König, wenn er den Augustenburger aufgab, bei seiner Gemalin, bei dem kronprinzlichen Paare, bei verschiedenen Dynastien und bei denen zu erwarten hatte, welche damals in seiner Auffassung die öffentliche Meinung Deutschlands bildeten.
Die öffentliche Meinung war in den gebildeten Mittelständen Deutschlands ohne Zweifel augustenburgisch, in derselben Urtheils¬ losigkeit, welche sich früher den Polonismus und später die künstliche Begeisterung für die battenbergische Bulgarei als deutsches National¬ interesse unterschieben ließ. Die Mache der Presse war in diesen beiden etwas analogen Lagen betrübend erfolgreich und die öffent¬ liche Dummheit für ihre Wirkung so empfänglich wie immer. Die Neigung zur Kritik der Regirung war 1864 auf der Höhe des Satzes: Nein, er gefällt mir nicht, der neue Bürgermeister. Ich weiß nicht, ob es heut noch Jemanden gibt, der es für vernünftig hielte, wenn nach Befreiung der Herzogthümer aus ihnen ein neues Großherzogthum hergestellt worden wäre, mit Stimmberechtigung am Bundestage und dem sich von selbst ergebenden Berufe, sich vor Preußen zu fürchten und es mit seinen Gegnern zu halten; damals aber wurde die Erwerbung der Herzogthümer für Preußen als eine Ruchlosigkeit von allen denen betrachtet, welche seit 1848 sich als die Vertreter der nationalen Gedanken aufgespielt hatten. Mein Respect vor der sogenannten öffentlichen Meinung, das heißt, vor dem Lärm der Redner und der Zeitungen, war niemals groß gewesen, wurde aber in Betreff der auswärtigen Politik in den beiden oben verglichenen Fällen noch erheblich herabgedrückt. Wie stark die Anschauungsweise des Königs bis dahin von dem landläufigen Liberalismus durch den Einfluß der Gemalin und der Bethmann-Hollwegschen Streberfraction imprägnirt war, beweist die Zähigkeit, mit der er an dem Widerspruch festhielt, in welchem das Oestreichisch-Frankfurter-Augustenburger Programm mit dem preußischen Streben nach nationaler Einheit stand. Logisch be¬ gründet konnte diese Politik dem König gegenüber unmöglich werden; er hatte sie, ohne eine chemische Analyse ihres Inhalts vorzunehmen,
Neunzehntes Kapitel: Schleswig-Holſtein.
König, wenn er den Auguſtenburger aufgab, bei ſeiner Gemalin, bei dem kronprinzlichen Paare, bei verſchiedenen Dynaſtien und bei denen zu erwarten hatte, welche damals in ſeiner Auffaſſung die öffentliche Meinung Deutſchlands bildeten.
Die öffentliche Meinung war in den gebildeten Mittelſtänden Deutſchlands ohne Zweifel auguſtenburgiſch, in derſelben Urtheils¬ loſigkeit, welche ſich früher den Polonismus und ſpäter die künſtliche Begeiſterung für die battenbergiſche Bulgarei als deutſches National¬ intereſſe unterſchieben ließ. Die Mache der Preſſe war in dieſen beiden etwas analogen Lagen betrübend erfolgreich und die öffent¬ liche Dummheit für ihre Wirkung ſo empfänglich wie immer. Die Neigung zur Kritik der Regirung war 1864 auf der Höhe des Satzes: Nein, er gefällt mir nicht, der neue Bürgermeiſter. Ich weiß nicht, ob es heut noch Jemanden gibt, der es für vernünftig hielte, wenn nach Befreiung der Herzogthümer aus ihnen ein neues Großherzogthum hergeſtellt worden wäre, mit Stimmberechtigung am Bundestage und dem ſich von ſelbſt ergebenden Berufe, ſich vor Preußen zu fürchten und es mit ſeinen Gegnern zu halten; damals aber wurde die Erwerbung der Herzogthümer für Preußen als eine Ruchloſigkeit von allen denen betrachtet, welche ſeit 1848 ſich als die Vertreter der nationalen Gedanken aufgeſpielt hatten. Mein Reſpect vor der ſogenannten öffentlichen Meinung, das heißt, vor dem Lärm der Redner und der Zeitungen, war niemals groß geweſen, wurde aber in Betreff der auswärtigen Politik in den beiden oben verglichenen Fällen noch erheblich herabgedrückt. Wie ſtark die Anſchauungsweiſe des Königs bis dahin von dem landläufigen Liberalismus durch den Einfluß der Gemalin und der Bethmann-Hollwegſchen Streberfraction imprägnirt war, beweiſt die Zähigkeit, mit der er an dem Widerſpruch feſthielt, in welchem das Oeſtreichiſch-Frankfurter-Auguſtenburger Programm mit dem preußiſchen Streben nach nationaler Einheit ſtand. Logiſch be¬ gründet konnte dieſe Politik dem König gegenüber unmöglich werden; er hatte ſie, ohne eine chemiſche Analyſe ihres Inhalts vorzunehmen,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0036"n="12"/><fwplace="top"type="header">Neunzehntes Kapitel: Schleswig-Holſtein.<lb/></fw> König, wenn er den Auguſtenburger aufgab, bei ſeiner Gemalin,<lb/>
bei dem kronprinzlichen Paare, bei verſchiedenen Dynaſtien und bei<lb/>
