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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Schwierigkeiten eines deutsch-russischen Bündnisses.
niß einschränkte und allen übrigen Staaten den russischen Wünschen
entsprechend absagte, Rußland gegenüber in eine ungleiche Stellung
gerathen könne, weil die geographische Lage und die autokratische
Verfassung Rußlands diesem für das Aufgeben des Bündnisses
stets mehr Leichtigkeit gewähre, als wir haben würden, und weil
das Festhalten an der alten Tradition des preußisch-russischen Bundes
doch immer nur auf zwei Augen stehe, d. h. von dem Gemüths¬
leben des jedesmaligen Kaisers von Rußland abhänge. Unsre Be¬
ziehungen zu Rußland beruhten wesentlich auf dem persönlichen
Verhältniß beider Monarchen zu einander und auf dessen richtiger
Pflege durch höfische und diplomatische Geschicklichkeit, respective
Gesinnung der beiderseitigen Vertreter. Wir hätten das Beispiel
gehabt, daß bei ziemlich hülflosen preußischen Gesandten in Peters¬
burg durch die Geschicklichkeit von Militärbevollmächtigten, wie
der Generale von Rauch und Graf Münster, die gegenseitigen
Beziehungen intim geblieben wären, trotz mancher berechtigten Em¬
pfindlichkeit auf beiden Seiten. Wir hätten ebenso erlebt, daß jäh¬
zornige oder reizbare Vertreter Rußlands, wie Budberg und Oubril,
durch ihre Haltung in Berlin und durch ihre Berichterstattung, wenn
sie persönlich verstimmt waren, Eindrücke erzeugten, welche auf die
gegenseitigen Gesammtbeziehungen zweier Völker von einundeinhalb
Hundert Millionen gefährlich zurückwirken konnten.

Ich erinnere mich, daß Fürst Gortschakow mir, als ich in
Petersburg Gesandter war und seines unbegrenzten Vertrauens
mich erfreute, mitunter, wenn er mich warten ließ, noch un¬
erbrochne Berliner Berichte zu lesen gab, bevor er selbst sie durch¬
gesehn hatte. Ich war zuweilen erstaunt, daraus zu entnehmen,
mit welchem Uebelwollen mein früherer Freund Budberg seiner
Empfindlichkeit über irgend ein Erlebniß in der Gesellschaft oder
auch nur dem Bedürfniß, einen witzigen Sarkasmus über Berliner
Verhältnisse am Hofe und in dem Ministerium anzubringen, die
Aufgabe der Erhaltung der gegenwärtigen Beziehungen unter¬

Otto Fürst von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. II. 15

Schwierigkeiten eines deutſch-ruſſiſchen Bündniſſes.
niß einſchränkte und allen übrigen Staaten den ruſſiſchen Wünſchen
entſprechend abſagte, Rußland gegenüber in eine ungleiche Stellung
gerathen könne, weil die geographiſche Lage und die autokratiſche
Verfaſſung Rußlands dieſem für das Aufgeben des Bündniſſes
ſtets mehr Leichtigkeit gewähre, als wir haben würden, und weil
das Feſthalten an der alten Tradition des preußiſch-ruſſiſchen Bundes
doch immer nur auf zwei Augen ſtehe, d. h. von dem Gemüths¬
leben des jedesmaligen Kaiſers von Rußland abhänge. Unſre Be¬
ziehungen zu Rußland beruhten weſentlich auf dem perſönlichen
Verhältniß beider Monarchen zu einander und auf deſſen richtiger
Pflege durch höfiſche und diplomatiſche Geſchicklichkeit, reſpective
Geſinnung der beiderſeitigen Vertreter. Wir hätten das Beiſpiel
gehabt, daß bei ziemlich hülfloſen preußiſchen Geſandten in Peters¬
burg durch die Geſchicklichkeit von Militärbevollmächtigten, wie
der Generale von Rauch und Graf Münſter, die gegenſeitigen
Beziehungen intim geblieben wären, trotz mancher berechtigten Em¬
pfindlichkeit auf beiden Seiten. Wir hätten ebenſo erlebt, daß jäh¬
zornige oder reizbare Vertreter Rußlands, wie Budberg und Oubril,
durch ihre Haltung in Berlin und durch ihre Berichterſtattung, wenn
ſie perſönlich verſtimmt waren, Eindrücke erzeugten, welche auf die
gegenſeitigen Geſammtbeziehungen zweier Völker von einundeinhalb
Hundert Millionen gefährlich zurückwirken konnten.

