Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.Zweiunddreißigstes Kapitel: Kaiser Wilhelm I. Diener zu haben. Er war zu vornehm für das Gefühl eines Edel¬mannes, der keinen reichen und unabhängigen Bauern im Dorfe vertragen kann. Die freudige Art, in welcher er 1885 bei meiner 50jährigen Dienstfeier1) die mir gebrachten Huldigungen nicht befahl und anordnete, aber zuließ und mitmachte, stellte auch für das Publikum und die Geschichte diesen königlichen und vornehmen Cha¬ rakter in das richtige Licht. Die Feier war nicht von ihm befohlen, aber zugelassen und freudig befördert. Nicht einen Augenblick kam ihm der Gedanke einer Eifersucht auf seinen Diener und Unter¬ thanen in den Sinn, und nicht einen Augenblick verließ ihn das königliche Bewußtsein, der Herr zu sein, ebenso wie bei mir alle, auch übertriebene Huldigungen das Gefühl, der Diener dieses Herrn zu sein, und mit Freuden zu sein, in keiner Weise berührten. Diese Beziehungen und meine Anhänglichkeit hatten ihre prin¬ 1) Sie wurde nach Wunsch des Kaisers mit der Feier des 70. Geburts¬
tags verbunden. Zweiunddreißigſtes Kapitel: Kaiſer Wilhelm I. Diener zu haben. Er war zu vornehm für das Gefühl eines Edel¬mannes, der keinen reichen und unabhängigen Bauern im Dorfe vertragen kann. Die freudige Art, in welcher er 1885 bei meiner 50jährigen Dienſtfeier1) die mir gebrachten Huldigungen nicht befahl und anordnete, aber zuließ und mitmachte, ſtellte auch für das Publikum und die Geſchichte dieſen königlichen und vornehmen Cha¬ rakter in das richtige Licht. Die Feier war nicht von ihm befohlen, aber zugelaſſen und freudig befördert. Nicht einen Augenblick kam ihm der Gedanke einer Eiferſucht auf ſeinen Diener und Unter¬ thanen in den Sinn, und nicht einen Augenblick verließ ihn das königliche Bewußtſein, der Herr zu ſein, ebenſo wie bei mir alle, auch übertriebene Huldigungen das Gefühl, der Diener dieſes Herrn zu ſein, und mit Freuden zu ſein, in keiner Weiſe berührten. Dieſe Beziehungen und meine Anhänglichkeit hatten ihre prin¬ 1) Sie wurde nach Wunſch des Kaiſers mit der Feier des 70. Geburts¬
tags verbunden. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0316" n="292"/><fw place="top" type="header">Zweiunddreißigſtes Kapitel: Kaiſer Wilhelm <hi rendition="#aq">I</hi>.<lb/></fw>Diener zu haben. Er war zu vornehm für das Gefühl eines Edel¬<lb/> mannes, der keinen reichen und unabhängigen Bauern im Dorfe<lb/> vertragen kann. Die freudige Art, in welcher er 1885 bei meiner<lb/> 50jährigen Dienſtfeier<note place="foot" n="1)">Sie wurde nach Wunſch des Kaiſers mit der Feier des 70. Geburts¬<lb/> tags verbunden.</note> die mir gebrachten Huldigungen nicht befahl<lb/> und anordnete, aber zuließ und mitmachte, ſtellte auch für das<lb/> Publikum und die Geſchichte dieſen königlichen und vornehmen Cha¬<lb/> rakter in das richtige Licht. Die Feier war nicht von ihm befohlen,<lb/> aber zugelaſſen und freudig befördert. Nicht einen Augenblick kam<lb/> ihm der Gedanke einer Eiferſucht auf ſeinen Diener und Unter¬<lb/> thanen in den Sinn, und nicht einen Augenblick verließ ihn das<lb/> königliche Bewußtſein, der Herr zu ſein, ebenſo wie bei mir alle,<lb/> auch übertriebene Huldigungen das Gefühl, der Diener dieſes Herrn<lb/> zu ſein, und mit Freuden zu ſein, in keiner Weiſe berührten.