"Hieraus erhellt auch der Unterschied zwischen Stimme (vox) und Sprache (loquela). Blos dem Menschen können wir Sprache, oder die Stimme der Vernunft, den Thieren nichts als die Stimme der Affekten zuschreiben. Der Geist des Menschen, wenn er im Verlauf der Zeit seine Ver- nunft entwickelt, strebt mit den Ideen Töne zu verbinden. Kinder belegen im zartesten Alter Per- sonen, die ihnen lieb sind, mit Namen, aber nie noch hat dieses ein Thier gethan, obschon es seinen Herrn, und andere die zum Hause gehören, sehr gut kennt. Alles was alte Reisebeschreiber von von den Sprachen gewisser entfernter Völker, wel- che blos unartikulirte Töne hervorbringen sollen, gesagt haben, verdient keine Aufmerksamkeit. Es ist nur zu gewiß, daß die wildesten Völker, die Kaliformer, die Anwohner des Kap und andere, eine besondere Mundart und eine Menge von Wör- tern haben, dahingegen die Thiere, sie mögen nun dem Menschen im Körperbau ähneln, wie der Orangutang, oder, um mit Plinius von dem Ele- phanten zu sprechen, ihm in Ansehung der Sinne nahe kommen, keine Sprache haben, und nur wenige sehr gleichlautende Töne ausstoßen. Daß die Sprache blos ein Werk der Vernunft sey, er- hellt schon daraus, weil die übrigen Thiere, wenn sie auch dieselben Stimmorgane haben wie der Mensch, doch gänzlich derselben ermangeln."
S. 1. Ausg. S. 20. bis 22. 2. Ausg. S. 25. fgg.
Hierauf fügt der Herr Verfasser in einer Note noch die Bemerkung bey, daß er an den Affen das
„Hieraus erhellt auch der Unterschied zwischen Stimme (vox) und Sprache (loquela). Blos dem Menschen können wir Sprache, oder die Stimme der Vernunft, den Thieren nichts als die Stimme der Affekten zuschreiben. Der Geist des Menschen, wenn er im Verlauf der Zeit seine Ver- nunft entwickelt, strebt mit den Ideen Töne zu verbinden. Kinder belegen im zartesten Alter Per- sonen, die ihnen lieb sind, mit Namen, aber nie noch hat dieses ein Thier gethan, obschon es seinen Herrn, und andere die zum Hause gehören, sehr gut kennt. Alles was alte Reisebeschreiber von von den Sprachen gewisser entfernter Völker, wel- che blos unartikulirte Töne hervorbringen sollen, gesagt haben, verdient keine Aufmerksamkeit. Es ist nur zu gewiß, daß die wildesten Völker, die Kaliformer, die Anwohner des Kap und andere, eine besondere Mundart und eine Menge von Wör- tern haben, dahingegen die Thiere, sie mögen nun dem Menschen im Körperbau ähneln, wie der Orangutang, oder, um mit Plinius von dem Ele- phanten zu sprechen, ihm in Ansehung der Sinne nahe kommen, keine Sprache haben, und nur wenige sehr gleichlautende Töne ausstoßen. Daß die Sprache blos ein Werk der Vernunft sey, er- hellt schon daraus, weil die übrigen Thiere, wenn sie auch dieselben Stimmorgane haben wie der Mensch, doch gänzlich derselben ermangeln.“
S. 1. Ausg. S. 20. bis 22. 2. Ausg. S. 25. fgg.
Hierauf fügt der Herr Verfasser in einer Note noch die Bemerkung bey, daß er an den Affen das
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dem Menschen können wir Sprache, oder die
Stimme der Vernunft, den Thieren nichts als die
Stimme der Affekten zuschreiben. Der Geist des
Menschen, wenn er im Verlauf der Zeit seine Ver-
nunft entwickelt, strebt mit den Ideen Töne zu
verbinden. Kinder belegen im zartesten Alter Per-
sonen, die ihnen lieb sind, mit Namen, aber nie
noch hat dieses ein Thier gethan, obschon es seinen
Herrn, und andere die zum Hause gehören, sehr
gut kennt. Alles was alte Reisebeschreiber von
von den Sprachen gewisser entfernter Völker, wel-
che blos unartikulirte Töne hervorbringen sollen,
gesagt haben, verdient keine Aufmerksamkeit. Es
ist nur zu gewiß, daß die wildesten Völker, die
Kaliformer, die Anwohner des Kap und andere,
eine besondere Mundart und eine Menge von Wör-
tern haben, dahingegen die Thiere, sie mögen nun
dem Menschen im Körperbau ähneln, wie der
Orangutang, oder, um mit Plinius von dem Ele-
phanten zu sprechen, ihm in Ansehung der Sinne
nahe kommen, keine Sprache haben, und nur
wenige sehr gleichlautende Töne ausstoßen. Daß
die Sprache blos ein Werk der Vernunft sey, er-
hellt schon daraus, weil die übrigen Thiere, wenn
sie auch dieselben Stimmorgane haben wie der
Mensch, doch gänzlich derselben ermangeln.“
S. 1. Ausg. S. 20. bis 22. 2. Ausg. S. 25. fgg.
Hierauf fügt der Herr Verfasser in einer Note
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Blumenbach, Johann Friedrich: Über die natürlichen Verschiedenheiten im Menschengeschlechte. Leipzig, 1798, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blumenbach_menschengeschlecht2_1798/290>, abgerufen am 23.11.2024.
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