Zwanzigstes Capitel. Verhältnisz des States zur Familie. 2. Die Frauen.
nicht blosz in England, sondern auch in Oesterreich, Rusz- land, Spanien, Portugal und anderwärts unter verschiedenen Regierungssystemen Frauen als Regenten gesehen.
Woher diese sonderbare Ausnahme? Wenn den Frauen politische Rechte überhaupt nicht zukommen, wie können sie denn an dem höchsten politischen Rechte Theil haben? Sollte es nicht natürlicher sein, dasz eine Frau ein untergeordnetes Statsamt verwalte, oder in dem Rathe ihre Meinung äuszere, als dasz sie Oberhaupt des States werde? Diese Ausnahme läszt sich nur daraus erklären, dasz die Würde und Macht des Statsoberhauptes als ein politisches Familiengut betrach- tet und behandelt und der Frau die nämlichen Rechte auf die Thronfolge wie auf die Beerbung der väterlichen Liegen- schaften zugestanden wurden. Das Land wurde wie ein Gut (Allod oder Lehensgut) angesehen, und das privatrechtliche Erbsystem auch für die statsrechtliche Folge festgehalten. Auf solche Weise ist die Fähigkeit königlicher Frauen zur Thronfolge schon im Alterthum begründet und in der neuern Zeit ausgedehnt worden; und es haben manche neuere Staten, welche im übrigen zwischen Stats- und Privatrecht schärfer gesondert haben und der mittelalterlichen Vorstellung des Lehens- oder des Patrimonialstates entwachsen sind, dennoch diesen Rest der früheren Anschauungsweise beibehalten, und auf die Blutsverbindung in der königlichen Familie ein grösze- res Gewicht gelegt, als auf die Natur des States und die Be- stimmung der Frau. 3
d) Da die meisten Frauen in der Familie leben, so würden sie thatsächlich in der Regel sich zu ihrem Familien- haupte halten; die Frauen würden mit dem Ehemann, die
3 Vgl. die Untersuchungen von Laboulaye: Recherches sur la condition civile et politique des femmes, Paris 1843. Beachtenswerth aber bleibt es, dasz manche Frauenregierungen gut ausgefallen sind, zum Theil deszhalb, weil die Kaiserinnen und Königinnen sich lieber von bedeutenden Staatsmännern leiten lieszen, als viele männliche Herrscher.
Zwanzigstes Capitel. Verhältnisz des States zur Familie. 2. Die Frauen.
nicht blosz in England, sondern auch in Oesterreich, Rusz- land, Spanien, Portugal und anderwärts unter verschiedenen Regierungssystemen Frauen als Regenten gesehen.
Woher diese sonderbare Ausnahme? Wenn den Frauen politische Rechte überhaupt nicht zukommen, wie können sie denn an dem höchsten politischen Rechte Theil haben? Sollte es nicht natürlicher sein, dasz eine Frau ein untergeordnetes Statsamt verwalte, oder in dem Rathe ihre Meinung äuszere, als dasz sie Oberhaupt des States werde? Diese Ausnahme läszt sich nur daraus erklären, dasz die Würde und Macht des Statsoberhauptes als ein politisches Familiengut betrach- tet und behandelt und der Frau die nämlichen Rechte auf die Thronfolge wie auf die Beerbung der väterlichen Liegen- schaften zugestanden wurden. Das Land wurde wie ein Gut (Allod oder Lehensgut) angesehen, und das privatrechtliche Erbsystem auch für die statsrechtliche Folge festgehalten. Auf solche Weise ist die Fähigkeit königlicher Frauen zur Thronfolge schon im Alterthum begründet und in der neuern Zeit ausgedehnt worden; und es haben manche neuere Staten, welche im übrigen zwischen Stats- und Privatrecht schärfer gesondert haben und der mittelalterlichen Vorstellung des Lehens- oder des Patrimonialstates entwachsen sind, dennoch diesen Rest der früheren Anschauungsweise beibehalten, und auf die Blutsverbindung in der königlichen Familie ein grösze- res Gewicht gelegt, als auf die Natur des States und die Be- stimmung der Frau. 3
d) Da die meisten Frauen in der Familie leben, so würden sie thatsächlich in der Regel sich zu ihrem Familien- haupte halten; die Frauen würden mit dem Ehemann, die
3 Vgl. die Untersuchungen von Laboulaye: Recherches sur la condition civile et politique des femmes, Paris 1843. Beachtenswerth aber bleibt es, dasz manche Frauenregierungen gut ausgefallen sind, zum Theil deszhalb, weil die Kaiserinnen und Königinnen sich lieber von bedeutenden Staatsmännern leiten lieszen, als viele männliche Herrscher.
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Zwanzigstes Capitel. Verhältnisz des States zur Familie. 2. Die Frauen.
nicht blosz in England, sondern auch in Oesterreich, Rusz-
land, Spanien, Portugal und anderwärts unter verschiedenen
Regierungssystemen Frauen als Regenten gesehen.
Woher diese sonderbare Ausnahme? Wenn den Frauen
politische Rechte überhaupt nicht zukommen, wie können sie
denn an dem höchsten politischen Rechte Theil haben? Sollte
es nicht natürlicher sein, dasz eine Frau ein untergeordnetes
Statsamt verwalte, oder in dem Rathe ihre Meinung äuszere,
als dasz sie Oberhaupt des States werde? Diese Ausnahme
läszt sich nur daraus erklären, dasz die Würde und Macht
des Statsoberhauptes als ein politisches Familiengut betrach-
tet und behandelt und der Frau die nämlichen Rechte auf
die Thronfolge wie auf die Beerbung der väterlichen Liegen-
schaften zugestanden wurden. Das Land wurde wie ein Gut
(Allod oder Lehensgut) angesehen, und das privatrechtliche
Erbsystem auch für die statsrechtliche Folge festgehalten.
Auf solche Weise ist die Fähigkeit königlicher Frauen zur
Thronfolge schon im Alterthum begründet und in der neuern
Zeit ausgedehnt worden; und es haben manche neuere Staten,
welche im übrigen zwischen Stats- und Privatrecht schärfer
gesondert haben und der mittelalterlichen Vorstellung des
Lehens- oder des Patrimonialstates entwachsen sind, dennoch
diesen Rest der früheren Anschauungsweise beibehalten, und
auf die Blutsverbindung in der königlichen Familie ein grösze-
res Gewicht gelegt, als auf die Natur des States und die Be-
stimmung der Frau. 3
d) Da die meisten Frauen in der Familie leben, so
würden sie thatsächlich in der Regel sich zu ihrem Familien-
haupte halten; die Frauen würden mit dem Ehemann, die
3 Vgl. die Untersuchungen von Laboulaye: Recherches sur la
condition civile et politique des femmes, Paris 1843. Beachtenswerth
aber bleibt es, dasz manche Frauenregierungen gut ausgefallen sind,
zum Theil deszhalb, weil die Kaiserinnen und Königinnen sich lieber
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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/249>, abgerufen am 22.11.2024.
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