</p><lb/> <p>Dieſe Beziehungen und meine Anhänglichkeit hatten ihre prin¬<lb/> zipielle Begründung in einem überzeugungstreuen Royalismus: aber<lb/> in der Specialität, wie er vorhanden war, iſt er doch nur mög¬<lb/> lich unter der Wirkung einer gewiſſen Gegenſeitigkeit des Wohl¬<lb/> wollens zwiſchen Herrn und Diener, wie unſer Lehnrecht die „Treue“<lb/> auf beiden Seiten zur Vorauſſetzung hatte. Solche Beziehungen,<lb/> wie ich ſie zum Kaiſer Wilhelm hatte, ſind nicht ausſchließlich<lb/> ſtaatsrechtlicher oder lehnrechtlicher Natur; ſie ſind perſönlich und<lb/> ſie wollen von dem Herrn ſowohl wie von dem Diener, wenn ſie<lb/> wirkſam ſein ſollen, erworben ſein; ſie übertragen ſich mehr perſön¬<lb/> lich, als logiſch leicht auf eine Generation, aber ihnen einen dauern¬<lb/> den und prinzipiellen Charakter beizulegen, entſpricht im heutigen<lb/> politiſchen Leben nicht mehr den germaniſchen, ſondern eher den<lb/> romaniſchen Anſchauungen; der portugieſiſche <hi rendition="#aq">porteur du coton</hi> iſt<lb/> in die deutſchen Begriffe nicht übertragbar.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [292/0316]
Zweiunddreißigſtes Kapitel: Kaiſer Wilhelm I.
Diener zu haben. Er war zu vornehm für das Gefühl eines Edel¬
mannes, der keinen reichen und unabhängigen Bauern im Dorfe
vertragen kann. Die freudige Art, in welcher er 1885 bei meiner
50jährigen Dienſtfeier 1) die mir gebrachten Huldigungen nicht befahl
und anordnete, aber zuließ und mitmachte, ſtellte auch für das
Publikum und die Geſchichte dieſen königlichen und vornehmen Cha¬
rakter in das richtige Licht. Die Feier war nicht von ihm befohlen,
aber zugelaſſen und freudig befördert. Nicht einen Augenblick kam
ihm der Gedanke einer Eiferſucht auf ſeinen Diener und Unter¬
thanen in den Sinn, und nicht einen Augenblick verließ ihn das
königliche Bewußtſein, der Herr zu ſein, ebenſo wie bei mir alle,
auch übertriebene Huldigungen das Gefühl, der Diener dieſes Herrn
zu ſein, und mit Freuden zu ſein, in keiner Weiſe berührten.
Dieſe Beziehungen und meine Anhänglichkeit hatten ihre prin¬
zipielle Begründung in einem überzeugungstreuen Royalismus: aber
in der Specialität, wie er vorhanden war, iſt er doch nur mög¬
lich unter der Wirkung einer gewiſſen Gegenſeitigkeit des Wohl¬
wollens zwiſchen Herrn und Diener, wie unſer Lehnrecht die „Treue“
auf beiden Seiten zur Vorauſſetzung hatte. Solche Beziehungen,
wie ich ſie zum Kaiſer Wilhelm hatte, ſind nicht ausſchließlich
ſtaatsrechtlicher oder lehnrechtlicher Natur; ſie ſind perſönlich und
ſie wollen von dem Herrn ſowohl wie von dem Diener, wenn ſie
wirkſam ſein ſollen, erworben ſein; ſie übertragen ſich mehr perſön¬
lich, als logiſch leicht auf eine Generation, aber ihnen einen dauern¬
den und prinzipiellen Charakter beizulegen, entſpricht im heutigen
politiſchen Leben nicht mehr den germaniſchen, ſondern eher den
romaniſchen Anſchauungen; der portugieſiſche porteur du coton iſt
in die deutſchen Begriffe nicht übertragbar.
1) Sie wurde nach Wunſch des Kaiſers mit der Feier des 70. Geburts¬
tags verbunden.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |