Zweiundzwanzigstes Capitel. Verhältnisz des Stats etc. 2. Statsbürger etc.
läugnen ist, dasz auch dieser seinen Antheil an der neuen Gestaltung hat. Als zuerst der nordamerikanische Con- gresz 1791 untersagte, "ein Gesetz zu geben, wodurch eine Religion zur herrschenden erklärt werde," war die Meinung keineswegs die, dasz es für die Wohlfahrt des States gleich- gültig sei, ob seine Bürger von der Wahrheit und Kraft der christlichen Religion beseelt seien oder nicht, noch die, den Stat an der Ausübung seiner Pflicht, die Anstalten der christ- lichen Religion zu schützen und zu fördern, irgend zu be- hindern. 12
Das neuere Princip erhält vielmehr seine tiefere Begrün- dung in der Anerkennung der Idee, dasz der religiöse Glaube und das religiöse Bekenntnisz ihrem Wesen nach von statlichem Zwange frei sein und der Mahnung des Gewissens allein an- heim gegeben werden müssen, dasz daher auch keine politi- schen Nachtheile, keine Rechtsverminderung die Abweichung von dem christlichen Glauben bedrohen dürfe. Dazu kam die Neigung der Nordamerikaner, die beiden Gebiete des statlichen und des kirchlichen Lebens scharf von einander auszuscheiden, und auf dem einen den Stat, auf dem andern die Kirche mög- lichst frei gewähren zu lassen. In diesem Sinne wurden die politischen Rechte Keinem versagt, der, wenn auch einer andern Religion zugethan, doch fähig schien, die politischen Pflichten auszuüben.
Als dagegen die französische Revolution ähnliche Grundsätze adoptirte, war nicht lediglich die Sorge für die Gewissensfreiheit das bestimmende Motiv, vielmehr hatte, wie die auch an religiösen Verfolgungen reiche Geschichte jener Zeit beweist, auch der aus der früheren Frivolität zu wildem Hasse des Christenthums fortgeschrittene Geist der Verneinung einen Antheil daran. 13
12 Vgl. Story a. a. O. P. III. St. 44.
13 Das neue Princip war schon in dem ersten Artikel der Erklärung der Menschenrechte von 1791 ausgesprochen: "Les hommes naissent et
Zweiundzwanzigstes Capitel. Verhältnisz des Stats etc. 2. Statsbürger etc.
läugnen ist, dasz auch dieser seinen Antheil an der neuen Gestaltung hat. Als zuerst der nordamerikanische Con- gresz 1791 untersagte, „ein Gesetz zu geben, wodurch eine Religion zur herrschenden erklärt werde,“ war die Meinung keineswegs die, dasz es für die Wohlfahrt des States gleich- gültig sei, ob seine Bürger von der Wahrheit und Kraft der christlichen Religion beseelt seien oder nicht, noch die, den Stat an der Ausübung seiner Pflicht, die Anstalten der christ- lichen Religion zu schützen und zu fördern, irgend zu be- hindern. 12
Das neuere Princip erhält vielmehr seine tiefere Begrün- dung in der Anerkennung der Idee, dasz der religiöse Glaube und das religiöse Bekenntnisz ihrem Wesen nach von statlichem Zwange frei sein und der Mahnung des Gewissens allein an- heim gegeben werden müssen, dasz daher auch keine politi- schen Nachtheile, keine Rechtsverminderung die Abweichung von dem christlichen Glauben bedrohen dürfe. Dazu kam die Neigung der Nordamerikaner, die beiden Gebiete des statlichen und des kirchlichen Lebens scharf von einander auszuscheiden, und auf dem einen den Stat, auf dem andern die Kirche mög- lichst frei gewähren zu lassen. In diesem Sinne wurden die politischen Rechte Keinem versagt, der, wenn auch einer andern Religion zugethan, doch fähig schien, die politischen Pflichten auszuüben.
Als dagegen die französische Revolution ähnliche Grundsätze adoptirte, war nicht lediglich die Sorge für die Gewissensfreiheit das bestimmende Motiv, vielmehr hatte, wie die auch an religiösen Verfolgungen reiche Geschichte jener Zeit beweist, auch der aus der früheren Frivolität zu wildem Hasse des Christenthums fortgeschrittene Geist der Verneinung einen Antheil daran. 13
12 Vgl. Story a. a. O. P. III. St. 44.
13 Das neue Princip war schon in dem ersten Artikel der Erklärung der Menschenrechte von 1791 ausgesprochen: „Les hommes naissent et
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Zweiundzwanzigstes Capitel. Verhältnisz des Stats etc. 2. Statsbürger etc.
läugnen ist, dasz auch dieser seinen Antheil an der neuen
Gestaltung hat. Als zuerst der nordamerikanische Con-
gresz 1791 untersagte, „ein Gesetz zu geben, wodurch eine
Religion zur herrschenden erklärt werde,“ war die Meinung
keineswegs die, dasz es für die Wohlfahrt des States gleich-
gültig sei, ob seine Bürger von der Wahrheit und Kraft der
christlichen Religion beseelt seien oder nicht, noch die, den
Stat an der Ausübung seiner Pflicht, die Anstalten der christ-
lichen Religion zu schützen und zu fördern, irgend zu be-
hindern. 12
Das neuere Princip erhält vielmehr seine tiefere Begrün-
dung in der Anerkennung der Idee, dasz der religiöse Glaube
und das religiöse Bekenntnisz ihrem Wesen nach von statlichem
Zwange frei sein und der Mahnung des Gewissens allein an-
heim gegeben werden müssen, dasz daher auch keine politi-
schen Nachtheile, keine Rechtsverminderung die Abweichung
von dem christlichen Glauben bedrohen dürfe. Dazu kam die
Neigung der Nordamerikaner, die beiden Gebiete des statlichen
und des kirchlichen Lebens scharf von einander auszuscheiden,
und auf dem einen den Stat, auf dem andern die Kirche mög-
lichst frei gewähren zu lassen. In diesem Sinne wurden die
politischen Rechte Keinem versagt, der, wenn auch einer
andern Religion zugethan, doch fähig schien, die politischen
Pflichten auszuüben.
Als dagegen die französische Revolution ähnliche
Grundsätze adoptirte, war nicht lediglich die Sorge für die
Gewissensfreiheit das bestimmende Motiv, vielmehr hatte, wie
die auch an religiösen Verfolgungen reiche Geschichte jener
Zeit beweist, auch der aus der früheren Frivolität zu wildem
Hasse des Christenthums fortgeschrittene Geist der Verneinung
einen Antheil daran. 13
12 Vgl. Story a. a. O. P. III. St. 44.
13 Das neue Princip war schon in dem ersten Artikel der Erklärung
der Menschenrechte von 1791 ausgesprochen: „Les hommes naissent et
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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/269>, abgerufen am 25.11.2024.
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