Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Sechstes Buch. Die Statsformen.
und eine Beziehung auf die Entwicklungsstufen der politischen
Idee, und werden so geordnet, dasz die Demokratie als die
niedrigste Stufe, die Monarchie als die höchste erscheint.
Immerhin ist durch diese Erörterung, wenn auch nicht ein
neues Princip der Eintheilung eingeführt, so doch eine höhere
Einsicht in den Geist der verschiedenen Statenbildungen ge-
wonnen worden.

Die Entwicklungsstufen der Geschichte aber entsprechen
der logischen Entwicklung, wie sie Schleiermacher auffaszt,
keineswegs. Die geschichtliche Reihenfolge ist viel öfter die
umgekehrte: Monarchie, Aristokratie, Demokratie. Diese Er-
fahrung entsprieht überdem der naturgemäszen Annahme, dasz
das active Statsbewusztsein sich zuerst auf der Höhe des
Lebens unter besonders günstigen Bedingungen entwickle und
thätig werde und dann allmählich sich über weitere Kreise
der Natur und Gesellschaft ausbreite.



Viertes Capitel.
Das Princip der vier Grundformen.

Der specifische Unterschied der verschiedenen Statsformen
ist, wie Aristoteles erkannt hat, in der verschiedenen Art zu
finden, wie der Gegensatz der Regierung und der Regierten
aufgefaszt wird, insbesondere in der Qualität (nicht Quantität)
des Herrschers.

I. Die erste Form war die der Ideokratie, deren höch-
ster Typus die Theokratie ist. Das Volk dachte sich den
Herrscher als ein ihm in jeder Weise, schon von Natur über-
geordnetes, als ein übermenschliches Wesen, Gott selbst
wurde als der wahre Regent des States verehrt.

II. Den schroffsten Gegensatz zu der Ideokratie, in

Sechstes Buch. Die Statsformen.
und eine Beziehung auf die Entwicklungsstufen der politischen
Idee, und werden so geordnet, dasz die Demokratie als die
niedrigste Stufe, die Monarchie als die höchste erscheint.
Immerhin ist durch diese Erörterung, wenn auch nicht ein
neues Princip der Eintheilung eingeführt, so doch eine höhere
Einsicht in den Geist der verschiedenen Statenbildungen ge-
wonnen worden.

Die Entwicklungsstufen der Geschichte aber entsprechen
der logischen Entwicklung, wie sie Schleiermacher auffaszt,
keineswegs. Die geschichtliche Reihenfolge ist viel öfter die
umgekehrte: Monarchie, Aristokratie, Demokratie. Diese Er-
fahrung entsprieht überdem der naturgemäszen Annahme, dasz
das active Statsbewusztsein sich zuerst auf der Höhe des
Lebens unter besonders günstigen Bedingungen entwickle und
thätig werde und dann allmählich sich über weitere Kreise
der Natur und Gesellschaft ausbreite.



Viertes Capitel.
Das Princip der vier Grundformen.

Der specifische Unterschied der verschiedenen Statsformen
ist, wie Aristoteles erkannt hat, in der verschiedenen Art zu
finden, wie der Gegensatz der Regierung und der Regierten
aufgefaszt wird, insbesondere in der Qualität (nicht Quantität)
des Herrschers.

I. Die erste Form war die der Ideokratie, deren höch-
ster Typus die Theokratie ist. Das Volk dachte sich den
Herrscher als ein ihm in jeder Weise, schon von Natur über-
geordnetes, als ein übermenschliches Wesen, Gott selbst
wurde als der wahre Regent des States verehrt.

