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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Popularität des Bündnisses in Oestreich.
haben. In Wien fand ich eine ähnliche Stimmung in den Straßen,
die Begrüßungen der dicht gedrängten Menge waren so zusammen¬
hängend, daß ich, da ich in Civil war, in die unbequeme Noth¬
wendigkeit gerieth, die Fahrt zum Gasthofe so gut wie mit bloßem
Kopfe zurückzulegen. Auch während der Tage, die ich in dem
Gasthofe zubrachte, konnte ich mich nicht am Fenster zeigen, ohne
freundliche Demonstrationen der dort Wartenden oder Vorübergehen¬
den hervorzurufen. Diese Kundgebungen vermehrten sich, nachdem
der Kaiser Franz Joseph mir die Ehre erzeigt hatte, mich zu be¬
suchen. Alle diese Erscheinungen waren der unzweideutige Aus¬
druck des Wunsches der Bevölkerung der Hauptstadt und der durch¬
reisten deutschen Provinzen, eine enge Freundschaft mit dem neuen
Deutschen Reiche als Signatur der Zukunft beider Großmächte sich
bilden zu sehn. Daß dieselben Sympathien im Deutschen Reiche,
im Süden noch mehr als im Norden, bei den Conservativen mehr
als bei der Opposition, im katholischen Westen mehr als im evan¬
gelischen Osten, der Blutsverwandschaft entgegenkamen, war mir
nicht zweifelhaft. Die angeblich confessionellen Kämpfe des dreißig¬
jährigen Krieges, die einfach politischen des siebenjährigen und
die diplomatischen Rivalitäten vom Tode Friedrichs des Großen
bis 1866 hatten das Gefühl dieser Verwandschaft nicht erstickt,
so sehr sonst der Deutsche auch geneigt ist, den Landsmann,
wenn ihm Gelegenheit dazu geboten wird, mit mehr Eifer zu
bekämpfen als den Ausländer. Es ist möglich, daß der slavische
Keil, durch den in Gestalt der Czechen die urdeutsche Bevölkerung
der östreichischen Stammlande von den nordwestlichen Landsleuten
getrennt ist, die Wirkungen, die nachbarliche Reibungen auf Deutsche
gleichen Stammes, aber verschiedener dynastischer Angehörigkeit,
auszuüben pflegen, abgeschwächt und das germanische Gefühl der
Deutsch-Oestreicher gekräftigt hat, das durch den Schutt, den
historische Kämpfe hinterlassen, wohl verdeckt, aber nicht erstickt
worden ist.

Ich fand bei dem Kaiser Franz Joseph eine sehr huldreiche

Popularität des Bündniſſes in Oeſtreich.
haben. In Wien fand ich eine ähnliche Stimmung in den Straßen,
die Begrüßungen der dicht gedrängten Menge waren ſo zuſammen¬
hängend, daß ich, da ich in Civil war, in die unbequeme Noth¬
wendigkeit gerieth, die Fahrt zum Gaſthofe ſo gut wie mit bloßem
Kopfe zurückzulegen. Auch während der Tage, die ich in dem
Gaſthofe zubrachte, konnte ich mich nicht am Fenſter zeigen, ohne
freundliche Demonſtrationen der dort Wartenden oder Vorübergehen¬
den hervorzurufen. Dieſe Kundgebungen vermehrten ſich, nachdem
der Kaiſer Franz Joſeph mir die Ehre erzeigt hatte, mich zu be¬
ſuchen. Alle dieſe Erſcheinungen waren der unzweideutige Aus¬
druck des Wunſches der Bevölkerung der Hauptſtadt und der durch¬
reiſten deutſchen Provinzen, eine enge Freundſchaft mit dem neuen
Deutſchen Reiche als Signatur der Zukunft beider Großmächte ſich
bilden zu ſehn. Daß dieſelben Sympathien im Deutſchen Reiche,
im Süden noch mehr als im Norden, bei den Conſervativen mehr
als bei der Oppoſition, im katholiſchen Weſten mehr als im evan¬
geliſchen Oſten, der Blutsverwandſchaft entgegenkamen, war mir
nicht zweifelhaft. Die angeblich confeſſionellen Kämpfe des dreißig¬
jährigen Krieges, die einfach politiſchen des ſiebenjährigen und
die diplomatiſchen Rivalitäten vom Tode Friedrichs des Großen
bis 1866 hatten das Gefühl dieſer Verwandſchaft nicht erſtickt,
ſo ſehr ſonſt der Deutſche auch geneigt iſt, den Landsmann,
wenn ihm Gelegenheit dazu geboten wird, mit mehr Eifer zu
bekämpfen als den Ausländer. Es iſt möglich, daß der ſlaviſche
Keil, durch den in Geſtalt der Czechen die urdeutſche Bevölkerung
der öſtreichiſchen Stammlande von den nordweſtlichen Landsleuten
getrennt iſt, die Wirkungen, die nachbarliche Reibungen auf Deutſche
gleichen Stammes, aber verſchiedener dynaſtiſcher Angehörigkeit,
auszuüben pflegen, abgeſchwächt und das germaniſche Gefühl der
Deutſch-Oeſtreicher gekräftigt hat, das durch den Schutt, den
hiſtoriſche Kämpfe hinterlaſſen, wohl verdeckt, aber nicht erſtickt
worden iſt.

