Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Blum, Joachim Christian: Spatziergänge. Bd. 1. Berlin, 1774.

Bild:
<< vorherige Seite


Der funfzehnte Spatziergang.

Jch kann es nicht zugeben, meine Freun-
de! dass man der Gutherzigkeit, auf Un-
kosten anderer Tugenden, das Wort rede.
Alle stehn, meines Erachtens, in einer so
genauen Verbindung unter einander, dass
es unmöglich ist, dass eine die andre aufhe-
ben sollte. Sie machen zusammen nur Ein
Ganzes aus, und man kann in der That sa-
gen, dass es nur Eine Tugend gebe. Jch
weiss es, man thut sich seit einer gewissen
Zeit nicht wenig darauf zu gute, gutherzig
zu seyn, oder es vielmehr nur mit einem
vermeynten Anstande zu scheinen. Recht-
schaffner Yorick! dein ist die Schuld nicht;
sondern deiner tändelnden Nachahmer, die
uns in Kurzem villeicht eine der männlich-
sten Tugenden in ein elendes Kinderspiel



Der funfzehnte Spatziergang.

Jch kann es nicht zugeben, meine Freun-
de! daſs man der Gutherzigkeit, auf Un-
koſten anderer Tugenden, das Wort rede.
Alle ſtehn, meines Erachtens, in einer ſo
genauen Verbindung unter einander, daſs
es unmöglich iſt, daſs eine die andre aufhe-
ben ſollte. Sie machen zuſammen nur Ein
Ganzes aus, und man kann in der That ſa-
gen, daſs es nur Eine Tugend gebe. Jch
weiſs es, man thut ſich ſeit einer gewiſsen
Zeit nicht wenig darauf zu gute, gutherzig
zu ſeyn, oder es vielmehr nur mit einem
vermeynten Anſtande zu ſcheinen. Recht-
ſchaffner Yorick! dein iſt die Schuld nicht;
ſondern deiner tändelnden Nachahmer, die
uns in Kurzem villeicht eine der männlich-
ſten Tugenden in ein elendes Kinderſpiel

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0125" n="117"/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Der funfzehnte Spatziergang.</hi> </head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">J</hi>ch kann es nicht zugeben, meine Freun-<lb/>
de! da&#x017F;s man der Gutherzigkeit, auf Un-<lb/>
ko&#x017F;ten anderer Tugenden, das Wort rede.<lb/>
Alle &#x017F;tehn, meines Erachtens, in einer &#x017F;o<lb/>
genauen Verbindung unter einander, da&#x017F;s<lb/>
es unmöglich i&#x017F;t, da&#x017F;s eine die andre aufhe-<lb/>
ben &#x017F;ollte. Sie machen zu&#x017F;ammen nur Ein<lb/>
Ganzes aus, und man kann in der That &#x017F;a-<lb/>
gen, da&#x017F;s es nur Eine Tugend gebe. Jch<lb/>
wei&#x017F;s es, man thut &#x017F;ich &#x017F;eit einer gewi&#x017F;sen<lb/>
Zeit nicht wenig darauf zu gute, gutherzig<lb/>
zu &#x017F;eyn, oder es vielmehr nur mit einem<lb/>
vermeynten An&#x017F;tande zu &#x017F;cheinen. Recht-<lb/>
&#x017F;chaffner Yorick! dein i&#x017F;t die Schuld nicht;<lb/>
&#x017F;ondern deiner tändelnden Nachahmer, die<lb/>
uns in Kurzem villeicht eine der männlich-<lb/>
&#x017F;ten Tugenden in ein elendes Kinder&#x017F;piel<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[117/0125] Der funfzehnte Spatziergang. Jch kann es nicht zugeben, meine Freun- de! daſs man der Gutherzigkeit, auf Un- koſten anderer Tugenden, das Wort rede. Alle ſtehn, meines Erachtens, in einer ſo genauen Verbindung unter einander, daſs es unmöglich iſt, daſs eine die andre aufhe- ben ſollte. Sie machen zuſammen nur Ein Ganzes aus, und man kann in der That ſa- gen, daſs es nur Eine Tugend gebe. Jch weiſs es, man thut ſich ſeit einer gewiſsen Zeit nicht wenig darauf zu gute, gutherzig zu ſeyn, oder es vielmehr nur mit einem vermeynten Anſtande zu ſcheinen. Recht- ſchaffner Yorick! dein iſt die Schuld nicht; ſondern deiner tändelnden Nachahmer, die uns in Kurzem villeicht eine der männlich- ſten Tugenden in ein elendes Kinderſpiel

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/blum_spatziergaenge01_1774
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/blum_spatziergaenge01_1774/125
Zitationshilfe: Blum, Joachim Christian: Spatziergänge. Bd. 1. Berlin, 1774, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blum_spatziergaenge01_1774/125>, abgerufen am 22.12.2024.