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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Sechsundzwanzigstes Kapitel: Intrigen.
seiner Amtsdauer; er hatte keine andern Interessen als die des
Kreises zu vertreten und für keine andern Wünsche als die seiner
Eingesessenen zu streben. Es liegt auf der Hand, wie nützlich eine
solche Institution nach oben und nach unten wirkte, und mit wie
geringen Mitteln an Menschen und Geld die Kreisgeschäfte be¬
trieben werden konnten. Seitdem ist der Landrath ein reiner
Regirungsbeamter geworden, seine Stellung ein Durchgangsposten
für weitre Beförderung im Staatsdienste, eine Erleichterung der
Wahl zum Abgeordneten; und in der Eigenschaft des letztern wird
er, wenn er strebsam ist, seine Beziehungen nach oben als Beamter
wichtiger finden als die zu den Einsassen seines Kreises. Zugleich
sind die neugeschaffnen örtlichen Amtsvorstände nicht Organe der
Selbstverwaltung, nach Analogie der städtischen Behörden, sondern
eine unterste schreiberartig wirkende Klasse der Bürokratie ge¬
worden, durch welche jede unpraktische oder müßige Anregung der
unzulänglich beschäftigten und den Realitäten des Lebens fremden
Centralbürokratie über das platte Land verbreitet wird und die
die unglücklichen Selbst-Verwalter nöthigt, Berichte und Listen zu¬
sammenzustellen, um die Wißbegierde von Beamten zu befriedigen,
die mehr Zeit als Staatsgeschäfte haben. Es ist für Landwirthe
oder Industrielle nicht möglich, solchen Anforderungen im "Neben¬
amte" zu genügen. An ihre Stelle treten nothwendig mehr und
mehr remunerirte Schreiber, deren Kosten durch die Eingesessenen
aufzubringen sind und die von der höhern Bürokratie ad nutum
abhängig sind.

Als Nachfolger des Grafen Eulenburg hatte ich Rudolf von
Bennigsen in's Auge gefaßt und habe im Laufe des Jahres 1877
in Varzin zweimal, im Juli und im December, Besprechungen mit
ihm gehabt. Es fand sich dabei, daß er dem Boden unsrer Ver¬
handlung eine weitre Ausdehnung zu geben suchte, als mit den
Ansichten Sr. Majestät und mit meinen eignen Auffassungen
vereinbar war. Ich wußte, daß es schon eine schwierige Aufgabe
sein würde, ihn für seine Person dem Könige annehmbar zu

Sechsundzwanzigſtes Kapitel: Intrigen.
ſeiner Amtsdauer; er hatte keine andern Intereſſen als die des
Kreiſes zu vertreten und für keine andern Wünſche als die ſeiner
Eingeſeſſenen zu ſtreben. Es liegt auf der Hand, wie nützlich eine
ſolche Inſtitution nach oben und nach unten wirkte, und mit wie
geringen Mitteln an Menſchen und Geld die Kreisgeſchäfte be¬
trieben werden konnten. Seitdem iſt der Landrath ein reiner
Regirungsbeamter geworden, ſeine Stellung ein Durchgangspoſten
für weitre Beförderung im Staatsdienſte, eine Erleichterung der
Wahl zum Abgeordneten; und in der Eigenſchaft des letztern wird
er, wenn er ſtrebſam iſt, ſeine Beziehungen nach oben als Beamter
wichtiger finden als die zu den Einſaſſen ſeines Kreiſes. Zugleich
ſind die neugeſchaffnen örtlichen Amtsvorſtände nicht Organe der
Selbſtverwaltung, nach Analogie der ſtädtiſchen Behörden, ſondern
eine unterſte ſchreiberartig wirkende Klaſſe der Bürokratie ge¬
worden, durch welche jede unpraktiſche oder müßige Anregung der
unzulänglich beſchäftigten und den Realitäten des Lebens fremden
Centralbürokratie über das platte Land verbreitet wird und die
die unglücklichen Selbſt-Verwalter nöthigt, Berichte und Liſten zu¬
ſammenzuſtellen, um die Wißbegierde von Beamten zu befriedigen,
die mehr Zeit als Staatsgeſchäfte haben. Es iſt für Landwirthe
oder Induſtrielle nicht möglich, ſolchen Anforderungen im „Neben¬
amte“ zu genügen. An ihre Stelle treten nothwendig mehr und
mehr remunerirte Schreiber, deren Koſten durch die Eingeſeſſenen
aufzubringen ſind und die von der höhern Bürokratie ad nutum
abhängig ſind.