Ich fand bei dem Kaiſer Franz Joſeph eine ſehr huldreiche

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[245/0269] Popularität des Bündniſſes in Oeſtreich. haben. In Wien fand ich eine ähnliche Stimmung in den Straßen, die Begrüßungen der dicht gedrängten Menge waren ſo zuſammen¬ hängend, daß ich, da ich in Civil war, in die unbequeme Noth¬ wendigkeit gerieth, die Fahrt zum Gaſthofe ſo gut wie mit bloßem Kopfe zurückzulegen. Auch während der Tage, die ich in dem Gaſthofe zubrachte, konnte ich mich nicht am Fenſter zeigen, ohne freundliche Demonſtrationen der dort Wartenden oder Vorübergehen¬ den hervorzurufen. Dieſe Kundgebungen vermehrten ſich, nachdem der Kaiſer Franz Joſeph mir die Ehre erzeigt hatte, mich zu be¬ ſuchen. Alle dieſe Erſcheinungen waren der unzweideutige Aus¬ druck des Wunſches der Bevölkerung der Hauptſtadt und der durch¬ reiſten deutſchen Provinzen, eine enge Freundſchaft mit dem neuen Deutſchen Reiche als Signatur der Zukunft beider Großmächte ſich bilden zu ſehn. Daß dieſelben Sympathien im Deutſchen Reiche, im Süden noch mehr als im Norden, bei den Conſervativen mehr als bei der Oppoſition, im katholiſchen Weſten mehr als im evan¬ geliſchen Oſten, der Blutsverwandſchaft entgegenkamen, war mir nicht zweifelhaft. Die angeblich confeſſionellen Kämpfe des dreißig¬ jährigen Krieges, die einfach politiſchen des ſiebenjährigen und die diplomatiſchen Rivalitäten vom Tode Friedrichs des Großen bis 1866 hatten das Gefühl dieſer Verwandſchaft nicht erſtickt, ſo ſehr ſonſt der Deutſche auch geneigt iſt, den Landsmann, wenn ihm Gelegenheit dazu geboten wird, mit mehr Eifer zu bekämpfen als den Ausländer. Es iſt möglich, daß der ſlaviſche Keil, durch den in Geſtalt der Czechen die urdeutſche Bevölkerung der öſtreichiſchen Stammlande von den nordweſtlichen Landsleuten getrennt iſt, die Wirkungen, die nachbarliche Reibungen auf Deutſche gleichen Stammes, aber verſchiedener dynaſtiſcher Angehörigkeit, auszuüben pflegen, abgeſchwächt und das germaniſche Gefühl der Deutſch-Oeſtreicher gekräftigt hat, das durch den Schutt, den hiſtoriſche Kämpfe hinterlaſſen, wohl verdeckt, aber nicht erſtickt worden iſt. Ich fand bei dem Kaiſer Franz Joſeph eine ſehr huldreiche

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/269>, abgerufen am 25.11.2024.