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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Siebentes Cap. II. Monarch. Statsformen. Die Hauptarten der Monarchie.
Ganzen mit der freiesten Entfaltung aller Glieder verbunden
erscheint, um so vollkommener ist der Stat organisirt. Das
aber ist nie in der Despotie, sondern nur in der civilisirten
Monarchie möglich.

Der menschliche Geist hat in den verschiedenen Zeit-
altern und unter den verschiedenen Völkern mancherlei Ver-
suche gemacht, um die richtige Form der rechtlichen Be-
stimmung und Beschränkung zu finden.

Eine der ältesten Formen ist das Geschlechtskönig-
thum
, die Patriarchie. Der König wird wie der Häuptling
aus dem vornehmsten Geschlecht, als der Aelteste und der
Vater des Stammes verehrt. Die Institution erscheint da noch
gebunden an den Verband der Familienart, und beschränkt
durch den Familiengeist. In dem Vizpati der indischen Stämme
wie in dem Kuning der deutschen Völkerschaften wird diese
kindlich-naive Anschauung sichtbar.

Ebenso gebunden an privatrechtliche Zustände und In-
stitutionen ist die Form des patrimonialen Fürstenthums,
welches vorzüglich im Mittelalter Anerkennung fand, sei es
in der Form des Lehensstats, sei es in der Form der
einfachen Landesherrschaft (dominium terrae). Auch da
wirken gewöhnlich Familienrecht und dynastische Vorstel-
lungen ein; es kommt aber hinzu die Verwechslung des Stats
mit einer im Eigenthum befindlichen Grundherrschaft. Das
Amt wird einem Vermögensrechte ähnlich betrachtet und be-
handelt.

Wir können diese beiden Formen, in denen das Stats-
bewusztsein noch nicht durchgebrochen ist, als unreife Ent-
wicklungsphasen bezeichnen.

III. Ist zwar das Statsbewusztsein theilweise geweckt
worden, aber noch in einer einseitigen Richtung auf eine ein-
zelne öffentliche Function als Hauptfunction des Fürstenthums
befangen, so entstehen die einseitigen Formen entweder
des Kriegsfürstenthums (Herzogthum, Imperatoren-

Bluntschli, allgemeine Statslehre. 26

Siebentes Cap. II. Monarch. Statsformen. Die Hauptarten der Monarchie.
Ganzen mit der freiesten Entfaltung aller Glieder verbunden
erscheint, um so vollkommener ist der Stat organisirt. Das
aber ist nie in der Despotie, sondern nur in der civilisirten
Monarchie möglich.

Der menschliche Geist hat in den verschiedenen Zeit-
altern und unter den verschiedenen Völkern mancherlei Ver-
suche gemacht, um die richtige Form der rechtlichen Be-
stimmung und Beschränkung zu finden.

Eine der ältesten Formen ist das Geschlechtskönig-
thum
, die Patriarchie. Der König wird wie der Häuptling
aus dem vornehmsten Geschlecht, als der Aelteste und der
Vater des Stammes verehrt. Die Institution erscheint da noch
gebunden an den Verband der Familienart, und beschränkt
durch den Familiengeist. In dem Vizpati der indischen Stämme
wie in dem Kuning der deutschen Völkerschaften wird diese
kindlich-naive Anschauung sichtbar.

Ebenso gebunden an privatrechtliche Zustände und In-
stitutionen ist die Form des patrimonialen Fürstenthums,
welches vorzüglich im Mittelalter Anerkennung fand, sei es
in der Form des Lehensstats, sei es in der Form der
einfachen Landesherrschaft (dominium terrae). Auch da
wirken gewöhnlich Familienrecht und dynastische Vorstel-
lungen ein; es kommt aber hinzu die Verwechslung des Stats
mit einer im Eigenthum befindlichen Grundherrschaft. Das
Amt wird einem Vermögensrechte ähnlich betrachtet und be-
handelt.

Wir können diese beiden Formen, in denen das Stats-
bewusztsein noch nicht durchgebrochen ist, als unreife Ent-
wicklungsphasen bezeichnen.

III. Ist zwar das Statsbewusztsein theilweise geweckt
worden, aber noch in einer einseitigen Richtung auf eine ein-
zelne öffentliche Function als Hauptfunction des Fürstenthums
befangen, so entstehen die einseitigen Formen entweder
des Kriegsfürstenthums (Herzogthum, Imperatoren-

Bluntschli, allgemeine Statslehre. 26
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[401/0419] Siebentes Cap. II. Monarch. Statsformen. Die Hauptarten der Monarchie. Ganzen mit der freiesten Entfaltung aller Glieder verbunden erscheint, um so vollkommener ist der Stat organisirt. Das aber ist nie in der Despotie, sondern nur in der civilisirten Monarchie möglich. Der menschliche Geist hat in den verschiedenen Zeit- altern und unter den verschiedenen Völkern mancherlei Ver- suche gemacht, um die richtige Form der rechtlichen Be- stimmung und Beschränkung zu finden. Eine der ältesten Formen ist das Geschlechtskönig- thum, die Patriarchie. Der König wird wie der Häuptling aus dem vornehmsten Geschlecht, als der Aelteste und der Vater des Stammes verehrt. Die Institution erscheint da noch gebunden an den Verband der Familienart, und beschränkt durch den Familiengeist. In dem Vizpati der indischen Stämme wie in dem Kuning der deutschen Völkerschaften wird diese kindlich-naive Anschauung sichtbar. Ebenso gebunden an privatrechtliche Zustände und In- stitutionen ist die Form des patrimonialen Fürstenthums, welches vorzüglich im Mittelalter Anerkennung fand, sei es in der Form des Lehensstats, sei es in der Form der einfachen Landesherrschaft (dominium terrae). Auch da wirken gewöhnlich Familienrecht und dynastische Vorstel- lungen ein; es kommt aber hinzu die Verwechslung des Stats mit einer im Eigenthum befindlichen Grundherrschaft. Das Amt wird einem Vermögensrechte ähnlich betrachtet und be- handelt. Wir können diese beiden Formen, in denen das Stats- bewusztsein noch nicht durchgebrochen ist, als unreife Ent- wicklungsphasen bezeichnen. III. Ist zwar das Statsbewusztsein theilweise geweckt worden, aber noch in einer einseitigen Richtung auf eine ein- zelne öffentliche Function als Hauptfunction des Fürstenthums befangen, so entstehen die einseitigen Formen entweder des Kriegsfürstenthums (Herzogthum, Imperatoren- Bluntschli, allgemeine Statslehre. 26

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 401. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/419>, abgerufen am 22.11.2024.