Dreizehntes Cap. 2. Der Adel. C. Der deutsche Adel. II. Ritterschaftl. Adel.
in romantischen Gefühlen für mittelalterliche Zustände und dienten williger dem landesherrlichen Absolutismus als der Volksfreiheit. Daher ist der deutsche Adel nicht so volks- thümlich wie der englische und wird oft, ähnlich dem fran- zösischen Legitimistenadel, von den Massen vielfältig mit Misztrauen und Abneigung betrachtet. Aber immer gab es auch unter diesem Adel manche aufgeklärte Männer und aus- gezeichnete Patrioten. Dem Heere lieferte er die besten Füh- rer und in den groszen Entwicklungsmomenten der Nation gingen die Vorkämpfer und Leiter der Bewegung und der Reform doch zumeist aus diesem Stande hervor.
Die Frage der Reform der deutschen Adelsinstitution ist in neuerer Zeit vielseitig erwogen worden. Die dafür günstige Periode von 1852 bis 1860 wurde aber nicht benutzt. Ein paar verunglückte Versuche bewiesen nur die geringe Autorität der Reformfreunde unter ihren Standesgenossen und den Widerwillen der Mehrzahl gegen jede aufrichtige und wirksame Reform. Die Gründung des deutschen Kaiserreichs gewährt nun die gesetzliche Möglichkeit einer zeitgemäszen Neugestaltung einer nationalen Aristokratie, welche die noch zahlreichen gesunden Elemente des alten Adels auf- nimmt und schützend erhält, aber mit andern modernen ari- stokratischen Bildungen verbindet, und alle innerlich kraft- losen und lebensunfähigen Bestandtheile des bisherigen Adels schonungslos beseitigt. Für eine grosze Nation, wie die deutsche, ist auch eine kräftige, selbständige und hochgebil- dete Aristokratie ein politisches Lebensbedürfnisz. Zumal in unsrer Zeit, in welcher die demokratischen Massen so schwer ins Gewicht fallen, wird es nöthig, das Schwergewicht der Quantität durch die Höhe der Qualität zu ermäszigen und zu ergänzen.
Die Erblichkeit wird indessen in einem so gereinigten aristokratischen Mittelstande schwerlich allein Geltung haben noch schrankenlos sich ausdehnen dürfen. Denn es gibt in
Dreizehntes Cap. 2. Der Adel. C. Der deutsche Adel. II. Ritterschaftl. Adel.
in romantischen Gefühlen für mittelalterliche Zustände und dienten williger dem landesherrlichen Absolutismus als der Volksfreiheit. Daher ist der deutsche Adel nicht so volks- thümlich wie der englische und wird oft, ähnlich dem fran- zösischen Legitimistenadel, von den Massen vielfältig mit Misztrauen und Abneigung betrachtet. Aber immer gab es auch unter diesem Adel manche aufgeklärte Männer und aus- gezeichnete Patrioten. Dem Heere lieferte er die besten Füh- rer und in den groszen Entwicklungsmomenten der Nation gingen die Vorkämpfer und Leiter der Bewegung und der Reform doch zumeist aus diesem Stande hervor.
Die Frage der Reform der deutschen Adelsinstitution ist in neuerer Zeit vielseitig erwogen worden. Die dafür günstige Periode von 1852 bis 1860 wurde aber nicht benutzt. Ein paar verunglückte Versuche bewiesen nur die geringe Autorität der Reformfreunde unter ihren Standesgenossen und den Widerwillen der Mehrzahl gegen jede aufrichtige und wirksame Reform. Die Gründung des deutschen Kaiserreichs gewährt nun die gesetzliche Möglichkeit einer zeitgemäszen Neugestaltung einer nationalen Aristokratie, welche die noch zahlreichen gesunden Elemente des alten Adels auf- nimmt und schützend erhält, aber mit andern modernen ari- stokratischen Bildungen verbindet, und alle innerlich kraft- losen und lebensunfähigen Bestandtheile des bisherigen Adels schonungslos beseitigt. Für eine grosze Nation, wie die deutsche, ist auch eine kräftige, selbständige und hochgebil- dete Aristokratie ein politisches Lebensbedürfnisz. Zumal in unsrer Zeit, in welcher die demokratischen Massen so schwer ins Gewicht fallen, wird es nöthig, das Schwergewicht der Quantität durch die Höhe der Qualität zu ermäszigen und zu ergänzen.
Die Erblichkeit wird indessen in einem so gereinigten aristokratischen Mittelstande schwerlich allein Geltung haben noch schrankenlos sich ausdehnen dürfen. Denn es gibt in
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Dreizehntes Cap. 2. Der Adel. C. Der deutsche Adel. II. Ritterschaftl. Adel.
in romantischen Gefühlen für mittelalterliche Zustände und
dienten williger dem landesherrlichen Absolutismus als der
Volksfreiheit. Daher ist der deutsche Adel nicht so volks-
thümlich wie der englische und wird oft, ähnlich dem fran-
zösischen Legitimistenadel, von den Massen vielfältig mit
Misztrauen und Abneigung betrachtet. Aber immer gab es
auch unter diesem Adel manche aufgeklärte Männer und aus-
gezeichnete Patrioten. Dem Heere lieferte er die besten Füh-
rer und in den groszen Entwicklungsmomenten der Nation
gingen die Vorkämpfer und Leiter der Bewegung und der
Reform doch zumeist aus diesem Stande hervor.
Die Frage der Reform der deutschen Adelsinstitution
ist in neuerer Zeit vielseitig erwogen worden. Die dafür
günstige Periode von 1852 bis 1860 wurde aber nicht benutzt.
Ein paar verunglückte Versuche bewiesen nur die geringe
Autorität der Reformfreunde unter ihren Standesgenossen und
den Widerwillen der Mehrzahl gegen jede aufrichtige und
wirksame Reform. Die Gründung des deutschen Kaiserreichs
gewährt nun die gesetzliche Möglichkeit einer zeitgemäszen
Neugestaltung einer nationalen Aristokratie, welche die
noch zahlreichen gesunden Elemente des alten Adels auf-
nimmt und schützend erhält, aber mit andern modernen ari-
stokratischen Bildungen verbindet, und alle innerlich kraft-
losen und lebensunfähigen Bestandtheile des bisherigen Adels
schonungslos beseitigt. Für eine grosze Nation, wie die
deutsche, ist auch eine kräftige, selbständige und hochgebil-
dete Aristokratie ein politisches Lebensbedürfnisz. Zumal
in unsrer Zeit, in welcher die demokratischen Massen so
schwer ins Gewicht fallen, wird es nöthig, das Schwergewicht
der Quantität durch die Höhe der Qualität zu ermäszigen und
zu ergänzen.
Die Erblichkeit wird indessen in einem so gereinigten
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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/193>, abgerufen am 22.11.2024.
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