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Blum, Joachim Christian: Spatziergänge. Bd. 2. Berlin, 1775.

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Liebes Mädchen! ich habe dir Artig-
keit und Schönheit empfohlen und nun
verdopple ich meinen Eifer dir die Tugend
zu empfehlen. Wie jene Ergänzungsstücke
sind, so ist diese das Wesen der höhern ge-
selligen Glückseligkeit selbst. Die leiden-
schaftliche Liebe verzehret sich bald, wenn
sie nicht durch Freundschaft gemäßigt
wird. Und Freundschaft ohne Tugend
ist nichts! Prüfen sie sich, Chloe! Würden
sie es lange für ein Glück halten, die Be-
sitzerin eines Mannes zu seyn, der nur ar-
tig und schön ist, dem es dabey an einem
zärtlichen, guten Herzen, an geduldiger
Nachsicht für ihre kleinern Mängel und an
der sorgsamsten Theilnehmung an allen
was ihnen Gutes und Böses begegnet,
fehlt; der in seinen vier Wänden immer
mürrisch ist; der sie heimlich tyrannisirt;
der ihnen nichts vertraut; der sich alle

(II. Theil.) M

Liebes Mädchen! ich habe dir Artig-
keit und Schönheit empfohlen und nun
verdopple ich meinen Eifer dir die Tugend
zu empfehlen. Wie jene Ergänzungsſtücke
ſind, ſo iſt dieſe das Weſen der höhern ge-
ſelligen Glückſeligkeit ſelbſt. Die leiden-
ſchaftliche Liebe verzehret ſich bald, wenn
ſie nicht durch Freundſchaft gemäßigt
wird. Und Freundſchaft ohne Tugend
iſt nichts! Prüfen ſie ſich, Chloe! Würden
ſie es lange für ein Glück halten, die Be-
ſitzerin eines Mannes zu ſeyn, der nur ar-
tig und ſchön iſt, dem es dabey an einem
zärtlichen, guten Herzen, an geduldiger
Nachſicht für ihre kleinern Mängel und an
der ſorgſamſten Theilnehmung an allen
was ihnen Gutes und Böſes begegnet,
fehlt; der in ſeinen vier Wänden immer
mürriſch iſt; der ſie heimlich tyranniſirt;
der ihnen nichts vertraut; der ſich alle

(II. Theil.) M
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[177/0183] Liebes Mädchen! ich habe dir Artig- keit und Schönheit empfohlen und nun verdopple ich meinen Eifer dir die Tugend zu empfehlen. Wie jene Ergänzungsſtücke ſind, ſo iſt dieſe das Weſen der höhern ge- ſelligen Glückſeligkeit ſelbſt. Die leiden- ſchaftliche Liebe verzehret ſich bald, wenn ſie nicht durch Freundſchaft gemäßigt wird. Und Freundſchaft ohne Tugend iſt nichts! Prüfen ſie ſich, Chloe! Würden ſie es lange für ein Glück halten, die Be- ſitzerin eines Mannes zu ſeyn, der nur ar- tig und ſchön iſt, dem es dabey an einem zärtlichen, guten Herzen, an geduldiger Nachſicht für ihre kleinern Mängel und an der ſorgſamſten Theilnehmung an allen was ihnen Gutes und Böſes begegnet, fehlt; der in ſeinen vier Wänden immer mürriſch iſt; der ſie heimlich tyranniſirt; der ihnen nichts vertraut; der ſich alle (II. Theil.) M

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Zitationshilfe: Blum, Joachim Christian: Spatziergänge. Bd. 2. Berlin, 1775, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blum_spatziergaenge02_1775/183>, abgerufen am 24.11.2024.