Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.Letzte Krankheit und Tod Wilhelms I. folger und ich selbst nach seinem Tode thun würden. Dann, andie Krankheit seines Sohnes denkend, verlangte er von mir das Versprechen, meine Erfahrung seinem Enkel zu Gute kommen zu lassen und ihm zur Seite zu bleiben, wenn er, wie es schiene, bald zur Regirung gelangen sollte. Ich gab meiner Bereitwilligkeit Ausdruck, seinen Nachfolgern mit demselben Eifer zu dienen wie ihm selbst. Seine einzige Antwort darauf war ein etwas fühl¬ barerer Druck seiner Hand; dann aber traten Fieberphantasien ein, in denen die Beschäftigung mit dem Enkel so im Vordergrunde stand, daß er glaubte, der Prinz, der im September 1886 dem Zaren in Brest-Litowsk einen Besuch gemacht hatte, säße an meiner Stelle neben dem Bette, und mich plötzlich mit Du anredend sagte: "Mit dem russischen Kaiser mußt du immer Fühlung halten, da ist kein Streit nothwendig." Nach einer langen Pause des Schwei¬ gens war die Sinnestäuschung verschwunden; er entließ mich mit den Worten: "Ich sehe Sie noch." Gesehn hat er mich noch, als ich mich am Nachmittage und dann wieder in der Nacht des 9. um 4 Uhr einfand, aber schwerlich unter den vielen Anwesenden erkannt; noch in später Abendstunde des 8. fand eine Rückkehr der vollen Klarheit des Bewußtseins und der Fähigkeit statt, sich den sein Sterbebett in dem engen Schlafzimmer Umstehenden gegenüber klar und zusammenhängend auszusprechen. Es war das letzte Aufleuchten dieses starken und tapfern Geistes. Um 8 Uhr 30 Mi¬ nuten that er den letzten Athemzug. II. Für die Thronfolge war unter Friedrich Wilhelm III. nur Letzte Krankheit und Tod Wilhelms I. folger und ich ſelbſt nach ſeinem Tode thun würden. Dann, andie Krankheit ſeines Sohnes denkend, verlangte er von mir das Verſprechen, meine Erfahrung ſeinem Enkel zu Gute kommen zu laſſen und ihm zur Seite zu bleiben, wenn er, wie es ſchiene, bald zur Regirung gelangen ſollte. Ich gab meiner Bereitwilligkeit Ausdruck, ſeinen Nachfolgern mit demſelben Eifer zu dienen wie ihm ſelbſt. Seine einzige Antwort darauf war ein etwas fühl¬ barerer Druck ſeiner Hand; dann aber traten Fieberphantaſien ein, in denen die Beſchäftigung mit dem Enkel ſo im Vordergrunde ſtand, daß er glaubte, der Prinz, der im September 1886 dem Zaren in Breſt-Litowsk einen Beſuch gemacht hatte, ſäße an meiner Stelle neben dem Bette, und mich plötzlich mit Du anredend ſagte: „Mit dem ruſſiſchen Kaiſer mußt du immer Fühlung halten, da iſt kein Streit nothwendig.“ Nach einer langen Pauſe des Schwei¬ gens war die Sinnestäuſchung verſchwunden; er entließ mich mit den Worten: „Ich ſehe Sie noch.“ Geſehn hat er mich noch, als ich mich am Nachmittage und dann wieder in der Nacht des 9. um 4 Uhr einfand, aber ſchwerlich unter den vielen Anweſenden erkannt; noch in ſpäter Abendſtunde des 8. fand eine Rückkehr der vollen Klarheit des Bewußtſeins und der Fähigkeit ſtatt, ſich den ſein Sterbebett in dem engen Schlafzimmer Umſtehenden gegenüber klar und zuſammenhängend auszuſprechen. Es war das letzte Aufleuchten dieſes ſtarken und tapfern Geiſtes. Um 8 Uhr 30 Mi¬ nuten that er den letzten Athemzug. II. Für die Thronfolge war unter Friedrich Wilhelm III. nur <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0301" n="277"/><fw place="top" type="header">Letzte Krankheit und Tod Wilhelms <hi rendition="#aq">I</hi>.<lb/></fw>folger und ich ſelbſt nach ſeinem Tode thun würden. Dann, an<lb/> die Krankheit ſeines Sohnes denkend, verlangte er von mir das<lb/> Verſprechen, meine Erfahrung ſeinem Enkel zu Gute kommen zu<lb/> laſſen und ihm zur Seite zu bleiben, wenn er, wie es ſchiene, bald<lb/> zur Regirung gelangen ſollte. Ich gab meiner Bereitwilligkeit<lb/> Ausdruck, ſeinen Nachfolgern mit demſelben Eifer zu dienen wie<lb/> ihm ſelbſt. 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Letzte Krankheit und Tod Wilhelms I.
folger und ich ſelbſt nach ſeinem Tode thun würden. Dann, an
die Krankheit ſeines Sohnes denkend, verlangte er von mir das
Verſprechen, meine Erfahrung ſeinem Enkel zu Gute kommen zu
laſſen und ihm zur Seite zu bleiben, wenn er, wie es ſchiene, bald
zur Regirung gelangen ſollte. Ich gab meiner Bereitwilligkeit
Ausdruck, ſeinen Nachfolgern mit demſelben Eifer zu dienen wie
ihm ſelbſt. Seine einzige Antwort darauf war ein etwas fühl¬
barerer Druck ſeiner Hand; dann aber traten Fieberphantaſien ein,
in denen die Beſchäftigung mit dem Enkel ſo im Vordergrunde
ſtand, daß er glaubte, der Prinz, der im September 1886 dem
Zaren in Breſt-Litowsk einen Beſuch gemacht hatte, ſäße an meiner
Stelle neben dem Bette, und mich plötzlich mit Du anredend ſagte:
„Mit dem ruſſiſchen Kaiſer mußt du immer Fühlung halten, da
iſt kein Streit nothwendig.“ Nach einer langen Pauſe des Schwei¬
gens war die Sinnestäuſchung verſchwunden; er entließ mich mit
den Worten: „Ich ſehe Sie noch.“ Geſehn hat er mich noch, als
ich mich am Nachmittage und dann wieder in der Nacht des 9. um
4 Uhr einfand, aber ſchwerlich unter den vielen Anweſenden erkannt;
noch in ſpäter Abendſtunde des 8. fand eine Rückkehr der vollen
Klarheit des Bewußtſeins und der Fähigkeit ſtatt, ſich den ſein
Sterbebett in dem engen Schlafzimmer Umſtehenden gegenüber
klar und zuſammenhängend auszuſprechen. Es war das letzte
Aufleuchten dieſes ſtarken und tapfern Geiſtes. Um 8 Uhr 30 Mi¬
nuten that er den letzten Athemzug.
II.
Für die Thronfolge war unter Friedrich Wilhelm III. nur
der Kronprinz mit Bewußtſein vorgebildet worden, der zweite Sohn
dagegen ausſchließlich militäriſch. Es war natürlich, daß durch
ſein ganzes Leben militäriſche Einflüſſe an und für ſich ſtärker auf
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