Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Zehntes Capitel. 2. Der Adel. A. Der französische Adel.
sammentraten, da gab der Klerus seine Sonderstellung freiwillig
auf und trat noch vor dem Adel in die allgemeine National-
versammlung ein, welche nur ein freies Bürgerthum, aber nicht
mehr die mittelalterlichen Stände repräsentirte.

Damit aber war der mittelalterliche Stand des
Klerus überall aufgelöst
. Die grosze Scheidung des
Klerus und der Laien hatte ihre Wirksamkeit verloren. Der
Stat erkannte sie für seine Rechtsordnung nicht mehr an. Die
Masse der Geistlichen ging in die groszen Bürgerclassen
über, die wenigen hohen Würdenträger der Kirche vermischten
sich mit der weltlichen Aristokratie.



Zehntes Capitel.
2. Der Adel.
A. Der französische Adel.

Auch in dem alten Rom hatte es ursprünglich einen
erblichen Geschlechtsadel gegeben, das Patriciat;
aber es war derselbe schon früh durch die inneren Partei-
kämpfe der Römer in eine politische Aristokratie um-
gebildet worden, welche nicht mehr auf der vornehmen Ab-
stammung, sondern auf dem freien Volkswillen zu den
öffentlichen Aemtern der Stadt beruhte.

Es gab in Rom auch in den letzten Jahrhunderten der
Republik und in der Kaiserzeit einen hohen Reichsadel von
politischer Natur, die senatorischen Familien. Die alten
patricischen Geschlechter, welche indessen zur Zeit von August
bis auf 50 Familien ausgestorben waren und nur sehr selten
einen Zuwachs erhielten -- die kaiserlichen Familien waren
von Rechts wegen immer patricisch -- mochten factisch, wenn
auch nicht mehr rechtlich, noch den Kern derselben bilden,

Zehntes Capitel. 2. Der Adel. A. Der französische Adel.
sammentraten, da gab der Klerus seine Sonderstellung freiwillig
auf und trat noch vor dem Adel in die allgemeine National-
versammlung ein, welche nur ein freies Bürgerthum, aber nicht
mehr die mittelalterlichen Stände repräsentirte.

Damit aber war der mittelalterliche Stand des
Klerus überall aufgelöst
. Die grosze Scheidung des
Klerus und der Laien hatte ihre Wirksamkeit verloren. Der
Stat erkannte sie für seine Rechtsordnung nicht mehr an. Die
Masse der Geistlichen ging in die groszen Bürgerclassen
über, die wenigen hohen Würdenträger der Kirche vermischten
sich mit der weltlichen Aristokratie.



Zehntes Capitel.
2. Der Adel.
A. Der französische Adel.

Auch in dem alten Rom hatte es ursprünglich einen
erblichen Geschlechtsadel gegeben, das Patriciat;
aber es war derselbe schon früh durch die inneren Partei-
kämpfe der Römer in eine politische Aristokratie um-
gebildet worden, welche nicht mehr auf der vornehmen Ab-
stammung, sondern auf dem freien Volkswillen zu den
öffentlichen Aemtern der Stadt beruhte.