denen zu erwarten hatte, welche damals in ſeiner Auffaſſung die<lb/>
öffentliche Meinung Deutſchlands bildeten.</p><lb/><p>Die öffentliche Meinung war in den gebildeten Mittelſtänden<lb/>
Deutſchlands ohne Zweifel auguſtenburgiſch, in derſelben Urtheils¬<lb/>
loſigkeit, welche ſich früher den Polonismus und ſpäter die künſtliche<lb/>
Begeiſterung für die battenbergiſche Bulgarei als deutſches National¬<lb/>
intereſſe unterſchieben ließ. Die Mache der Preſſe war in dieſen<lb/>
beiden etwas analogen Lagen betrübend erfolgreich und die öffent¬<lb/>
liche Dummheit für ihre Wirkung ſo empfänglich wie immer. Die<lb/>
Neigung zur Kritik der Regirung war 1864 auf der Höhe des<lb/>
Satzes: Nein, er gefällt mir nicht, der neue Bürgermeiſter. Ich<lb/>
weiß nicht, ob es heut noch Jemanden gibt, der es für vernünftig<lb/>
hielte, wenn nach Befreiung der Herzogthümer aus ihnen ein neues<lb/>
Großherzogthum hergeſtellt worden wäre, mit Stimmberechtigung<lb/>
am Bundestage und dem ſich von ſelbſt ergebenden Berufe, ſich<lb/>
vor Preußen zu fürchten und es mit ſeinen Gegnern zu halten;<lb/>
damals aber wurde die Erwerbung der Herzogthümer für Preußen<lb/>
als eine Ruchloſigkeit von allen denen betrachtet, welche ſeit 1848<lb/>ſich als die Vertreter der nationalen Gedanken aufgeſpielt hatten.<lb/>
Mein Reſpect vor der ſogenannten öffentlichen Meinung, das<lb/>
heißt, vor dem Lärm der Redner und der Zeitungen, war niemals<lb/>
groß geweſen, wurde aber in Betreff der auswärtigen Politik in<lb/>
den beiden oben verglichenen Fällen noch erheblich herabgedrückt.<lb/>
Wie ſtark die Anſchauungsweiſe des Königs bis dahin von dem<lb/>
landläufigen Liberalismus durch den Einfluß der Gemalin und<lb/>
der Bethmann-Hollwegſchen Streberfraction imprägnirt war, beweiſt<lb/>
die Zähigkeit, mit der er an dem Widerſpruch feſthielt, in welchem<lb/>
das Oeſtreichiſch-Frankfurter-Auguſtenburger Programm mit dem<lb/>
preußiſchen Streben nach nationaler Einheit ſtand. Logiſch be¬<lb/>
gründet konnte dieſe Politik dem König gegenüber unmöglich werden;<lb/>
er hatte ſie, ohne eine chemiſche Analyſe ihres Inhalts vorzunehmen,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[12/0036]
Neunzehntes Kapitel: Schleswig-Holſtein.
König, wenn er den Auguſtenburger aufgab, bei ſeiner Gemalin,
bei dem kronprinzlichen Paare, bei verſchiedenen Dynaſtien und bei
denen zu erwarten hatte, welche damals in ſeiner Auffaſſung die
öffentliche Meinung Deutſchlands bildeten.
Die öffentliche Meinung war in den gebildeten Mittelſtänden
Deutſchlands ohne Zweifel auguſtenburgiſch, in derſelben Urtheils¬
loſigkeit, welche ſich früher den Polonismus und ſpäter die künſtliche
Begeiſterung für die battenbergiſche Bulgarei als deutſches National¬
intereſſe unterſchieben ließ. Die Mache der Preſſe war in dieſen
beiden etwas analogen Lagen betrübend erfolgreich und die öffent¬
liche Dummheit für ihre Wirkung ſo empfänglich wie immer. Die
Neigung zur Kritik der Regirung war 1864 auf der Höhe des
Satzes: Nein, er gefällt mir nicht, der neue Bürgermeiſter. Ich
weiß nicht, ob es heut noch Jemanden gibt, der es für vernünftig
hielte, wenn nach Befreiung der Herzogthümer aus ihnen ein neues
Großherzogthum hergeſtellt worden wäre, mit Stimmberechtigung
am Bundestage und dem ſich von ſelbſt ergebenden Berufe, ſich
vor Preußen zu fürchten und es mit ſeinen Gegnern zu halten;
damals aber wurde die Erwerbung der Herzogthümer für Preußen
als eine Ruchloſigkeit von allen denen betrachtet, welche ſeit 1848
ſich als die Vertreter der nationalen Gedanken aufgeſpielt hatten.
Mein Reſpect vor der ſogenannten öffentlichen Meinung, das
heißt, vor dem Lärm der Redner und der Zeitungen, war niemals
groß geweſen, wurde aber in Betreff der auswärtigen Politik in
den beiden oben verglichenen Fällen noch erheblich herabgedrückt.
Wie ſtark die Anſchauungsweiſe des Königs bis dahin von dem
landläufigen Liberalismus durch den Einfluß der Gemalin und
der Bethmann-Hollwegſchen Streberfraction imprägnirt war, beweiſt
die Zähigkeit, mit der er an dem Widerſpruch feſthielt, in welchem
das Oeſtreichiſch-Frankfurter-Auguſtenburger Programm mit dem
preußiſchen Streben nach nationaler Einheit ſtand. Logiſch be¬
gründet konnte dieſe Politik dem König gegenüber unmöglich werden;
er hatte ſie, ohne eine chemiſche Analyſe ihres Inhalts vorzunehmen,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/36>, abgerufen am 17.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.