Drittes Buch. Die Grundlagen des Stats etc. Das Land.
diese Gegensätze in die Augen. Einzelne Individuen ent- scheiden hier nicht, aber die Massen empfinden den Unter- schied des Klimas. Bodin geht zu weit, wenn er sagt, die Nordländer überwinden die Südländer gewöhnlich in der offenen Feldschlacht, aber diese gewinnen jenen wieder den Vortheil ab in der diplomatischen Verhandlung. Aber immer- hin ist es bei politischen Fragen rathsam, die ausdauernde Körperkraft und den zähen Willen der Nordländer wie die leidenschaftliche Reizbarkeit und Geistesfeinheit der Südlän- der innerhalb der gemäszigten Zone wohl in Betracht zu ziehen.
Die Politik vermag sehr wenig wider die zuweilen unbe- queme Macht des Klimas. Sie kann dasselbe nicht ändern und die makrokosmischen Wirkungen der Natur nicht auf- heben. Es bleibt ihr nur die eine Aufgabe, dasz sie die Vor- züge, welche das Klima darbietet, zu menschlichen Zwecken benutze und so viel als möglich den Stat vor den schädlichen Einwirkungen behüte.
Einiges kann die Erziehung und die Gesetzgebung in dieser Hinsicht allerdings leisten. Wenn in den kälteren Ländern der Mensch mehr zur Trunkenheit, in den südlichen mehr zur Geschlechtslust geneigt ist, so wird dort der einen, hier der anderen Ausschweifung mit strengerer Sorge entgegen zu wirken sein. Aber man wird dabei nicht vergessen dürfen, dasz in dem kälteren Himmelsstrich der Arbeiter zu seiner Erwärmung mehr Nahrung und mehr Getränke bedarf. Auf der andern Seite wird in warmen Ländern der Genusz gei- stiger Getränke leicht gefährlich für die Gesundheit, während er in kälteren Zonen unentbehrlich ist. Das Verbot Muham- meds, Wein zu trinken, hatte daher einen Sinn für die Be- wohner Arabiens, wäre aber sinnlos für die Europäer. Ebenso wird in der gemäszigt-kühleren Zone eher die Freiheit der Arbeit, in der gemäszigt-wärmeren eher die Anregung zur Arbeit zu befördern sein. Trotz aller Modificationen, welche die Verschiedenheit des Klimas hervorbringt, die menschliche
Drittes Buch. Die Grundlagen des Stats etc. Das Land.
diese Gegensätze in die Augen. Einzelne Individuen ent- scheiden hier nicht, aber die Massen empfinden den Unter- schied des Klimas. Bodin geht zu weit, wenn er sagt, die Nordländer überwinden die Südländer gewöhnlich in der offenen Feldschlacht, aber diese gewinnen jenen wieder den Vortheil ab in der diplomatischen Verhandlung. Aber immer- hin ist es bei politischen Fragen rathsam, die ausdauernde Körperkraft und den zähen Willen der Nordländer wie die leidenschaftliche Reizbarkeit und Geistesfeinheit der Südlän- der innerhalb der gemäszigten Zone wohl in Betracht zu ziehen.
Die Politik vermag sehr wenig wider die zuweilen unbe- queme Macht des Klimas. Sie kann dasselbe nicht ändern und die makrokosmischen Wirkungen der Natur nicht auf- heben. Es bleibt ihr nur die eine Aufgabe, dasz sie die Vor- züge, welche das Klima darbietet, zu menschlichen Zwecken benutze und so viel als möglich den Stat vor den schädlichen Einwirkungen behüte.
Einiges kann die Erziehung und die Gesetzgebung in dieser Hinsicht allerdings leisten. Wenn in den kälteren Ländern der Mensch mehr zur Trunkenheit, in den südlichen mehr zur Geschlechtslust geneigt ist, so wird dort der einen, hier der anderen Ausschweifung mit strengerer Sorge entgegen zu wirken sein. Aber man wird dabei nicht vergessen dürfen, dasz in dem kälteren Himmelsstrich der Arbeiter zu seiner Erwärmung mehr Nahrung und mehr Getränke bedarf. Auf der andern Seite wird in warmen Ländern der Genusz gei- stiger Getränke leicht gefährlich für die Gesundheit, während er in kälteren Zonen unentbehrlich ist. Das Verbot Muham- meds, Wein zu trinken, hatte daher einen Sinn für die Be- wohner Arabiens, wäre aber sinnlos für die Europäer. Ebenso wird in der gemäszigt-kühleren Zone eher die Freiheit der Arbeit, in der gemäszigt-wärmeren eher die Anregung zur Arbeit zu befördern sein. Trotz aller Modificationen, welche die Verschiedenheit des Klimas hervorbringt, die menschliche
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Drittes Buch. Die Grundlagen des Stats etc. Das Land.
diese Gegensätze in die Augen. Einzelne Individuen ent-
scheiden hier nicht, aber die Massen empfinden den Unter-
schied des Klimas. Bodin geht zu weit, wenn er sagt, die
Nordländer überwinden die Südländer gewöhnlich in der
offenen Feldschlacht, aber diese gewinnen jenen wieder den
Vortheil ab in der diplomatischen Verhandlung. Aber immer-
hin ist es bei politischen Fragen rathsam, die ausdauernde
Körperkraft und den zähen Willen der Nordländer wie die
leidenschaftliche Reizbarkeit und Geistesfeinheit der Südlän-
der innerhalb der gemäszigten Zone wohl in Betracht zu ziehen.
Die Politik vermag sehr wenig wider die zuweilen unbe-
queme Macht des Klimas. Sie kann dasselbe nicht ändern
und die makrokosmischen Wirkungen der Natur nicht auf-
heben. Es bleibt ihr nur die eine Aufgabe, dasz sie die Vor-
züge, welche das Klima darbietet, zu menschlichen Zwecken
benutze und so viel als möglich den Stat vor den schädlichen
Einwirkungen behüte.
Einiges kann die Erziehung und die Gesetzgebung in
dieser Hinsicht allerdings leisten. Wenn in den kälteren
Ländern der Mensch mehr zur Trunkenheit, in den südlichen
mehr zur Geschlechtslust geneigt ist, so wird dort der einen,
hier der anderen Ausschweifung mit strengerer Sorge entgegen
zu wirken sein. Aber man wird dabei nicht vergessen dürfen,
dasz in dem kälteren Himmelsstrich der Arbeiter zu seiner
Erwärmung mehr Nahrung und mehr Getränke bedarf. Auf
der andern Seite wird in warmen Ländern der Genusz gei-
stiger Getränke leicht gefährlich für die Gesundheit, während
er in kälteren Zonen unentbehrlich ist. Das Verbot Muham-
meds, Wein zu trinken, hatte daher einen Sinn für die Be-
wohner Arabiens, wäre aber sinnlos für die Europäer. Ebenso
wird in der gemäszigt-kühleren Zone eher die Freiheit der
Arbeit, in der gemäszigt-wärmeren eher die Anregung zur
Arbeit zu befördern sein. Trotz aller Modificationen, welche
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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/276>, abgerufen am 25.11.2024.
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