Es gab in Rom auch in den letzten Jahrhunderten der
Republik und in der Kaiserzeit einen hohen Reichsadel von
politischer Natur, die senatorischen Familien. Die alten
patricischen Geschlechter, welche indessen zur Zeit von August
bis auf 50 Familien ausgestorben waren und nur sehr selten
einen Zuwachs erhielten — die kaiserlichen Familien waren
von Rechts wegen immer patricisch — mochten factisch, wenn
auch nicht mehr rechtlich, noch den Kern derselben bilden,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0159" n="141"/><fw place="top" type="header">Zehntes Capitel. 2. Der Adel. A. Der französische Adel.</fw><lb/>
sammentraten, da gab der Klerus seine Sonderstellung freiwillig<lb/>
auf und trat noch vor dem Adel in die allgemeine National-<lb/>
versammlung ein, welche nur ein freies Bürgerthum, aber nicht<lb/>
mehr die mittelalterlichen Stände repräsentirte.</p><lb/>
          <p>Damit aber war der <hi rendition="#g">mittelalterliche Stand des<lb/>
Klerus überall aufgelöst</hi>. Die grosze Scheidung des<lb/>
Klerus und der Laien hatte ihre Wirksamkeit verloren. Der<lb/>
Stat erkannte sie für seine Rechtsordnung nicht mehr an. Die<lb/>
Masse der Geistlichen ging in die <hi rendition="#g">groszen Bürgerclassen</hi><lb/>
über, die wenigen hohen Würdenträger der Kirche vermischten<lb/>
sich mit der weltlichen <hi rendition="#g">Aristokratie</hi>.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>Zehntes Capitel.<lb/><hi rendition="#b">2. Der Adel.<lb/>
A. Der französische Adel.</hi></head><lb/>
          <p>Auch in dem alten Rom hatte es ursprünglich einen<lb/><hi rendition="#g">erblichen Geschlechtsadel</hi> gegeben, das <hi rendition="#g">Patriciat</hi>;<lb/>
aber es war derselbe schon früh durch die inneren Partei-<lb/>
kämpfe der Römer in eine <hi rendition="#g">politische Aristokratie</hi> um-<lb/>
gebildet worden, welche nicht mehr auf der vornehmen Ab-<lb/>
stammung, sondern auf dem <hi rendition="#g">freien Volkswillen</hi> zu den<lb/>
öffentlichen Aemtern der Stadt beruhte.</p><lb/>
          <p>Es gab in Rom auch in den letzten Jahrhunderten der<lb/>
Republik und in der Kaiserzeit einen hohen Reichsadel von<lb/>
politischer Natur, <hi rendition="#g">die senatorischen Familien</hi>. Die alten<lb/>
patricischen Geschlechter, welche indessen zur Zeit von August<lb/>
bis auf 50 Familien ausgestorben waren und nur sehr selten<lb/>
einen Zuwachs erhielten &#x2014; die kaiserlichen Familien waren<lb/>
von Rechts wegen immer patricisch &#x2014; mochten factisch, wenn<lb/>
auch nicht mehr rechtlich, noch den Kern derselben bilden,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[141/0159] Zehntes Capitel. 2. Der Adel. A. Der französische Adel. sammentraten, da gab der Klerus seine Sonderstellung freiwillig auf und trat noch vor dem Adel in die allgemeine National- versammlung ein, welche nur ein freies Bürgerthum, aber nicht mehr die mittelalterlichen Stände repräsentirte. Damit aber war der mittelalterliche Stand des Klerus überall aufgelöst. Die grosze Scheidung des Klerus und der Laien hatte ihre Wirksamkeit verloren. Der Stat erkannte sie für seine Rechtsordnung nicht mehr an. Die Masse der Geistlichen ging in die groszen Bürgerclassen über, die wenigen hohen Würdenträger der Kirche vermischten sich mit der weltlichen Aristokratie. Zehntes Capitel. 2. Der Adel. A. Der französische Adel. Auch in dem alten Rom hatte es ursprünglich einen erblichen Geschlechtsadel gegeben, das Patriciat; aber es war derselbe schon früh durch die inneren Partei- kämpfe der Römer in eine politische Aristokratie um- gebildet worden, welche nicht mehr auf der vornehmen Ab- stammung, sondern auf dem freien Volkswillen zu den öffentlichen Aemtern der Stadt beruhte. Es gab in Rom auch in den letzten Jahrhunderten der Republik und in der Kaiserzeit einen hohen Reichsadel von politischer Natur, die senatorischen Familien. Die alten patricischen Geschlechter, welche indessen zur Zeit von August bis auf 50 Familien ausgestorben waren und nur sehr selten einen Zuwachs erhielten — die kaiserlichen Familien waren von Rechts wegen immer patricisch — mochten factisch, wenn auch nicht mehr rechtlich, noch den Kern derselben bilden,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/159
Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/159>, abgerufen am 22.11.2024.