Ich erinnere mich, daß Fürſt Gortſchakow mir, als ich in
Petersburg Geſandter war und ſeines unbegrenzten Vertrauens
mich erfreute, mitunter, wenn er mich warten ließ, noch un¬
erbrochne Berliner Berichte zu leſen gab, bevor er ſelbſt ſie durch¬
geſehn hatte. Ich war zuweilen erſtaunt, daraus zu entnehmen,
mit welchem Uebelwollen mein früherer Freund Budberg ſeiner
Empfindlichkeit über irgend ein Erlebniß in der Geſellſchaft oder
auch nur dem Bedürfniß, einen witzigen Sarkasmus über Berliner
Verhältniſſe am Hofe und in dem Miniſterium anzubringen, die
Aufgabe der Erhaltung der gegenwärtigen Beziehungen unter¬

Otto Fürſt von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. II. 15
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[225/0249] Schwierigkeiten eines deutſch-ruſſiſchen Bündniſſes. niß einſchränkte und allen übrigen Staaten den ruſſiſchen Wünſchen entſprechend abſagte, Rußland gegenüber in eine ungleiche Stellung gerathen könne, weil die geographiſche Lage und die autokratiſche Verfaſſung Rußlands dieſem für das Aufgeben des Bündniſſes ſtets mehr Leichtigkeit gewähre, als wir haben würden, und weil das Feſthalten an der alten Tradition des preußiſch-ruſſiſchen Bundes doch immer nur auf zwei Augen ſtehe, d. h. von dem Gemüths¬ leben des jedesmaligen Kaiſers von Rußland abhänge. Unſre Be¬ ziehungen zu Rußland beruhten weſentlich auf dem perſönlichen Verhältniß beider Monarchen zu einander und auf deſſen richtiger Pflege durch höfiſche und diplomatiſche Geſchicklichkeit, reſpective Geſinnung der beiderſeitigen Vertreter. Wir hätten das Beiſpiel gehabt, daß bei ziemlich hülfloſen preußiſchen Geſandten in Peters¬ burg durch die Geſchicklichkeit von Militärbevollmächtigten, wie der Generale von Rauch und Graf Münſter, die gegenſeitigen Beziehungen intim geblieben wären, trotz mancher berechtigten Em¬ pfindlichkeit auf beiden Seiten. Wir hätten ebenſo erlebt, daß jäh¬ zornige oder reizbare Vertreter Rußlands, wie Budberg und Oubril, durch ihre Haltung in Berlin und durch ihre Berichterſtattung, wenn ſie perſönlich verſtimmt waren, Eindrücke erzeugten, welche auf die gegenſeitigen Geſammtbeziehungen zweier Völker von einundeinhalb Hundert Millionen gefährlich zurückwirken konnten. Ich erinnere mich, daß Fürſt Gortſchakow mir, als ich in Petersburg Geſandter war und ſeines unbegrenzten Vertrauens mich erfreute, mitunter, wenn er mich warten ließ, noch un¬ erbrochne Berliner Berichte zu leſen gab, bevor er ſelbſt ſie durch¬ geſehn hatte. Ich war zuweilen erſtaunt, daraus zu entnehmen, mit welchem Uebelwollen mein früherer Freund Budberg ſeiner Empfindlichkeit über irgend ein Erlebniß in der Geſellſchaft oder auch nur dem Bedürfniß, einen witzigen Sarkasmus über Berliner Verhältniſſe am Hofe und in dem Miniſterium anzubringen, die Aufgabe der Erhaltung der gegenwärtigen Beziehungen unter¬ Otto Fürſt von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. II. 15

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/249>, abgerufen am 21.11.2024.