über die Varietäten der Nationalgesichtsbildung ge- sagten (§. 56.) von selbst erhellt, diese ganze Ge- sichtslinie höchstens nur auf diejenigen Varietäten des Menschengeschlechts anwendbar, welche in der Richtung der Kinnladen von einander abweichen, keineswegs aber auf jene, welche auf ganz entge- gengesetzte Weise sich vielmehr durch ein in die Breite gezogenes Gesicht auszeichnen.
2) Trift es sehr oft, daß an Hirnschädeln sehr verschiedner Völker, welche, man möchte sagen, wie Tag und Nacht, von einander unterschieden sind, doch die Richtung der Gesichtslinie die nämliche; und umgekehrt, an mehrern Schädeln eines und desselben Volks, welche im Ganzen mit einander übereinstimmen, einerley Habitus haben, die Ge- sichtslinie sehr verschieden ist. Denn aus dem bloßen Umrisse des Gesichts im Profil kann man wenig schließen, wenn man nicht zugleich auf seine Breite Rücksicht nimmt. So habe ich z. B. indem ich dieses schreibe, zwey Schädel vor mir, den eines Negers aus Congo 133) und eines Litthauers 134); an beyden ist die Gesichtslinie fast eine und die- selbe; und der Habitus doch äußerst verschieden, wenn man den engen und fast schiffförmigen Kopf des Negers mit dem viereckigtern des Litthauers vergleicht. Dagegen aber habe ich zwey andere Schädel von Negern bey der Hand, die im Profil
erstaun-
133)Zweytes Zehnd der Schädelsammlung. Taf. 18.
134)Drittes Zehnd. Taf. 22.
uͤber die Varietaͤten der Nationalgeſichtsbildung ge- ſagten (§. 56.) von ſelbſt erhellt, dieſe ganze Ge- ſichtslinie hoͤchſtens nur auf diejenigen Varietaͤten des Menſchengeſchlechts anwendbar, welche in der Richtung der Kinnladen von einander abweichen, keineswegs aber auf jene, welche auf ganz entge- gengeſetzte Weiſe ſich vielmehr durch ein in die Breite gezogenes Geſicht auszeichnen.
2) Trift es ſehr oft, daß an Hirnſchaͤdeln ſehr verſchiedner Voͤlker, welche, man moͤchte ſagen, wie Tag und Nacht, von einander unterſchieden ſind, doch die Richtung der Geſichtslinie die naͤmliche; und umgekehrt, an mehrern Schaͤdeln eines und deſſelben Volks, welche im Ganzen mit einander uͤbereinſtimmen, einerley Habitus haben, die Ge- ſichtslinie ſehr verſchieden iſt. Denn aus dem bloßen Umriſſe des Geſichts im Profil kann man wenig ſchließen, wenn man nicht zugleich auf ſeine Breite Ruͤckſicht nimmt. So habe ich z. B. indem ich dieſes ſchreibe, zwey Schaͤdel vor mir, den eines Negers aus Congo 133) und eines Litthauers 134); an beyden iſt die Geſichtslinie faſt eine und die- ſelbe; und der Habitus doch aͤußerſt verſchieden, wenn man den engen und faſt ſchifffoͤrmigen Kopf des Negers mit dem viereckigtern des Litthauers vergleicht. Dagegen aber habe ich zwey andere Schaͤdel von Negern bey der Hand, die im Profil
erſtaun-
133)Zweytes Zehnd der Schaͤdelſammlung. Taf. 18.
