erwärmen und in dem harten Kampf mit der Natur zu suchen, sondern vorzüglich auch darin, dasz die kalte Zone zugleich einen unfruchtbaren Boden hat. Indessen ganz ähnliche Wir- kungen zeigen sich zuweilen auch in heiszen Ländern, wo scheinbar die Fruchtbarkeit sehr grosz, aber zugleich wegen öfterer und plötzlicher Zerstörung der Früchte z. B. durch Insektenschwärme oder Ueberschwemmungen sehr unsicher ist; denn für das dauernde Gemeindeleben der Menschen ist es ebenso nachtheilig, wenn man die reichlich wachsenden Früchte nicht einsammeln und nicht bewahren kann, als wenn wenig Früchte reifen.
Der höchst fruchtbare Boden, welcher den Menschen, ohne von ihnen Arbeit zu verlangen, regelmäszig hinreichende Nahrung darbietet, ist zwar eine bessere Vorbedingung für das Gemeinleben, als das unwirthliche Land, aber doch nichts weniger als die günstigste Unterlage des Stats, haupt- sächlich aus folgenden Gründen:
1) Die Nahrungssorge ist bekanntlich ein Haupthebel der menschlichen Arbeit. Ist sie dem Menschen abgenommen durch die Freigebigkeit der Natur, so arbeiten die Menschen wenig oder nichts. Viele versinken in trägen Müsziggang und in eitle Sinnenlust. Wo aber die Arbeit fehlt, da entwickeln sich die menschlichen Kräfte nicht, oder nur sehr unvollständig und ungenügend. Der Reichthum der Men- schennatur gelangt nicht zur Entfaltung, er bleibt ein ver- borgener Schatz und eine höhere Gesammtbildung wird nicht erreicht. Die Zustände der Bevölkerung auf manchen Inseln der tropischen Zone zeigen deszhalb ein glückliches Sinnenleben, aber eine geringe Bildung der Massen. Als die müszigen Lazzaroni von Neapel in fleiszige Arbeiter verwan- delt wurden, machte die schöne Hafenstadt einen groszen Fortschritt in menschlicher Cultur.
2) Nur wo man der Arbeit bedarf, da bekommt sie einen Werth, und nur wenn die Arbeit geschätzt wird,
Drittes Capitel. III. Fruchtbarkeit des Bodens.
erwärmen und in dem harten Kampf mit der Natur zu suchen, sondern vorzüglich auch darin, dasz die kalte Zone zugleich einen unfruchtbaren Boden hat. Indessen ganz ähnliche Wir- kungen zeigen sich zuweilen auch in heiszen Ländern, wo scheinbar die Fruchtbarkeit sehr grosz, aber zugleich wegen öfterer und plötzlicher Zerstörung der Früchte z. B. durch Insektenschwärme oder Ueberschwemmungen sehr unsicher ist; denn für das dauernde Gemeindeleben der Menschen ist es ebenso nachtheilig, wenn man die reichlich wachsenden Früchte nicht einsammeln und nicht bewahren kann, als wenn wenig Früchte reifen.
Der höchst fruchtbare Boden, welcher den Menschen, ohne von ihnen Arbeit zu verlangen, regelmäszig hinreichende Nahrung darbietet, ist zwar eine bessere Vorbedingung für das Gemeinleben, als das unwirthliche Land, aber doch nichts weniger als die günstigste Unterlage des Stats, haupt- sächlich aus folgenden Gründen:
1) Die Nahrungssorge ist bekanntlich ein Haupthebel der menschlichen Arbeit. Ist sie dem Menschen abgenommen durch die Freigebigkeit der Natur, so arbeiten die Menschen wenig oder nichts. Viele versinken in trägen Müsziggang und in eitle Sinnenlust. Wo aber die Arbeit fehlt, da entwickeln sich die menschlichen Kräfte nicht, oder nur sehr unvollständig und ungenügend. Der Reichthum der Men- schennatur gelangt nicht zur Entfaltung, er bleibt ein ver- borgener Schatz und eine höhere Gesammtbildung wird nicht erreicht. Die Zustände der Bevölkerung auf manchen Inseln der tropischen Zone zeigen deszhalb ein glückliches Sinnenleben, aber eine geringe Bildung der Massen. Als die müszigen Lazzaroni von Neapel in fleiszige Arbeiter verwan- delt wurden, machte die schöne Hafenstadt einen groszen Fortschritt in menschlicher Cultur.
