Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.Schreiben an den Kaiser. Verwaltungsreform. Verzeihn E. M., wenn das Interesse des Fachmannes mich III. Graf Friedrich Eulenburg erklärte sich Sommer 1877 körper¬ Schreiben an den Kaiſer. Verwaltungsreform. Verzeihn E. M., wenn das Intereſſe des Fachmannes mich III. Graf Friedrich Eulenburg erklärte ſich Sommer 1877 körper¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0203" n="179"/> <fw place="top" type="header">Schreiben an den Kaiſer. Verwaltungsreform.<lb/></fw> <p>Verzeihn E. M., wenn das Intereſſe des Fachmannes mich<lb/> über dieſen abgemachten Punkt nach dreimonatlicher Enthaltung<lb/> hat weitläuftig werden laſſen.“</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> <hi rendition="#aq">III.</hi><lb/> </head> <p>Graf Friedrich Eulenburg erklärte ſich Sommer 1877 körper¬<lb/> lich bankrott, und in der That war ſeine Leiſtungsfähigkeit ſehr ver¬<lb/> ringert, nicht durch Uebermaß von Arbeit, ſondern durch die Scho¬<lb/> nungsloſigkeit, mit der er ſich von Jugend auf jeder Art von<lb/> Genuß hingegeben hatte. Er beſaß Geiſt und Muth, aber nicht<lb/> immer Luſt zu ausdauernder Arbeit. Sein Nervenſyſtem war ge¬<lb/> ſchädigt und ſchwankte ſchließlich zwiſchen weinerlicher Mattigkeit<lb/> und künſtlicher Aufregung. Dabei hatte ihn in der Mitte der 70er<lb/> Jahre, wie ich vermuthe, ein gewiſſes Popularitätsbedürfniß über¬<lb/> fallen, das ihm früher fremd geblieben war, ſo lange er geſund<lb/> genug war, um ſich zu amüſiren. Dieſe Anwandlung war nicht<lb/> frei von einem Anflug von Eiferſucht auf mich, wenn wir auch<lb/> alte Freunde waren. Er ſuchte ſie dadurch zu befriedigen, daß er<lb/> ſich der Verwaltungsreform annahm. Sie mußte gelingen, wenn<lb/> ſie ihm Ruhm erwerben ſollte. Um den Erfolg zu ſichern, machte<lb/> er bei den parlamentariſchen Verhandlungen darüber unpraktiſche<lb/> Conceſſionen und bürokratiſirte den weſentlichen Träger unſrer<lb/> ländlichen Zuſtände, den Landrathspoſten, gleichzeitig mit der neuen<lb/> Local-Verwaltung. Der Landrathspoſten war in frühern Zeiten<lb/> eine preußiſche Eigenthümlichkeit, der letzte Ausläufer der Verwal¬<lb/> tungshierarchie, durch den ſie mit dem Volke unmittelbar in Be¬<lb/> rührung ſtand. In dem ſocialen Anſehn aber ſtand der Landrath<lb/> höher als andre Beamte gleichen Ranges. Man wurde früher<lb/> nicht Landrath mit der Abſicht, dadurch Carri<hi rendition="#aq">è</hi>re zu machen, ſon¬<lb/> dern mit der Ausſicht, ſein Leben als Landrath des Kreiſes zu<lb/> beſchließen. Die Autorität eines ſolchen wuchs mit den Jahren<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [179/0203]
Schreiben an den Kaiſer. Verwaltungsreform.
Verzeihn E. M., wenn das Intereſſe des Fachmannes mich
über dieſen abgemachten Punkt nach dreimonatlicher Enthaltung
hat weitläuftig werden laſſen.“
III.
Graf Friedrich Eulenburg erklärte ſich Sommer 1877 körper¬
lich bankrott, und in der That war ſeine Leiſtungsfähigkeit ſehr ver¬
ringert, nicht durch Uebermaß von Arbeit, ſondern durch die Scho¬
nungsloſigkeit, mit der er ſich von Jugend auf jeder Art von
Genuß hingegeben hatte. Er beſaß Geiſt und Muth, aber nicht
immer Luſt zu ausdauernder Arbeit. Sein Nervenſyſtem war ge¬
ſchädigt und ſchwankte ſchließlich zwiſchen weinerlicher Mattigkeit
und künſtlicher Aufregung. Dabei hatte ihn in der Mitte der 70er
Jahre, wie ich vermuthe, ein gewiſſes Popularitätsbedürfniß über¬
fallen, das ihm früher fremd geblieben war, ſo lange er geſund
genug war, um ſich zu amüſiren. Dieſe Anwandlung war nicht
frei von einem Anflug von Eiferſucht auf mich, wenn wir auch
alte Freunde waren. Er ſuchte ſie dadurch zu befriedigen, daß er
ſich der Verwaltungsreform annahm. Sie mußte gelingen, wenn
ſie ihm Ruhm erwerben ſollte. Um den Erfolg zu ſichern, machte
er bei den parlamentariſchen Verhandlungen darüber unpraktiſche
Conceſſionen und bürokratiſirte den weſentlichen Träger unſrer
ländlichen Zuſtände, den Landrathspoſten, gleichzeitig mit der neuen
Local-Verwaltung. Der Landrathspoſten war in frühern Zeiten
eine preußiſche Eigenthümlichkeit, der letzte Ausläufer der Verwal¬
tungshierarchie, durch den ſie mit dem Volke unmittelbar in Be¬
rührung ſtand. In dem ſocialen Anſehn aber ſtand der Landrath
höher als andre Beamte gleichen Ranges. Man wurde früher
nicht Landrath mit der Abſicht, dadurch Carrière zu machen, ſon¬
dern mit der Ausſicht, ſein Leben als Landrath des Kreiſes zu
beſchließen. Die Autorität eines ſolchen wuchs mit den Jahren
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