Als Nachfolger des Grafen Eulenburg hatte ich Rudolf von
Bennigſen in's Auge gefaßt und habe im Laufe des Jahres 1877
in Varzin zweimal, im Juli und im December, Beſprechungen mit
ihm gehabt. Es fand ſich dabei, daß er dem Boden unſrer Ver¬
handlung eine weitre Ausdehnung zu geben ſuchte, als mit den
Anſichten Sr. Majeſtät und mit meinen eignen Auffaſſungen
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[180/0204] Sechsundzwanzigſtes Kapitel: Intrigen. ſeiner Amtsdauer; er hatte keine andern Intereſſen als die des Kreiſes zu vertreten und für keine andern Wünſche als die ſeiner Eingeſeſſenen zu ſtreben. Es liegt auf der Hand, wie nützlich eine ſolche Inſtitution nach oben und nach unten wirkte, und mit wie geringen Mitteln an Menſchen und Geld die Kreisgeſchäfte be¬ trieben werden konnten. Seitdem iſt der Landrath ein reiner Regirungsbeamter geworden, ſeine Stellung ein Durchgangspoſten für weitre Beförderung im Staatsdienſte, eine Erleichterung der Wahl zum Abgeordneten; und in der Eigenſchaft des letztern wird er, wenn er ſtrebſam iſt, ſeine Beziehungen nach oben als Beamter wichtiger finden als die zu den Einſaſſen ſeines Kreiſes. Zugleich ſind die neugeſchaffnen örtlichen Amtsvorſtände nicht Organe der Selbſtverwaltung, nach Analogie der ſtädtiſchen Behörden, ſondern eine unterſte ſchreiberartig wirkende Klaſſe der Bürokratie ge¬ worden, durch welche jede unpraktiſche oder müßige Anregung der unzulänglich beſchäftigten und den Realitäten des Lebens fremden Centralbürokratie über das platte Land verbreitet wird und die die unglücklichen Selbſt-Verwalter nöthigt, Berichte und Liſten zu¬ ſammenzuſtellen, um die Wißbegierde von Beamten zu befriedigen, die mehr Zeit als Staatsgeſchäfte haben. Es iſt für Landwirthe oder Induſtrielle nicht möglich, ſolchen Anforderungen im „Neben¬ amte“ zu genügen. An ihre Stelle treten nothwendig mehr und mehr remunerirte Schreiber, deren Koſten durch die Eingeſeſſenen aufzubringen ſind und die von der höhern Bürokratie ad nutum abhängig ſind. Als Nachfolger des Grafen Eulenburg hatte ich Rudolf von Bennigſen in's Auge gefaßt und habe im Laufe des Jahres 1877 in Varzin zweimal, im Juli und im December, Beſprechungen mit ihm gehabt. Es fand ſich dabei, daß er dem Boden unſrer Ver¬ handlung eine weitre Ausdehnung zu geben ſuchte, als mit den Anſichten Sr. Majeſtät und mit meinen eignen Auffaſſungen vereinbar war. Ich wußte, daß es ſchon eine ſchwierige Aufgabe ſein würde, ihn für ſeine Perſon dem Könige annehmbar zu

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/204>, abgerufen am 24.11.2024.