theile ich deshalb sorgfältiger untersuchte, weil mir war berichtet worden, daß der selige Trendelenburg, ein damals sehr berühmter Arzt zu Lübeck, in diesem Thiere eine Art von Hymen bemerkt habe. Mir ist dieser Theil im weiblichen Körper übrigens merkwür- dig, da ich schlechterdings durch keine Muthmaßung irgend einem physischen Nutzen desselben auf die Spur kommen kann. Was die Physiologen über den Zweck des Hymen vorgebracht haben, ist kaum annehmbar; unter allen aber am wenigsten die von Hallern hier- über geäußerte, nicht sehr scharfsinnige Meinung: "da man es bloß bey dem Menschen finde, so sey es ihm auch zu moralischem Zwecke verliehen, als Zeichen der Keuschheit."
In Ansehung der Nymphen und Clytoris scheint Linne ungewiß zu seyn, ob sie außer dem weiblichen Geschlechte der menschlichen Gattung auch andere Weibchen haben? Ich aber habe selbst erfahren, daß keiner von diesen Theilen dem Menschen eigenthüm- lich sey, denn die Clytoris habe ich nach so viel an- dern nicht verwerflichen Zeugen, in mancherley Säug- thieren verschiedener Ordnungen häufig beobachtet und zum Theil sehr groß gefunden, wie in dem Teu- fel oder Maimon und dem Faulthieraffen, am unge- heuersten aber, in der Größe einer Faust, in einem 52 Fuß langen Wallfisch, welchen ich, als er vor Kurzem im Monat December 1791 bey Sandfort in Holland ans Ufer geworfen worden, sorgfältig be- trachtet habe.
Die Nymphen aber habe ich an einem Mongus, den ich selbst einige Jahre lebendig aufgezogen habe, den menschlichen sehr ähnlich gefunden.
§. 9.
theile ich deshalb ſorgfaͤltiger unterſuchte, weil mir war berichtet worden, daß der ſelige Trendelenburg, ein damals ſehr beruͤhmter Arzt zu Luͤbeck, in dieſem Thiere eine Art von Hymen bemerkt habe. Mir iſt dieſer Theil im weiblichen Koͤrper uͤbrigens merkwuͤr- dig, da ich ſchlechterdings durch keine Muthmaßung irgend einem phyſiſchen Nutzen deſſelben auf die Spur kommen kann. Was die Phyſiologen uͤber den Zweck des Hymen vorgebracht haben, iſt kaum annehmbar; unter allen aber am wenigſten die von Hallern hier- uͤber geaͤußerte, nicht ſehr ſcharfſinnige Meinung: „da man es bloß bey dem Menſchen finde, ſo ſey es ihm auch zu moraliſchem Zwecke verliehen, als Zeichen der Keuſchheit.“
In Anſehung der Nymphen und Clytoris ſcheint Linné ungewiß zu ſeyn, ob ſie außer dem weiblichen Geſchlechte der menſchlichen Gattung auch andere Weibchen haben? Ich aber habe ſelbſt erfahren, daß keiner von dieſen Theilen dem Menſchen eigenthuͤm- lich ſey, denn die Clytoris habe ich nach ſo viel an- dern nicht verwerflichen Zeugen, in mancherley Saͤug- thieren verſchiedener Ordnungen haͤufig beobachtet und zum Theil ſehr groß gefunden, wie in dem Teu- fel oder Maimon und dem Faulthieraffen, am unge- heuerſten aber, in der Groͤße einer Fauſt, in einem 52 Fuß langen Wallfiſch, welchen ich, als er vor Kurzem im Monat December 1791 bey Sandfort in Holland ans Ufer geworfen worden, ſorgfaͤltig be- trachtet habe.
Die Nymphen aber habe ich an einem Mongus, den ich ſelbſt einige Jahre lebendig aufgezogen habe, den menſchlichen ſehr aͤhnlich gefunden.
§. 9.
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[29/0063]
theile ich deshalb ſorgfaͤltiger unterſuchte, weil mir
war berichtet worden, daß der ſelige Trendelenburg,
ein damals ſehr beruͤhmter Arzt zu Luͤbeck, in dieſem
Thiere eine Art von Hymen bemerkt habe. Mir iſt
dieſer Theil im weiblichen Koͤrper uͤbrigens merkwuͤr-
dig, da ich ſchlechterdings durch keine Muthmaßung
irgend einem phyſiſchen Nutzen deſſelben auf die Spur
kommen kann. Was die Phyſiologen uͤber den Zweck
des Hymen vorgebracht haben, iſt kaum annehmbar;
unter allen aber am wenigſten die von Hallern hier-
uͤber geaͤußerte, nicht ſehr ſcharfſinnige Meinung:
„da man es bloß bey dem Menſchen finde, ſo ſey
es ihm auch zu moraliſchem Zwecke verliehen, als
Zeichen der Keuſchheit.“
In Anſehung der Nymphen und Clytoris ſcheint
Linné ungewiß zu ſeyn, ob ſie außer dem weiblichen
Geſchlechte der menſchlichen Gattung auch andere
Weibchen haben? Ich aber habe ſelbſt erfahren, daß
keiner von dieſen Theilen dem Menſchen eigenthuͤm-
lich ſey, denn die Clytoris habe ich nach ſo viel an-
dern nicht verwerflichen Zeugen, in mancherley Saͤug-
thieren verſchiedener Ordnungen haͤufig beobachtet
und zum Theil ſehr groß gefunden, wie in dem Teu-
fel oder Maimon und dem Faulthieraffen, am unge-
heuerſten aber, in der Groͤße einer Fauſt, in einem
52 Fuß langen Wallfiſch, welchen ich, als er vor
Kurzem im Monat December 1791 bey Sandfort in
Holland ans Ufer geworfen worden, ſorgfaͤltig be-
trachtet habe.
Die Nymphen aber habe ich an einem Mongus,
den ich ſelbſt einige Jahre lebendig aufgezogen habe,
den menſchlichen ſehr aͤhnlich gefunden.
§. 9.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
"Über die natürlichen Verschiedenheiten im Mensch… [mehr]
"Über die natürlichen Verschiedenheiten im Menschengeschlechte" ist die überarbeitete Fassung von Blumenbachs Dissertationsschrift "De generis humani varietate nativa" (1. Aufl. 1775 bei Friedrich Andreas Rosenbusch in Göttingen). Die Dissertation erschien in lateinischer Sprache; für das DTA wurde Johann Gottfried Grubers Übersetzung der dritten Auflage von Blumenbachs Dissertation (1795 bei Vandenhoek & Ruprecht) digitalisiert, die 1798 in Leipzig bei Breitkopf & Härtel erschien. Erstmals lag hiermit Blumenbachs Werk "De generis humani varietate nativa" in deutscher Sprache vor.
Blumenbach, Johann Friedrich: Über die natürlichen Verschiedenheiten im Menschengeschlechte. Leipzig, 1798, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blumenbach_menschengeschlecht_1798/63>, abgerufen am 16.02.2025.
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