Rechtes wegen an der Spitze der<lb/>
Kriegsverfassung, und ist der natürliche Heerführer. Endlich<lb/>
besitzt auch er Reichthum an Gütern und Einkünften. <note place="foot" n="3">Vgl. <hi rendition="#g">Niebuhr</hi>, röm. Gesch. I. (356). <hi rendition="#g">Rubino</hi>, Untersuch. über<lb/>
röm. Verf. I. Abschn. 2. Th. <hi rendition="#g">Mommsen</hi> römisches Statsrecht. Bd. II.</note></p><lb/>
          <p>Aber ungeachtet der römische König kein Abkömmling<lb/>
der Götter und nur auf Lebenszeit gewählt ist, so ist seine<lb/>
Macht doch sehr viel intensiver und voller als die der grie-<lb/>
chischen Könige. Darin offenbart sich schon von Anfang an<lb/>
der vorzugsweise statliche Sinn der Römer, dasz sie ihre ober-<lb/>
sten Magistrate mit einer Fülle von Macht, und insbesondere<lb/>
mit der Gewalt ausstatten, für die öffentliche Wohlfahrt ener-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[411/0429] Neuntes Cap. II. Monarch. Statsformen. B. Altrömisches Volkskönigthum. dem Interrex unter Mitwirkung des Senats und mit Zu- stimmung der Götter ernannt oder auf Lebenszeit gewählt, nicht eine königliche Erbdynastie anerkannt. Es kommt daher mehr auf die Individualität desselben, als auf den Stamm an. Dem gewählten Könige wird nach einem von ihm selber vorgeschlagenen Gesetz der Curien mit den Auspicien von dem Interrex die königliche Gewalt übertragen, 2 ganz so wie später den Magistraten der Republik ihr imperium. So ist das römische Königthum von Anfang an auch eine individuelle Magistratur. Schon diese Unterschiede bedingen eine andere Auffassung der königlichen Institution. Ein anderer nicht minder ge- wichtiger liegt in der Art und dem Charakter der könig- lichen Gewalt selbst. In manchen Dingen zwar sind die Rechte des Rex ähnlich denen der andern antiken Könige. Auch er ist Opferpriester für das Volk und Oberpriester, auch er versammelt und leitet sowohl den Senat, als die ver- schiedenen Comitien des Volks. Eben so ist er in der Regel der oberste Richter, ungeachtet es von seinen Strafen unter gewissen Voraussetzungen noch eine Berufung an das Volk gibt. Er steht ferner von Rechtes wegen an der Spitze der Kriegsverfassung, und ist der natürliche Heerführer. Endlich besitzt auch er Reichthum an Gütern und Einkünften. 3 Aber ungeachtet der römische König kein Abkömmling der Götter und nur auf Lebenszeit gewählt ist, so ist seine Macht doch sehr viel intensiver und voller als die der grie- chischen Könige. Darin offenbart sich schon von Anfang an der vorzugsweise statliche Sinn der Römer, dasz sie ihre ober- sten Magistrate mit einer Fülle von Macht, und insbesondere mit der Gewalt ausstatten, für die öffentliche Wohlfahrt ener- 2 Es ist das die sog. lex regia, welche zur Kaiserzeit erneuert ward. Ulpianus in pr. L. 1. de constit. Princip. Cicero de lege agrar. II. 11. 3 Vgl. Niebuhr, röm. Gesch. I. (356). Rubino, Untersuch. über röm. Verf. I. Abschn. 2. Th. Mommsen römisches Statsrecht. Bd. II.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/429
Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/429>, abgerufen am 25.11.2024.