2) Nur wo man der Arbeit bedarf, da bekommt sie einen Werth, und nur wenn die Arbeit geschätzt wird,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0283"n="265"/><fwplace="top"type="header">Drittes Capitel. III. Fruchtbarkeit des Bodens.</fw><lb/>
erwärmen und in dem harten Kampf mit der Natur zu suchen,<lb/>
sondern vorzüglich auch darin, dasz die kalte Zone zugleich<lb/>
einen unfruchtbaren Boden hat. Indessen ganz ähnliche Wir-<lb/>
kungen zeigen sich zuweilen auch in heiszen Ländern, wo<lb/>
scheinbar die Fruchtbarkeit sehr grosz, aber zugleich wegen<lb/>
öfterer und plötzlicher Zerstörung der Früchte z. B. durch<lb/>
Insektenschwärme oder Ueberschwemmungen sehr unsicher<lb/>
ist; denn für das dauernde Gemeindeleben der Menschen ist<lb/>
es ebenso nachtheilig, wenn man die reichlich wachsenden<lb/>
Früchte nicht einsammeln und nicht bewahren kann, als<lb/>
wenn wenig Früchte reifen.</p><lb/><p>Der <hirendition="#g">höchst fruchtbare</hi> Boden, welcher den Menschen,<lb/>
ohne von ihnen Arbeit zu verlangen, regelmäszig hinreichende<lb/>
Nahrung darbietet, ist zwar eine bessere Vorbedingung für<lb/>
das Gemeinleben, als das unwirthliche Land, aber doch<lb/>
nichts weniger als die günstigste Unterlage des Stats, haupt-<lb/>
sächlich aus folgenden Gründen:</p><lb/><p>1) Die Nahrungssorge ist bekanntlich ein Haupthebel der<lb/>
menschlichen Arbeit. Ist sie dem Menschen abgenommen<lb/>
durch die Freigebigkeit der Natur, so arbeiten die Menschen<lb/>
wenig oder nichts. Viele versinken in trägen Müsziggang<lb/>
und in eitle Sinnenlust. Wo aber die <hirendition="#g">Arbeit fehlt</hi>, da<lb/>
entwickeln sich die menschlichen Kräfte nicht, oder nur sehr<lb/>
unvollständig und ungenügend. Der <hirendition="#g">Reichthum der Men-<lb/>
schennatur</hi> gelangt nicht zur Entfaltung, er bleibt ein <hirendition="#g">ver-<lb/>
borgener Schatz</hi> und eine höhere Gesammtbildung wird<lb/>
nicht erreicht. Die Zustände der Bevölkerung auf manchen<lb/>
Inseln der tropischen Zone zeigen deszhalb ein glückliches<lb/>
Sinnenleben, aber eine geringe Bildung der Massen. Als die<lb/>
müszigen Lazzaroni von Neapel in fleiszige Arbeiter verwan-<lb/>
delt wurden, machte die schöne Hafenstadt einen groszen<lb/>
Fortschritt in menschlicher Cultur.</p><lb/><p>2) Nur wo man der <hirendition="#g">Arbeit bedarf</hi>, da bekommt sie<lb/><hirendition="#g">einen Werth</hi>, und nur wenn die Arbeit geschätzt wird,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[265/0283]
Drittes Capitel. III. Fruchtbarkeit des Bodens.
erwärmen und in dem harten Kampf mit der Natur zu suchen,
sondern vorzüglich auch darin, dasz die kalte Zone zugleich
einen unfruchtbaren Boden hat. Indessen ganz ähnliche Wir-
kungen zeigen sich zuweilen auch in heiszen Ländern, wo
scheinbar die Fruchtbarkeit sehr grosz, aber zugleich wegen
öfterer und plötzlicher Zerstörung der Früchte z. B. durch
Insektenschwärme oder Ueberschwemmungen sehr unsicher
ist; denn für das dauernde Gemeindeleben der Menschen ist
es ebenso nachtheilig, wenn man die reichlich wachsenden
Früchte nicht einsammeln und nicht bewahren kann, als
wenn wenig Früchte reifen.
Der höchst fruchtbare Boden, welcher den Menschen,
ohne von ihnen Arbeit zu verlangen, regelmäszig hinreichende
Nahrung darbietet, ist zwar eine bessere Vorbedingung für
das Gemeinleben, als das unwirthliche Land, aber doch
nichts weniger als die günstigste Unterlage des Stats, haupt-
sächlich aus folgenden Gründen:
1) Die Nahrungssorge ist bekanntlich ein Haupthebel der
menschlichen Arbeit. Ist sie dem Menschen abgenommen
durch die Freigebigkeit der Natur, so arbeiten die Menschen
wenig oder nichts. Viele versinken in trägen Müsziggang
und in eitle Sinnenlust. Wo aber die Arbeit fehlt, da
entwickeln sich die menschlichen Kräfte nicht, oder nur sehr
unvollständig und ungenügend. Der Reichthum der Men-
schennatur gelangt nicht zur Entfaltung, er bleibt ein ver-
borgener Schatz und eine höhere Gesammtbildung wird
nicht erreicht. Die Zustände der Bevölkerung auf manchen
Inseln der tropischen Zone zeigen deszhalb ein glückliches
Sinnenleben, aber eine geringe Bildung der Massen. Als die
müszigen Lazzaroni von Neapel in fleiszige Arbeiter verwan-
delt wurden, machte die schöne Hafenstadt einen groszen
Fortschritt in menschlicher Cultur.
2) Nur wo man der Arbeit bedarf, da bekommt sie
einen Werth, und nur wenn die Arbeit geschätzt wird,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/283>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.