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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Aufgaben eines Gesandten an fremdem Hofe.
Darstellungen eigneten, zu verschweigen, und als ich Minister war,
dergleichen allerhöchsten Orts nicht vorzulegen. In der Stellung
eines Botschafters am Hofe einer Großmacht findet die Verpflich¬
tung zur mechanischen Berichterstattung über alle am Domicil des
Botschafters vorkommenden thörichten Reden und Bosheiten nicht
Anwendung. Ein Botschafter nicht nur, sondern auch jeder deutsche
Diplomat an einem deutschen Hofe, sollte nicht Berichte schreiben,
wie sie Budberg, Oubril aus Berlin, Balabin aus Wien nach
Hause sandten in der Berechnung, daß sie als witzig mit Interesse
und mit selbstgefälliger Heiterkeit gelesen würden, sondern er sollte
sich, so lange die Verhältnisse freundlich sind und bleiben sollen,
des Hetzens und Klatschens enthalten. Wer nur das Förmliche des
Geschäftsganges im Auge hat, wird es allerdings für das Richtigste
halten, daß der Gesandte rückhaltlos meldet, was er hört, und es
dem Minister überläßt, über was er hinwegsehn und was er be¬
tonen will. Ob das aber sachlich zweckmäßig ist, hängt von der
Persönlichkeit des Ministers ab. Da ich mich für ebenso einsichtig
hielt wie Herrn von Schleinitz und einen tiefern und gewissen¬
haftern Antheil an dem Schicksal unsres Landes nahm als er, so
habe ich mich für berechtigt und verpflichtet gehalten, manches nicht
zu seiner Kenntniß zu bringen, was in seinen Händen Verhetzungen
und Intrigen am Hofe im Sinne einer Politik dienen konnte, die
nicht die des Königs war.

Ich kehre von dieser Abschweifung zu den Besprechungen zurück,
die ich zur Zeit des Balkankrieges mit dem Grafen Peter Schuwalow
gehabt habe. Ich sagte ihm, daß wir, wenn wir der Festigkeit
eines Bündnisses mit Rußland die Beziehungen zu allen andern
Mächten zum Opfer brächten, uns bei acuten Vorkommnissen von
französischer und östreichischer Revanchelust bei unsrer exponirten
geographischen Lage in einer gefährlichen Abhängigkeit von Ru߬
land befinden würden. Die Verträglichkeit Rußlands mit Mächten,
die nicht auch ohne sein Wohlwollen bestehn könnten, hätte ihre
Grenzen, namentlich bei einer Politik, wie die des Fürsten Gor¬

Aufgaben eines Geſandten an fremdem Hofe.
Darſtellungen eigneten, zu verſchweigen, und als ich Miniſter war,
dergleichen allerhöchſten Orts nicht vorzulegen. In der Stellung
eines Botſchafters am Hofe einer Großmacht findet die Verpflich¬
tung zur mechaniſchen Berichterſtattung über alle am Domicil des
Botſchafters vorkommenden thörichten Reden und Bosheiten nicht
Anwendung. Ein Botſchafter nicht nur, ſondern auch jeder deutſche
Diplomat an einem deutſchen Hofe, ſollte nicht Berichte ſchreiben,
wie ſie Budberg, Oubril aus Berlin, Balabin aus Wien nach
Hauſe ſandten in der Berechnung, daß ſie als witzig mit Intereſſe
und mit ſelbſtgefälliger Heiterkeit geleſen würden, ſondern er ſollte
ſich, ſo lange die Verhältniſſe freundlich ſind und bleiben ſollen,
des Hetzens und Klatſchens enthalten. Wer nur das Förmliche des
Geſchäftsganges im Auge hat, wird es allerdings für das Richtigſte
halten, daß der Geſandte rückhaltlos meldet, was er hört, und es
dem Miniſter überläßt, über was er hinwegſehn und was er be¬
tonen will. Ob das aber ſachlich zweckmäßig iſt, hängt von der
Perſönlichkeit des Miniſters ab. Da ich mich für ebenſo einſichtig
hielt wie Herrn von Schleinitz und einen tiefern und gewiſſen¬
haftern Antheil an dem Schickſal unſres Landes nahm als er, ſo
habe ich mich für berechtigt und verpflichtet gehalten, manches nicht
zu ſeiner Kenntniß zu bringen, was in ſeinen Händen Verhetzungen
und Intrigen am Hofe im Sinne einer Politik dienen konnte, die
nicht die des Königs war.

