Befreiung der Hörigen ihres Gebiets durchgeführt zu haben. Die Stadt Bologna, die allezeit für die Freiheit gekämpft hat, faszte im Jahr 1256 auf Antrag ihres Podesta Accursius de Sorrecina den hochherzigen Beschlusz, alle Hörigen ihres Ge- biets freizukaufen und zu erklären, dasz es in Zukunft keine Unfreiheit mehr geben dürfe. 1
Auch der Beruf der Handwerker, früherhin besonders in dem germanischen Europa gering geschätzt und vorzugs- weise den hörigen Leuten überlassen, wurde durch das ent- wickeltere städtische Leben gehoben. Die Innungen, zuerst wohl in Italien, wo auch sonst ein freies Bürgerthum zu früher Blüthe gekommen, als scholae eingeführt, dann in Frankreich unter Einwirkung der germanischen Neigung zu corporativer Gestaltung in Form von ministeria (mestiers) und Gheuden nachgebildet, zuletzt auch nach Deutschland ver- pflanzt, stärkten das Recht der Corporationsgenossen und die Ehre der Meister. Sorgfältigere Erziehung und stufenweise Ausbildung der Handwerker, erhöhte Kunstfertigkeit, gröszerer Vermögenserwerb, die neue Waffenfähigkeit im Dienste der Stadt unter eigener Innungs- oder Zunftfahne, die dauernde Verbindung mit den Interessen und dem Gedeihen der Stadt, alles diesz weckte das Selbstgefühl und die natürlichen An- sprüche der Handwerker; und wenn noch manche von höri- gem Stamme waren, so erkauften sie nun die volle Befreiung oder erlangten dieselbe durch massenhafte Erhebung. Das eigentliche Bürgerrecht der Stadt konnte ihnen nicht ent- zogen bleiben.
Mit gröszeren Schwierigkeiten war auf dem Lande der Weg verlegt, auf welchem die hörigen Leute zur Freiheit aufstiegen. In manchen Gegenden galt sogar der entgegen- gesetzte Grundsatz: die Luft macht hörig. Aber wenn auch die hörigen Bauern nur ausnahmsweise zu voller per-
1Laurent a. a. O. VII. 5. 663. Florenz folgte dem schönen Bei- spiele 1288.
Fünfzehntes Capitel. 4. Der Bauernstand.
Befreiung der Hörigen ihres Gebiets durchgeführt zu haben. Die Stadt Bologna, die allezeit für die Freiheit gekämpft hat, faszte im Jahr 1256 auf Antrag ihres Podesta Accursius de Sorrecina den hochherzigen Beschlusz, alle Hörigen ihres Ge- biets freizukaufen und zu erklären, dasz es in Zukunft keine Unfreiheit mehr geben dürfe. 1
Auch der Beruf der Handwerker, früherhin besonders in dem germanischen Europa gering geschätzt und vorzugs- weise den hörigen Leuten überlassen, wurde durch das ent- wickeltere städtische Leben gehoben. Die Innungen, zuerst wohl in Italien, wo auch sonst ein freies Bürgerthum zu früher Blüthe gekommen, als scholae eingeführt, dann in Frankreich unter Einwirkung der germanischen Neigung zu corporativer Gestaltung in Form von ministeria (mestiers) und Gheuden nachgebildet, zuletzt auch nach Deutschland ver- pflanzt, stärkten das Recht der Corporationsgenossen und die Ehre der Meister. Sorgfältigere Erziehung und stufenweise Ausbildung der Handwerker, erhöhte Kunstfertigkeit, gröszerer Vermögenserwerb, die neue Waffenfähigkeit im Dienste der Stadt unter eigener Innungs- oder Zunftfahne, die dauernde Verbindung mit den Interessen und dem Gedeihen der Stadt, alles diesz weckte das Selbstgefühl und die natürlichen An- sprüche der Handwerker; und wenn noch manche von höri- gem Stamme waren, so erkauften sie nun die volle Befreiung oder erlangten dieselbe durch massenhafte Erhebung. Das eigentliche Bürgerrecht der Stadt konnte ihnen nicht ent- zogen bleiben.
Mit gröszeren Schwierigkeiten war auf dem Lande der Weg verlegt, auf welchem die hörigen Leute zur Freiheit aufstiegen. In manchen Gegenden galt sogar der entgegen- gesetzte Grundsatz: die Luft macht hörig. Aber wenn auch die hörigen Bauern nur ausnahmsweise zu voller per-
1Laurent a. a. O. VII. 5. 663. Florenz folgte dem schönen Bei- spiele 1288.
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Fünfzehntes Capitel. 4. Der Bauernstand.
Befreiung der Hörigen ihres Gebiets durchgeführt zu haben.
Die Stadt Bologna, die allezeit für die Freiheit gekämpft hat,
faszte im Jahr 1256 auf Antrag ihres Podesta Accursius de
Sorrecina den hochherzigen Beschlusz, alle Hörigen ihres Ge-
biets freizukaufen und zu erklären, dasz es in Zukunft keine
Unfreiheit mehr geben dürfe. 1
Auch der Beruf der Handwerker, früherhin besonders
in dem germanischen Europa gering geschätzt und vorzugs-
weise den hörigen Leuten überlassen, wurde durch das ent-
wickeltere städtische Leben gehoben. Die Innungen, zuerst
wohl in Italien, wo auch sonst ein freies Bürgerthum zu
früher Blüthe gekommen, als scholae eingeführt, dann in
Frankreich unter Einwirkung der germanischen Neigung zu
corporativer Gestaltung in Form von ministeria (mestiers) und
Gheuden nachgebildet, zuletzt auch nach Deutschland ver-
pflanzt, stärkten das Recht der Corporationsgenossen und die
Ehre der Meister. Sorgfältigere Erziehung und stufenweise
Ausbildung der Handwerker, erhöhte Kunstfertigkeit, gröszerer
Vermögenserwerb, die neue Waffenfähigkeit im Dienste der
Stadt unter eigener Innungs- oder Zunftfahne, die dauernde
Verbindung mit den Interessen und dem Gedeihen der Stadt,
alles diesz weckte das Selbstgefühl und die natürlichen An-
sprüche der Handwerker; und wenn noch manche von höri-
gem Stamme waren, so erkauften sie nun die volle Befreiung
oder erlangten dieselbe durch massenhafte Erhebung. Das
eigentliche Bürgerrecht der Stadt konnte ihnen nicht ent-
zogen bleiben.
Mit gröszeren Schwierigkeiten war auf dem Lande der
Weg verlegt, auf welchem die hörigen Leute zur Freiheit
aufstiegen. In manchen Gegenden galt sogar der entgegen-
gesetzte Grundsatz: die Luft macht hörig. Aber wenn
auch die hörigen Bauern nur ausnahmsweise zu voller per-
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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/205>, abgerufen am 23.11.2024.
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