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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Sechstes Buch. Die Statsformen.
polis, dort das Leben der Seligen fortsetzend. Ein feierliches
Ceremoniel mit seinen mannichfaltigen Symbolen umgibt ihn, 9
ihn zu ehren. In der Wirklichkeit freilich ist gerade dieses
auch ihn beengende und wie mit einem goldenen Netze um-
spinnende Ceremoniel die unauflösliche Schranke und Fessel
seines Willens, und spottet der fingirten Allmacht, die ihm in
der Idee zugeschrieben wird.

Ein Fortschritt aber liegt unverkennbar in dieser Wande-
lung aus dem eigentlichen Priester- in das Despotenreich des
Orients. Das starre Walten einer für göttlich gehaltenen
Offenbarung in dem Gang und den Formen der Gestirne nach
welcher die Priester auch den Stat leiteten, und die Gleich-
mäszigkeit und Unveränderlichkeit des ganzen ein- für allemal
durch göttliche Gesetze normirten Statslebens waren durch-
brochen; und wenn auch in der trüben Form der Despotie,
äuszerte sich nun ein freier menschlicher Wille in den Stats-
angelegenheiten, und konnte Rücksicht nehmen auf die natür-
lichen Veränderungen in den Zuständen der politischen Welt,
und auf die mancherlei neuen Bedürfnisse der Völker. In
dem persischen Reiche wurde denn auch die Eisdecke des
Kastenwesens frühzeitig aufgelöst.

Der merkwürdigste Stat dieser Gattung im Alterthum war
die Theokratie der Juden nach der Mosaischen Gesetzgebung.
Die Reinheit der Mosaischen Religion, der lebendige Glaube
an einen Gott, den Schöpfer und Erhalter der Welt, ist die
feste Grundlage, auf welcher der jüdische Stat erbaut ist.

Gott selbst, Jahve oder Jehova, wird als König der
Juden gedacht. Er ist der unsterbliche Herr des sterblichen,
aber auserwählten Volkes. Er gibt das Gesetz, er regiert das
Volk. Die ganze umfassende Gesetzgebung, welche wir von
Moses her benennen, erscheint als Offenbarung Gottes, mit
welchem Moses in der Einsamkeit der Berghöhe gesprochen,

9 Eine vortreffliche kurze Darstellung dieser Statsform bei Leo Welt-
gesch. I. S. 120 ff. Duncker Gesch. d. Alt. II. S. 606.

Sechstes Buch. Die Statsformen.
polis, dort das Leben der Seligen fortsetzend. Ein feierliches
Ceremoniel mit seinen mannichfaltigen Symbolen umgibt ihn, 9
ihn zu ehren. In der Wirklichkeit freilich ist gerade dieses
auch ihn beengende und wie mit einem goldenen Netze um-
spinnende Ceremoniel die unauflösliche Schranke und Fessel
seines Willens, und spottet der fingirten Allmacht, die ihm in
der Idee zugeschrieben wird.

Ein Fortschritt aber liegt unverkennbar in dieser Wande-
lung aus dem eigentlichen Priester- in das Despotenreich des
Orients. Das starre Walten einer für göttlich gehaltenen
Offenbarung in dem Gang und den Formen der Gestirne nach
welcher die Priester auch den Stat leiteten, und die Gleich-
mäszigkeit und Unveränderlichkeit des ganzen ein- für allemal
durch göttliche Gesetze normirten Statslebens waren durch-
brochen; und wenn auch in der trüben Form der Despotie,
äuszerte sich nun ein freier menschlicher Wille in den Stats-
angelegenheiten, und konnte Rücksicht nehmen auf die natür-
lichen Veränderungen in den Zuständen der politischen Welt,
und auf die mancherlei neuen Bedürfnisse der Völker. In
dem persischen Reiche wurde denn auch die Eisdecke des
Kastenwesens frühzeitig aufgelöst.

Der merkwürdigste Stat dieser Gattung im Alterthum war
die Theokratie der Juden nach der Mosaischen Gesetzgebung.
Die Reinheit der Mosaischen Religion, der lebendige Glaube
an einen Gott, den Schöpfer und Erhalter der Welt, ist die
feste Grundlage, auf welcher der jüdische Stat erbaut ist.

Gott selbst, Jahve oder Jehova, wird als König der
Juden gedacht. Er ist der unsterbliche Herr des sterblichen,
aber auserwählten Volkes. Er gibt das Gesetz, er regiert das
Volk. Die ganze umfassende Gesetzgebung, welche wir von
Moses her benennen, erscheint als Offenbarung Gottes, mit
welchem Moses in der Einsamkeit der Berghöhe gesprochen,

9 Eine vortreffliche kurze Darstellung dieser Statsform bei Leo Welt-
gesch. I. S. 120 ff. Duncker Gesch. d. Alt. II. S. 606.
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[392/0410] Sechstes Buch. Die Statsformen. polis, dort das Leben der Seligen fortsetzend. Ein feierliches Ceremoniel mit seinen mannichfaltigen Symbolen umgibt ihn, 9 ihn zu ehren. In der Wirklichkeit freilich ist gerade dieses auch ihn beengende und wie mit einem goldenen Netze um- spinnende Ceremoniel die unauflösliche Schranke und Fessel seines Willens, und spottet der fingirten Allmacht, die ihm in der Idee zugeschrieben wird. Ein Fortschritt aber liegt unverkennbar in dieser Wande- lung aus dem eigentlichen Priester- in das Despotenreich des Orients. Das starre Walten einer für göttlich gehaltenen Offenbarung in dem Gang und den Formen der Gestirne nach welcher die Priester auch den Stat leiteten, und die Gleich- mäszigkeit und Unveränderlichkeit des ganzen ein- für allemal durch göttliche Gesetze normirten Statslebens waren durch- brochen; und wenn auch in der trüben Form der Despotie, äuszerte sich nun ein freier menschlicher Wille in den Stats- angelegenheiten, und konnte Rücksicht nehmen auf die natür- lichen Veränderungen in den Zuständen der politischen Welt, und auf die mancherlei neuen Bedürfnisse der Völker. In dem persischen Reiche wurde denn auch die Eisdecke des Kastenwesens frühzeitig aufgelöst. Der merkwürdigste Stat dieser Gattung im Alterthum war die Theokratie der Juden nach der Mosaischen Gesetzgebung. Die Reinheit der Mosaischen Religion, der lebendige Glaube an einen Gott, den Schöpfer und Erhalter der Welt, ist die feste Grundlage, auf welcher der jüdische Stat erbaut ist. Gott selbst, Jahve oder Jehova, wird als König der Juden gedacht. Er ist der unsterbliche Herr des sterblichen, aber auserwählten Volkes. Er gibt das Gesetz, er regiert das Volk. Die ganze umfassende Gesetzgebung, welche wir von Moses her benennen, erscheint als Offenbarung Gottes, mit welchem Moses in der Einsamkeit der Berghöhe gesprochen, 9 Eine vortreffliche kurze Darstellung dieser Statsform bei Leo Welt- gesch. I. S. 120 ff. Duncker Gesch. d. Alt. II. S. 606.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/410>, abgerufen am 22.11.2024.