Ich kehre von dieſer Abſchweifung zu den Beſprechungen zurück,
die ich zur Zeit des Balkankrieges mit dem Grafen Peter Schuwalow
gehabt habe. Ich ſagte ihm, daß wir, wenn wir der Feſtigkeit
eines Bündniſſes mit Rußland die Beziehungen zu allen andern
Mächten zum Opfer brächten, uns bei acuten Vorkommniſſen von
franzöſiſcher und öſtreichiſcher Revancheluſt bei unſrer exponirten
geographiſchen Lage in einer gefährlichen Abhängigkeit von Ru߬
land befinden würden. Die Verträglichkeit Rußlands mit Mächten,
die nicht auch ohne ſein Wohlwollen beſtehn könnten, hätte ihre
Grenzen, namentlich bei einer Politik, wie die des Fürſten Gor¬

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[227/0251] Aufgaben eines Geſandten an fremdem Hofe. Darſtellungen eigneten, zu verſchweigen, und als ich Miniſter war, dergleichen allerhöchſten Orts nicht vorzulegen. In der Stellung eines Botſchafters am Hofe einer Großmacht findet die Verpflich¬ tung zur mechaniſchen Berichterſtattung über alle am Domicil des Botſchafters vorkommenden thörichten Reden und Bosheiten nicht Anwendung. Ein Botſchafter nicht nur, ſondern auch jeder deutſche Diplomat an einem deutſchen Hofe, ſollte nicht Berichte ſchreiben, wie ſie Budberg, Oubril aus Berlin, Balabin aus Wien nach Hauſe ſandten in der Berechnung, daß ſie als witzig mit Intereſſe und mit ſelbſtgefälliger Heiterkeit geleſen würden, ſondern er ſollte ſich, ſo lange die Verhältniſſe freundlich ſind und bleiben ſollen, des Hetzens und Klatſchens enthalten. Wer nur das Förmliche des Geſchäftsganges im Auge hat, wird es allerdings für das Richtigſte halten, daß der Geſandte rückhaltlos meldet, was er hört, und es dem Miniſter überläßt, über was er hinwegſehn und was er be¬ tonen will. Ob das aber ſachlich zweckmäßig iſt, hängt von der Perſönlichkeit des Miniſters ab. Da ich mich für ebenſo einſichtig hielt wie Herrn von Schleinitz und einen tiefern und gewiſſen¬ haftern Antheil an dem Schickſal unſres Landes nahm als er, ſo habe ich mich für berechtigt und verpflichtet gehalten, manches nicht zu ſeiner Kenntniß zu bringen, was in ſeinen Händen Verhetzungen und Intrigen am Hofe im Sinne einer Politik dienen konnte, die nicht die des Königs war. Ich kehre von dieſer Abſchweifung zu den Beſprechungen zurück, die ich zur Zeit des Balkankrieges mit dem Grafen Peter Schuwalow gehabt habe. Ich ſagte ihm, daß wir, wenn wir der Feſtigkeit eines Bündniſſes mit Rußland die Beziehungen zu allen andern Mächten zum Opfer brächten, uns bei acuten Vorkommniſſen von franzöſiſcher und öſtreichiſcher Revancheluſt bei unſrer exponirten geographiſchen Lage in einer gefährlichen Abhängigkeit von Ru߬ land befinden würden. Die Verträglichkeit Rußlands mit Mächten, die nicht auch ohne ſein Wohlwollen beſtehn könnten, hätte ihre Grenzen, namentlich bei einer Politik, wie die des Fürſten Gor¬

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/251>, abgerufen am 22.11.2024.