Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.Zersetzung der conservativen Partei. bedeutungsschwere Sache gehalten werden würde, für einen Vor¬gang, der Sie und die Regierung zu einem gehorsamen Werkzeug der liberalen Partei herabwürdigen müßte. Zwar verstehe ich, daß es für unsre Politik nützlich, wenn die Liberalen die Hoffnung be¬ halten, die Hand mit an's Ruder legen zu können. Aber ebenso begreife ich, daß es schädlich sein würde, wenn die Situation sich so gestaltete, daß ihre Theilnahme am Regiment eine unvermeid¬ liche Nothwendigkeit wäre. Sie werden dagegen vielleicht bemerken, daß die Verworrenheit, Rath- und Kopflosigkeit der Conservativen -- ganz abgesehen von der neidischen und boshaften Ueberhebung Einzelner -- von selbst dahin führen werde, und daß Sie dagegen nichts thun können. Aber ist denn das ganz richtig? Hätten Sie Ihre bedeutenden Ressourcen ernstlich dazu verwandt, die conservative Partei, die leider noch immer nicht klar erkennt, daß ihre heutige Aufgabe eine andre sein muß, als 1862 und in den folgenden Jahren, zu endoctriniren und zu organisiren, und wollen Sie das heute noch versuchen, so wird nicht nur die Mesalliance mit den Liberalen vermieden werden können, sondern auch aus der refor¬ mirten conservativen Partei der dauerhafteste und sicherste Stab für die Wanderung auf dem schwierigen aber unvermeidlichen Wege conservativen Fortschritts in innerer reformatorischer Erneuerung gemacht werden können. -- Wohl kann Ein Mensch, wie bedeutend er auch von Gott ausgestattet worden, nicht Alles selbst thun, was gethan werden muß. Indem ich dies ausspreche, schließe ich jeden Vorwurf aus, der für Sie in Vorstehendem gefunden werden könnte. Ich erkenne vielmehr gern und wiederholt an, daß Ihre amtlichen Helfer Ihnen und Ihren Zielen nicht die entsprechende Unterstützung gewähren. Und wenn ich von der Reform der conservativen Partei sprach, so erkenne ich an, daß diese Aufgabe zunächst die des Ministers des Innern sein sollte. Aber besitzt Graf E. das zu der Lösung derselben unentbehrliche Vertrauen? (und Pflichtgefühl!)1) 1) Zusatz Bismarcks. Otto Fürst von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. II. 10
Zerſetzung der conſervativen Partei. bedeutungsſchwere Sache gehalten werden würde, für einen Vor¬gang, der Sie und die Regierung zu einem gehorſamen Werkzeug der liberalen Partei herabwürdigen müßte. Zwar verſtehe ich, daß es für unſre Politik nützlich, wenn die Liberalen die Hoffnung be¬ halten, die Hand mit an's Ruder legen zu können. Aber ebenſo begreife ich, daß es ſchädlich ſein würde, wenn die Situation ſich ſo geſtaltete, daß ihre Theilnahme am Regiment eine unvermeid¬ liche Nothwendigkeit wäre. Sie werden dagegen vielleicht bemerken, daß die Verworrenheit, Rath- und Kopfloſigkeit der Conſervativen — ganz abgeſehen von der neidiſchen und boshaften Ueberhebung Einzelner — von ſelbſt dahin führen werde, und daß Sie dagegen nichts thun können. Aber iſt denn das ganz richtig? Hätten Sie Ihre bedeutenden Reſſourcen ernſtlich dazu verwandt, die conſervative Partei, die leider noch immer nicht klar erkennt, daß ihre heutige Aufgabe eine andre ſein muß, als 1862 und in den folgenden Jahren, zu endoctriniren und zu organiſiren, und wollen Sie das heute noch verſuchen, ſo wird nicht nur die Mesalliance mit den Liberalen vermieden werden können, ſondern auch aus der refor¬ mirten conſervativen Partei der dauerhafteſte und ſicherſte Stab für die Wanderung auf dem ſchwierigen aber unvermeidlichen Wege conſervativen Fortſchritts in innerer reformatoriſcher Erneuerung gemacht werden können. — Wohl kann Ein Menſch, wie bedeutend er auch von Gott ausgeſtattet worden, nicht Alles ſelbſt thun, was gethan werden muß. Indem ich dies ausſpreche, ſchließe ich jeden Vorwurf aus, der für Sie in Vorſtehendem gefunden werden könnte. Ich erkenne vielmehr gern und wiederholt an, daß Ihre amtlichen Helfer Ihnen und Ihren Zielen nicht die entſprechende Unterſtützung gewähren. Und wenn ich von der Reform der conſervativen Partei ſprach, ſo erkenne ich an, daß dieſe Aufgabe zunächſt die des Miniſters des Innern ſein ſollte. Aber beſitzt Graf E. das zu der Löſung derſelben unentbehrliche Vertrauen? (und Pflichtgefühl!)1) 1) Zuſatz Bismarcks. Otto Fürſt von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. II. 10
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Zerſetzung der conſervativen Partei.
bedeutungsſchwere Sache gehalten werden würde, für einen Vor¬
gang, der Sie und die Regierung zu einem gehorſamen Werkzeug
der liberalen Partei herabwürdigen müßte. Zwar verſtehe ich, daß
es für unſre Politik nützlich, wenn die Liberalen die Hoffnung be¬
halten, die Hand mit an's Ruder legen zu können. Aber ebenſo
begreife ich, daß es ſchädlich ſein würde, wenn die Situation ſich
ſo geſtaltete, daß ihre Theilnahme am Regiment eine unvermeid¬
liche Nothwendigkeit wäre. Sie werden dagegen vielleicht bemerken,
daß die Verworrenheit, Rath- und Kopfloſigkeit der Conſervativen
— ganz abgeſehen von der neidiſchen und boshaften Ueberhebung
Einzelner — von ſelbſt dahin führen werde, und daß Sie dagegen
nichts thun können. Aber iſt denn das ganz richtig? Hätten Sie
Ihre bedeutenden Reſſourcen ernſtlich dazu verwandt, die conſervative
Partei, die leider noch immer nicht klar erkennt, daß ihre heutige
Aufgabe eine andre ſein muß, als 1862 und in den folgenden
Jahren, zu endoctriniren und zu organiſiren, und wollen Sie das
heute noch verſuchen, ſo wird nicht nur die Mesalliance mit den
Liberalen vermieden werden können, ſondern auch aus der refor¬
mirten conſervativen Partei der dauerhafteſte und ſicherſte Stab
für die Wanderung auf dem ſchwierigen aber unvermeidlichen Wege
conſervativen Fortſchritts in innerer reformatoriſcher Erneuerung
gemacht werden können. — Wohl kann Ein Menſch, wie bedeutend
er auch von Gott ausgeſtattet worden, nicht Alles ſelbſt thun, was
gethan werden muß. Indem ich dies ausſpreche, ſchließe ich jeden
Vorwurf aus, der für Sie in Vorſtehendem gefunden werden könnte.
Ich erkenne vielmehr gern und wiederholt an, daß Ihre amtlichen
Helfer Ihnen und Ihren Zielen nicht die entſprechende Unterſtützung
gewähren. Und wenn ich von der Reform der conſervativen Partei
ſprach, ſo erkenne ich an, daß dieſe Aufgabe zunächſt die des
Miniſters des Innern ſein ſollte. Aber beſitzt Graf E. das zu der
Löſung derſelben unentbehrliche Vertrauen? (und Pflichtgefühl!) 1)
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