Fünftes Capitel. Das Princip der vier Nebenformen.
unfreie Staten; das Königthum und das Fürstenthum des Mittelalters, welches durch den Klerus und die Laienaristo- kratie beschränkt war, waren halbfreie Monarchien. Das rö- mische Königthum nach der servianischen Verfassung und das alte fränkische oder das norwegische Königthum, welches der Volksversammlung einen gewissen Antheil an der Statsleitung zugestanden hatte, mögen als Beispiele der unmittelbaren Volksbetheiligung auch in freien Monarchien gelten. Die con- stitutionelle Monarchie der neuern Zeit endlich ist die höchste bisherige Ausbildung der Monarchie zu einem freien State mit Repräsentativverfassung.
Wird die aristotelische Eintheilung, die mit Recht von Oben her ausgeht, so von Unten her ergänzt, so fallen auch die wichtigsten Bedenken gegen dieselbe hinweg, insbeson- dere die Einwendung, dasz sie nicht genug unterscheide und weder die Verwandtschaft, z. B. der heutigen Repräsentativ- demokratie mit der constitutionellen Monarchie noch die we- sentliche Verschiedenheit z. B. der absoluten und der ständisch beschränkten Monarchie zu erklären im Stande sei.
Anmerkung. Angeregt hat mich zur Begründung dieser Neben- formen die interessante Untersuchung von Georg Waitz über die Unter- scheidung der Statsformen (Politik S. 107 f.). Waitz nennt Republik den Stat, wenn die Statsgewalt von dem Volke oder in dessen Auftrag von Stellvertretern des Volks geübt wird. Dagegen Königthum die Statsform, die unabhängig von dem Volke durch Eine Person als Stats- haupt kraft eigener Macht geübt wird. Die Aristotelische Eintheilung betrachtet er dann als secundär, die seinige als primär. Das Kaiser- thum wird dann in Rom zur Republik, in Deutschland zum Königthum. Das alt-römische Patriciat wird zum Königthum, das Napoleonische Kaiserthum zur Republik. Aber damit werden die beiden Eintheilungen eher verwirrt als geordnet. Die obige Unterscheidung dagegen ist nach der Rücksicht auf die Art der Regenten und sodann nach dem Recht der Regierten logisch klar und als Ergänzung zu der Aristotelischen Ein- theilung sogar nothwendig. Sodann gibt sie auf die Frage, weszhalb denn die constitutionelle Monarchie der repräsentativen Demokratie näher verwandt sei als die absolute Monarchie eine befriedigende Antwort.
Bluntschli, allgemeine Statslehre. 25
Fünftes Capitel. Das Princip der vier Nebenformen.
unfreie Staten; das Königthum und das Fürstenthum des Mittelalters, welches durch den Klerus und die Laienaristo- kratie beschränkt war, waren halbfreie Monarchien. Das rö- mische Königthum nach der servianischen Verfassung und das alte fränkische oder das norwegische Königthum, welches der Volksversammlung einen gewissen Antheil an der Statsleitung zugestanden hatte, mögen als Beispiele der unmittelbaren Volksbetheiligung auch in freien Monarchien gelten. Die con- stitutionelle Monarchie der neuern Zeit endlich ist die höchste bisherige Ausbildung der Monarchie zu einem freien State mit Repräsentativverfassung.
Wird die aristotelische Eintheilung, die mit Recht von Oben her ausgeht, so von Unten her ergänzt, so fallen auch die wichtigsten Bedenken gegen dieselbe hinweg, insbeson- dere die Einwendung, dasz sie nicht genug unterscheide und weder die Verwandtschaft, z. B. der heutigen Repräsentativ- demokratie mit der constitutionellen Monarchie noch die we- sentliche Verschiedenheit z. B. der absoluten und der ständisch beschränkten Monarchie zu erklären im Stande sei.
Anmerkung. Angeregt hat mich zur Begründung dieser Neben- formen die interessante Untersuchung von Georg Waitz über die Unter- scheidung der Statsformen (Politik S. 107 f.). Waitz nennt Republik den Stat, wenn die Statsgewalt von dem Volke oder in dessen Auftrag von Stellvertretern des Volks geübt wird. Dagegen Königthum die Statsform, die unabhängig von dem Volke durch Eine Person als Stats- haupt kraft eigener Macht geübt wird. Die Aristotelische Eintheilung betrachtet er dann als secundär, die seinige als primär. Das Kaiser- thum wird dann in Rom zur Republik, in Deutschland zum Königthum. Das alt-römische Patriciat wird zum Königthum, das Napoleonische Kaiserthum zur Republik. Aber damit werden die beiden Eintheilungen eher verwirrt als geordnet. Die obige Unterscheidung dagegen ist nach der Rücksicht auf die Art der Regenten und sodann nach dem Recht der Regierten logisch klar und als Ergänzung zu der Aristotelischen Ein- theilung sogar nothwendig. Sodann gibt sie auf die Frage, weszhalb denn die constitutionelle Monarchie der repräsentativen Demokratie näher verwandt sei als die absolute Monarchie eine befriedigende Antwort.
Bluntschli, allgemeine Statslehre. 25
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Fünftes Capitel. Das Princip der vier Nebenformen.
unfreie Staten; das Königthum und das Fürstenthum des
Mittelalters, welches durch den Klerus und die Laienaristo-
kratie beschränkt war, waren halbfreie Monarchien. Das rö-
mische Königthum nach der servianischen Verfassung und das
alte fränkische oder das norwegische Königthum, welches der
Volksversammlung einen gewissen Antheil an der Statsleitung
zugestanden hatte, mögen als Beispiele der unmittelbaren
Volksbetheiligung auch in freien Monarchien gelten. Die con-
stitutionelle Monarchie der neuern Zeit endlich ist die höchste
bisherige Ausbildung der Monarchie zu einem freien State
mit Repräsentativverfassung.
Wird die aristotelische Eintheilung, die mit Recht von
Oben her ausgeht, so von Unten her ergänzt, so fallen auch
die wichtigsten Bedenken gegen dieselbe hinweg, insbeson-
dere die Einwendung, dasz sie nicht genug unterscheide und
weder die Verwandtschaft, z. B. der heutigen Repräsentativ-
demokratie mit der constitutionellen Monarchie noch die we-
sentliche Verschiedenheit z. B. der absoluten und der ständisch
beschränkten Monarchie zu erklären im Stande sei.
Anmerkung. Angeregt hat mich zur Begründung dieser Neben-
formen die interessante Untersuchung von Georg Waitz über die Unter-
scheidung der Statsformen (Politik S. 107 f.). Waitz nennt Republik
den Stat, wenn die Statsgewalt von dem Volke oder in dessen Auftrag
von Stellvertretern des Volks geübt wird. Dagegen Königthum die
Statsform, die unabhängig von dem Volke durch Eine Person als Stats-
haupt kraft eigener Macht geübt wird. Die Aristotelische Eintheilung
betrachtet er dann als secundär, die seinige als primär. Das Kaiser-
thum wird dann in Rom zur Republik, in Deutschland zum Königthum.
Das alt-römische Patriciat wird zum Königthum, das Napoleonische
Kaiserthum zur Republik. Aber damit werden die beiden Eintheilungen
eher verwirrt als geordnet. Die obige Unterscheidung dagegen ist nach
der Rücksicht auf die Art der Regenten und sodann nach dem Recht der
Regierten logisch klar und als Ergänzung zu der Aristotelischen Ein-
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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 385. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/403>, abgerufen am 22.11.2024.
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