des Krimkrieges und 1863 von berufner und unberufner Seite er¬ wogen worden. Die alten preußischen Provinzen aber sind von Posen und Westpreußen durch keine natürliche Grenze getrennt, und der Verzicht auf sie wäre unausführbar. Die Frage der Zukunft Polens ist deshalb unter den Vorbedingungen eines deutsch-östreichi¬ schen Kriegsbündnisses eine besonders schwierige.
III.
In dieser Erwägung nöthigte mich der drohende Brief des Kaisers Alexander (1879) zu festem Entschlusse behufs Abwehr und Wahrung unsrer Unabhängigkeit von Rußland. Ein östreichisches Bündniß war ziemlich bei allen Parteien populär, bei den Conserva¬ tiven aus einer geschichtlichen Tradition, bezüglich deren man zweifel¬ haft sein kann, ob sie grade von dem Standpunkt einer conservativen Fraction heut zu Tage als folgerichtig gelten könne. Thatsache ist aber, daß die Mehrheit der Conservativen in Preußen die Anlehnung an Oestreich als ihren Tendenzen entsprechend ansieht, auch wenn vorübergehend eine Art von Wettlauf im Liberalismus zwischen den beiden Regirungen stattfand. Der conservative Nimbus des öst¬ reichischen Namens überwog bei den meisten Mitgliedern dieser Fraction den Eindruck der theils überwundenen, theils neuen Vor¬ stöße auf dem Gebiete des Liberalismus und der gelegentlichen Neigung zu Annäherungen an die Westmächte und speciell an Frank¬ reich. Noch näher lagen die Erwägungen, welche den Katholiken den Bund mit der vorwiegend katholischen Großmacht als nützlich erscheinen ließen. Der nationalliberalen Partei war ein vertrags¬ mäßig verbrieftes Bündniß des neuen Deutschen Reiches mit Oest¬ reich ein Weg, auf dem man der Lösung der 1848er Cirkelquadratur näher kam, ohne an den Schwierigkeiten zu scheitern, die einer unitarischen Verbindung nicht nur zwischen Oestreich und Preußen- Deutschland, sondern schon innerhalb des östreichisch-ungarischen
Neunundzwanzigſtes Kapitel: Der Dreibund.
des Krimkrieges und 1863 von berufner und unberufner Seite er¬ wogen worden. Die alten preußiſchen Provinzen aber ſind von Poſen und Weſtpreußen durch keine natürliche Grenze getrennt, und der Verzicht auf ſie wäre unausführbar. Die Frage der Zukunft Polens iſt deshalb unter den Vorbedingungen eines deutſch-öſtreichi¬ ſchen Kriegsbündniſſes eine beſonders ſchwierige.
III.
In dieſer Erwägung nöthigte mich der drohende Brief des Kaiſers Alexander (1879) zu feſtem Entſchluſſe behufs Abwehr und Wahrung unſrer Unabhängigkeit von Rußland. Ein öſtreichiſches Bündniß war ziemlich bei allen Parteien populär, bei den Conſerva¬ tiven aus einer geſchichtlichen Tradition, bezüglich deren man zweifel¬ haft ſein kann, ob ſie grade von dem Standpunkt einer conſervativen Fraction heut zu Tage als folgerichtig gelten könne. Thatſache iſt aber, daß die Mehrheit der Conſervativen in Preußen die Anlehnung an Oeſtreich als ihren Tendenzen entſprechend anſieht, auch wenn vorübergehend eine Art von Wettlauf im Liberalismus zwiſchen den beiden Regirungen ſtattfand. Der conſervative Nimbus des öſt¬ reichiſchen Namens überwog bei den meiſten Mitgliedern dieſer Fraction den Eindruck der theils überwundenen, theils neuen Vor¬ ſtöße auf dem Gebiete des Liberalismus und der gelegentlichen Neigung zu Annäherungen an die Weſtmächte und ſpeciell an Frank¬ reich. Noch näher lagen die Erwägungen, welche den Katholiken den Bund mit der vorwiegend katholiſchen Großmacht als nützlich erſcheinen ließen. Der nationalliberalen Partei war ein vertrags¬ mäßig verbrieftes Bündniß des neuen Deutſchen Reiches mit Oeſt¬ reich ein Weg, auf dem man der Löſung der 1848er Cirkelquadratur näher kam, ohne an den Schwierigkeiten zu ſcheitern, die einer unitariſchen Verbindung nicht nur zwiſchen Oeſtreich und Preußen- Deutſchland, ſondern ſchon innerhalb des öſtreichiſch-ungariſchen
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Neunundzwanzigſtes Kapitel: Der Dreibund.
des Krimkrieges und 1863 von berufner und unberufner Seite er¬
wogen worden. Die alten preußiſchen Provinzen aber ſind von
Poſen und Weſtpreußen durch keine natürliche Grenze getrennt, und
der Verzicht auf ſie wäre unausführbar. Die Frage der Zukunft
Polens iſt deshalb unter den Vorbedingungen eines deutſch-öſtreichi¬
ſchen Kriegsbündniſſes eine beſonders ſchwierige.
III.
In dieſer Erwägung nöthigte mich der drohende Brief des
Kaiſers Alexander (1879) zu feſtem Entſchluſſe behufs Abwehr und
Wahrung unſrer Unabhängigkeit von Rußland. Ein öſtreichiſches
Bündniß war ziemlich bei allen Parteien populär, bei den Conſerva¬
tiven aus einer geſchichtlichen Tradition, bezüglich deren man zweifel¬
haft ſein kann, ob ſie grade von dem Standpunkt einer conſervativen
Fraction heut zu Tage als folgerichtig gelten könne. Thatſache iſt aber,
daß die Mehrheit der Conſervativen in Preußen die Anlehnung
an Oeſtreich als ihren Tendenzen entſprechend anſieht, auch wenn
vorübergehend eine Art von Wettlauf im Liberalismus zwiſchen den
beiden Regirungen ſtattfand. Der conſervative Nimbus des öſt¬
reichiſchen Namens überwog bei den meiſten Mitgliedern dieſer
Fraction den Eindruck der theils überwundenen, theils neuen Vor¬
ſtöße auf dem Gebiete des Liberalismus und der gelegentlichen
Neigung zu Annäherungen an die Weſtmächte und ſpeciell an Frank¬
reich. Noch näher lagen die Erwägungen, welche den Katholiken
den Bund mit der vorwiegend katholiſchen Großmacht als nützlich
erſcheinen ließen. Der nationalliberalen Partei war ein vertrags¬
mäßig verbrieftes Bündniß des neuen Deutſchen Reiches mit Oeſt¬
reich ein Weg, auf dem man der Löſung der 1848er Cirkelquadratur
näher kam, ohne an den Schwierigkeiten zu ſcheitern, die einer
unitariſchen Verbindung nicht nur zwiſchen Oeſtreich und Preußen-
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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/260>, abgerufen am 22.02.2025.
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