Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.Neunzehntes Kapitel: Schleswig-Holstein. wichtigste Posten in der entscheidenden Tagesfrage eine der mini¬steriellen Politik entgegengesetzte immediat bei dem Könige vertrete. Die schon übermäßige Friction unsrer Staatsmaschine kann nicht noch gesteigert werden. Ich vertrage jeden mir gegenüber geübten Widerspruch, sobald er aus so competenter Quelle wie die Ihrige hervorgeht; die Berathung des Königs aber in dieser Sache kann ich amtlich mit niemandem theilen und ich müßte, wenn Seine Majestät mir dies zumuthen sollte, aus meiner Stellung scheiden. Ich habe dies dem Könige bei Vorlesung eines Ihrer jüngsten Be¬ richte gesagt; Seine Majestät fand meine Auffassung natürlich, und ich kann nicht anders als an ihr festhalten. Berichte, welche nur die ministeriellen Anschauungen wiederspiegeln, erwartet niemand; die Ihrigen sind aber nicht mehr Berichte im üblichen Sinne, sondern nehmen die Natur ministerieller Vorträge an, die dem Könige die entgegengesetzte Politik von der empfehlen, welche er mit dem gesammten Ministerium im Conseil selbst beschlossen und seit vier Wochen befolgt hat. Eine, ich darf wohl sagen scharfe, wenn nicht feindselige Kritik dieses Entschlusses ist aber ein andres Ministerprogramm und nicht mehr ein gesandschaftlicher Bericht. Schaden kann solche kreuzende Auffassung allerdings, ohne zu nützen; denn sie kann Zögerungen und Unentschiedenheiten her¬ vorrufen, und jede Politik halte ich für eine bessere als eine schwankende. Ich gebe Ihnen die Betrachtung vollständig zurück, daß eine Neunzehntes Kapitel: Schleswig-Holſtein. wichtigſte Poſten in der entſcheidenden Tagesfrage eine der mini¬ſteriellen Politik entgegengeſetzte immediat bei dem Könige vertrete. Die ſchon übermäßige Friction unſrer Staatsmaſchine kann nicht noch geſteigert werden. Ich vertrage jeden mir gegenüber geübten Widerſpruch, ſobald er aus ſo competenter Quelle wie die Ihrige hervorgeht; die Berathung des Königs aber in dieſer Sache kann ich amtlich mit niemandem theilen und ich müßte, wenn Seine Majeſtät mir dies zumuthen ſollte, aus meiner Stellung ſcheiden. Ich habe dies dem Könige bei Vorleſung eines Ihrer jüngſten Be¬ richte geſagt; Seine Majeſtät fand meine Auffaſſung natürlich, und ich kann nicht anders als an ihr feſthalten. Berichte, welche nur die miniſteriellen Anſchauungen wiederſpiegeln, erwartet niemand; die Ihrigen ſind aber nicht mehr Berichte im üblichen Sinne, ſondern nehmen die Natur miniſterieller Vorträge an, die dem Könige die entgegengeſetzte Politik von der empfehlen, welche er mit dem geſammten Miniſterium im Conſeil ſelbſt beſchloſſen und ſeit vier Wochen befolgt hat. Eine, ich darf wohl ſagen ſcharfe, wenn nicht feindſelige Kritik dieſes Entſchluſſes iſt aber ein andres Miniſterprogramm und nicht mehr ein geſandſchaftlicher Bericht. Schaden kann ſolche kreuzende Auffaſſung allerdings, ohne zu nützen; denn ſie kann Zögerungen und Unentſchiedenheiten her¬ vorrufen, und jede Politik halte ich für eine beſſere als eine ſchwankende. Ich gebe Ihnen die Betrachtung vollſtändig zurück, daß eine <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0026" n="2"/><fw place="top" type="header">Neunzehntes Kapitel: Schleswig-Holſtein.<lb/></fw> wichtigſte Poſten in der entſcheidenden Tagesfrage eine der mini¬<lb/> ſteriellen Politik entgegengeſetzte immediat bei dem Könige vertrete.<lb/> Die ſchon übermäßige Friction unſrer Staatsmaſchine kann nicht<lb/> noch geſteigert werden. 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Die Jagd<lb/> hinter dem Phantom der Popularität ‚in Deutſchland‘, die wir<lb/> ſeit den vierziger Jahren betrieben, hat uns unſre Stellung in<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [2/0026]
Neunzehntes Kapitel: Schleswig-Holſtein.
wichtigſte Poſten in der entſcheidenden Tagesfrage eine der mini¬
ſteriellen Politik entgegengeſetzte immediat bei dem Könige vertrete.
Die ſchon übermäßige Friction unſrer Staatsmaſchine kann nicht
noch geſteigert werden. Ich vertrage jeden mir gegenüber geübten
Widerſpruch, ſobald er aus ſo competenter Quelle wie die Ihrige
hervorgeht; die Berathung des Königs aber in dieſer Sache kann
ich amtlich mit niemandem theilen und ich müßte, wenn Seine
Majeſtät mir dies zumuthen ſollte, aus meiner Stellung ſcheiden.
Ich habe dies dem Könige bei Vorleſung eines Ihrer jüngſten Be¬
richte geſagt; Seine Majeſtät fand meine Auffaſſung natürlich, und
ich kann nicht anders als an ihr feſthalten. Berichte, welche nur
die miniſteriellen Anſchauungen wiederſpiegeln, erwartet niemand;
die Ihrigen ſind aber nicht mehr Berichte im üblichen Sinne,
ſondern nehmen die Natur miniſterieller Vorträge an, die dem
Könige die entgegengeſetzte Politik von der empfehlen, welche er
mit dem geſammten Miniſterium im Conſeil ſelbſt beſchloſſen und
ſeit vier Wochen befolgt hat. Eine, ich darf wohl ſagen ſcharfe,
wenn nicht feindſelige Kritik dieſes Entſchluſſes iſt aber ein andres
Miniſterprogramm und nicht mehr ein geſandſchaftlicher Bericht.
Schaden kann ſolche kreuzende Auffaſſung allerdings, ohne zu
nützen; denn ſie kann Zögerungen und Unentſchiedenheiten her¬
vorrufen, und jede Politik halte ich für eine beſſere als eine
ſchwankende.
Ich gebe Ihnen die Betrachtung vollſtändig zurück, daß eine
‚an ſich höchſt einfache Frage preußiſcher Politik‘ durch den Staub,
den die däniſche Sache aufrührt, durch die Nebelbilder, welche ſich
an dieſelbe knüpfen, verdunkelt wird. Die Frage iſt, ob wir eine
Großmacht ſind oder ein deutſcher Bundesſtaat, und ob wir, der
erſtern Eigenſchaft entſprechend, monarchiſch oder wie es in der
zweiten Eigenſchaft allerdings zuläſſig iſt, durch Profeſſoren, Kreis¬
richter und kleinſtädtiſche Schwätzer zu regiren ſind. Die Jagd
hinter dem Phantom der Popularität ‚in Deutſchland‘, die wir
ſeit den vierziger Jahren betrieben, hat uns unſre Stellung in
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