134)Drittes Zehnd. Taf. 22.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0180"n="146"/>
uͤber die Varietaͤten der Nationalgeſichtsbildung ge-<lb/>ſagten (§. 56.) von ſelbſt erhellt, dieſe ganze Ge-<lb/>ſichtslinie hoͤchſtens nur auf diejenigen Varietaͤten<lb/>
des Menſchengeſchlechts anwendbar, welche in der<lb/>
Richtung der Kinnladen von einander abweichen,<lb/>
keineswegs aber auf jene, welche auf ganz entge-<lb/>
gengeſetzte Weiſe ſich vielmehr durch ein in die Breite<lb/>
gezogenes Geſicht auszeichnen.</p><lb/><p>2) Trift es ſehr oft, daß an Hirnſchaͤdeln ſehr<lb/>
verſchiedner Voͤlker, welche, man moͤchte ſagen, wie<lb/>
Tag und Nacht, von einander unterſchieden ſind,<lb/>
doch die Richtung der Geſichtslinie die naͤmliche;<lb/>
und umgekehrt, an mehrern Schaͤdeln eines und<lb/>
deſſelben Volks, welche im Ganzen mit einander<lb/>
uͤbereinſtimmen, einerley Habitus haben, die Ge-<lb/>ſichtslinie ſehr verſchieden iſt. Denn aus dem bloßen<lb/>
Umriſſe des Geſichts im Profil kann man wenig<lb/>ſchließen, wenn man nicht zugleich auf ſeine Breite<lb/>
Ruͤckſicht nimmt. So habe ich z. B. indem ich<lb/>
dieſes ſchreibe, zwey Schaͤdel vor mir, den eines<lb/>
Negers aus Congo <noteplace="foot"n="133)"><hirendition="#g">Zweytes Zehnd der Schaͤdelſammlung</hi>.<lb/>
Taf. 18.</note> und eines Litthauers <noteplace="foot"n="134)"><hirendition="#g">Drittes Zehnd</hi>. Taf. 22.</note>;<lb/>
an beyden iſt die Geſichtslinie faſt eine und die-<lb/>ſelbe; und der Habitus doch aͤußerſt verſchieden,<lb/>
wenn man den engen und faſt ſchifffoͤrmigen Kopf<lb/>
des Negers mit dem viereckigtern des Litthauers<lb/>
vergleicht. Dagegen aber habe ich zwey andere<lb/>
Schaͤdel von Negern bey der Hand, die im Profil<lb/><fwplace="bottom"type="catch">erſtaun-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[146/0180]
uͤber die Varietaͤten der Nationalgeſichtsbildung ge-
ſagten (§. 56.) von ſelbſt erhellt, dieſe ganze Ge-
ſichtslinie hoͤchſtens nur auf diejenigen Varietaͤten
des Menſchengeſchlechts anwendbar, welche in der
Richtung der Kinnladen von einander abweichen,
keineswegs aber auf jene, welche auf ganz entge-
gengeſetzte Weiſe ſich vielmehr durch ein in die Breite
gezogenes Geſicht auszeichnen.
2) Trift es ſehr oft, daß an Hirnſchaͤdeln ſehr
verſchiedner Voͤlker, welche, man moͤchte ſagen, wie
Tag und Nacht, von einander unterſchieden ſind,
doch die Richtung der Geſichtslinie die naͤmliche;
und umgekehrt, an mehrern Schaͤdeln eines und
deſſelben Volks, welche im Ganzen mit einander
uͤbereinſtimmen, einerley Habitus haben, die Ge-
ſichtslinie ſehr verſchieden iſt. Denn aus dem bloßen
Umriſſe des Geſichts im Profil kann man wenig
ſchließen, wenn man nicht zugleich auf ſeine Breite
Ruͤckſicht nimmt. So habe ich z. B. indem ich
dieſes ſchreibe, zwey Schaͤdel vor mir, den eines
Negers aus Congo 133) und eines Litthauers 134);
an beyden iſt die Geſichtslinie faſt eine und die-
ſelbe; und der Habitus doch aͤußerſt verſchieden,
wenn man den engen und faſt ſchifffoͤrmigen Kopf
des Negers mit dem viereckigtern des Litthauers
vergleicht. Dagegen aber habe ich zwey andere
Schaͤdel von Negern bey der Hand, die im Profil
erſtaun-
133) Zweytes Zehnd der Schaͤdelſammlung.
Taf. 18.
134) Drittes Zehnd. Taf. 22.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
"Über die natürlichen Verschiedenheiten im Mensch… [mehr]
"Über die natürlichen Verschiedenheiten im Menschengeschlechte" ist die überarbeitete Fassung von Blumenbachs Dissertationsschrift "De generis humani varietate nativa" (1. Aufl. 1775 bei Friedrich Andreas Rosenbusch in Göttingen). Die Dissertation erschien in lateinischer Sprache; für das DTA wurde Johann Gottfried Grubers Übersetzung der dritten Auflage von Blumenbachs Dissertation (1795 bei Vandenhoek & Ruprecht) digitalisiert, die 1798 in Leipzig bei Breitkopf & Härtel erschien. Erstmals lag hiermit Blumenbachs Werk "De generis humani varietate nativa" in deutscher Sprache vor.
Blumenbach, Johann Friedrich: Über die natürlichen Verschiedenheiten im Menschengeschlechte. Leipzig, 1798, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blumenbach_menschengeschlecht_1798/180>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.