II. Den schroffsten Gegensatz zu der Ideokratie, in

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0396" n="378"/><fw place="top" type="header">Sechstes Buch. Die Statsformen.</fw><lb/>
und eine Beziehung auf die Entwicklungsstufen der politischen<lb/>
Idee, und werden so geordnet, dasz die Demokratie als die<lb/>
niedrigste Stufe, die Monarchie als die höchste erscheint.<lb/>
Immerhin ist durch diese Erörterung, wenn auch nicht ein<lb/>
neues Princip der Eintheilung eingeführt, so doch eine höhere<lb/>
Einsicht in den Geist der verschiedenen Statenbildungen ge-<lb/>
wonnen worden.</p><lb/>
          <p>Die Entwicklungsstufen der Geschichte aber entsprechen<lb/>
der logischen Entwicklung, wie sie Schleiermacher auffaszt,<lb/>
keineswegs. Die geschichtliche Reihenfolge ist viel öfter die<lb/>
umgekehrte: Monarchie, Aristokratie, Demokratie. Diese Er-<lb/>
fahrung entsprieht überdem der naturgemäszen Annahme, dasz<lb/>
das active Statsbewusztsein sich zuerst auf der Höhe des<lb/>
Lebens unter besonders günstigen Bedingungen entwickle und<lb/>
thätig werde und dann allmählich sich über weitere Kreise<lb/>
der Natur und Gesellschaft ausbreite.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>Viertes Capitel.<lb/><hi rendition="#b">Das Princip der vier Grundformen.</hi></head><lb/>
          <p>Der specifische Unterschied der verschiedenen Statsformen<lb/>
ist, wie Aristoteles erkannt hat, in der verschiedenen Art zu<lb/>
finden, wie der Gegensatz der Regierung und der Regierten<lb/>
aufgefaszt wird, insbesondere in der <hi rendition="#g">Qualität</hi> (nicht Quantität)<lb/><hi rendition="#g">des Herrschers</hi>.</p><lb/>
          <p>I. Die erste Form war die der <hi rendition="#g">Ideokratie</hi>, deren höch-<lb/>
ster Typus die <hi rendition="#g">Theokratie</hi> ist. Das Volk dachte sich den<lb/>
Herrscher als ein ihm in jeder Weise, schon von Natur über-<lb/>
geordnetes, als ein <hi rendition="#g">übermenschliches</hi> Wesen, Gott selbst<lb/>
wurde als der wahre Regent des States verehrt.</p><lb/>
          <p>II. Den schroffsten Gegensatz zu der Ideokratie, in<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[378/0396] Sechstes Buch. Die Statsformen. und eine Beziehung auf die Entwicklungsstufen der politischen Idee, und werden so geordnet, dasz die Demokratie als die niedrigste Stufe, die Monarchie als die höchste erscheint. Immerhin ist durch diese Erörterung, wenn auch nicht ein neues Princip der Eintheilung eingeführt, so doch eine höhere Einsicht in den Geist der verschiedenen Statenbildungen ge- wonnen worden. Die Entwicklungsstufen der Geschichte aber entsprechen der logischen Entwicklung, wie sie Schleiermacher auffaszt, keineswegs. Die geschichtliche Reihenfolge ist viel öfter die umgekehrte: Monarchie, Aristokratie, Demokratie. Diese Er- fahrung entsprieht überdem der naturgemäszen Annahme, dasz das active Statsbewusztsein sich zuerst auf der Höhe des Lebens unter besonders günstigen Bedingungen entwickle und thätig werde und dann allmählich sich über weitere Kreise der Natur und Gesellschaft ausbreite. Viertes Capitel. Das Princip der vier Grundformen. Der specifische Unterschied der verschiedenen Statsformen ist, wie Aristoteles erkannt hat, in der verschiedenen Art zu finden, wie der Gegensatz der Regierung und der Regierten aufgefaszt wird, insbesondere in der Qualität (nicht Quantität) des Herrschers. I. Die erste Form war die der Ideokratie, deren höch- ster Typus die Theokratie ist. Das Volk dachte sich den Herrscher als ein ihm in jeder Weise, schon von Natur über- geordnetes, als ein übermenschliches Wesen, Gott selbst wurde als der wahre Regent des States verehrt. II. Den schroffsten Gegensatz zu der Ideokratie, in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/396
Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/396>, abgerufen am 25.11.2024.