Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.Vierundzwanzigstes Kapitel: Culturkampf. gelten nur bis auf Weitres; die politischen Beziehungen zwischenunabhängigen Mächten bilden sich in ununterbrochnem Flusse, ent¬ weder durch Kampf oder durch die Abneigung der einen oder der andern Seite vor Erneuerung des Kampfes. Eine Versuchung zur Erneuerung des Streites in Deutschland wird für die Curie stets in der Entzündlichkeit der Polen, in der Herrschsucht des dortigen Adels und in dem durch die Priester genährten Aberglauben der untern Volksschichten liegen. Ich habe im Kissinger Lande deutsche und schulgebildete Bauern gefunden, die fest daran glaubten, daß der am Sterbebette im sündigen Fleische stehende Priester den Sterbenden durch Verweigerung oder Gewährung der Absolution direct in die Hölle oder den Himmel schicken könne, man ihn also auch politisch zum Freunde haben müsse. In Polen wird es mindestens ebenso sein oder schlimmer, weil dem ungebildeten Manne eingeredet ist, daß deutsch und lutherisch ebenso wie pol¬ nisch und katholisch identische Begriffe seien. Ein ewiger Friede mit der römischen Curie liegt nach den gegebenen Lebensbedingungen ebenso außerhalb der Möglichkeit, wie ein solcher zwischen Frank¬ reich und dessen Nachbarn. Wenn das menschliche Leben überhaupt aus einer Reihe von Kämpfen besteht, so trifft das vor Allem bei den gegenseitigen Beziehungen unabhängiger politischer Mächte zu, für deren Regelung ein berufenes und vollzugsfähiges Gericht nicht vorhanden ist. Die römische Curie aber ist eine unabhängige poli¬ tische Macht, zu deren unabänderlichen Eigenschaften derselbe Trieb zum Umsichgreifen gehört, der unsern französischen Nachbarn inne¬ wohnt. Für den Protestantismus bleibt ihr das durch kein Con¬ cordat zu beruhigende aggressive Streben des Proselytismus und der Herrschsucht; sie duldet keine Götter neben ihr. Vierundzwanzigſtes Kapitel: Culturkampf. gelten nur bis auf Weitres; die politiſchen Beziehungen zwiſchenunabhängigen Mächten bilden ſich in ununterbrochnem Fluſſe, ent¬ weder durch Kampf oder durch die Abneigung der einen oder der andern Seite vor Erneuerung des Kampfes. Eine Verſuchung zur Erneuerung des Streites in Deutſchland wird für die Curie ſtets in der Entzündlichkeit der Polen, in der Herrſchſucht des dortigen Adels und in dem durch die Prieſter genährten Aberglauben der untern Volksſchichten liegen. Ich habe im Kiſſinger Lande deutſche und ſchulgebildete Bauern gefunden, die feſt daran glaubten, daß der am Sterbebette im ſündigen Fleiſche ſtehende Prieſter den Sterbenden durch Verweigerung oder Gewährung der Abſolution direct in die Hölle oder den Himmel ſchicken könne, man ihn alſo auch politiſch zum Freunde haben müſſe. In Polen wird es mindeſtens ebenſo ſein oder ſchlimmer, weil dem ungebildeten Manne eingeredet iſt, daß deutſch und lutheriſch ebenſo wie pol¬ niſch und katholiſch identiſche Begriffe ſeien. Ein ewiger Friede mit der römiſchen Curie liegt nach den gegebenen Lebensbedingungen ebenſo außerhalb der Möglichkeit, wie ein ſolcher zwiſchen Frank¬ reich und deſſen Nachbarn. Wenn das menſchliche Leben überhaupt aus einer Reihe von Kämpfen beſteht, ſo trifft das vor Allem bei den gegenſeitigen Beziehungen unabhängiger politiſcher Mächte zu, für deren Regelung ein berufenes und vollzugsfähiges Gericht nicht vorhanden iſt. Die römiſche Curie aber iſt eine unabhängige poli¬ tiſche Macht, zu deren unabänderlichen Eigenſchaften derſelbe Trieb zum Umſichgreifen gehört, der unſern franzöſiſchen Nachbarn inne¬ wohnt. Für den Proteſtantismus bleibt ihr das durch kein Con¬ cordat zu beruhigende aggreſſive Streben des Proſelytismus und der Herrſchſucht; ſie duldet keine Götter neben ihr. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0160" n="136"/><fw place="top" type="header">Vierundzwanzigſtes Kapitel: Culturkampf.<lb/></fw>gelten nur bis auf Weitres; die politiſchen Beziehungen zwiſchen<lb/> unabhängigen Mächten bilden ſich in ununterbrochnem Fluſſe, ent¬<lb/> weder durch Kampf oder durch die Abneigung der einen oder der<lb/> andern Seite vor Erneuerung des Kampfes. Eine Verſuchung zur<lb/> Erneuerung des Streites in Deutſchland wird für die Curie ſtets<lb/> in der Entzündlichkeit der Polen, in der Herrſchſucht des dortigen<lb/> Adels und in dem durch die Prieſter genährten Aberglauben der<lb/> untern Volksſchichten liegen. 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Vierundzwanzigſtes Kapitel: Culturkampf.
gelten nur bis auf Weitres; die politiſchen Beziehungen zwiſchen
unabhängigen Mächten bilden ſich in ununterbrochnem Fluſſe, ent¬
weder durch Kampf oder durch die Abneigung der einen oder der
andern Seite vor Erneuerung des Kampfes. Eine Verſuchung zur
Erneuerung des Streites in Deutſchland wird für die Curie ſtets
in der Entzündlichkeit der Polen, in der Herrſchſucht des dortigen
Adels und in dem durch die Prieſter genährten Aberglauben der
untern Volksſchichten liegen. Ich habe im Kiſſinger Lande deutſche
und ſchulgebildete Bauern gefunden, die feſt daran glaubten, daß
der am Sterbebette im ſündigen Fleiſche ſtehende Prieſter den
Sterbenden durch Verweigerung oder Gewährung der Abſolution
direct in die Hölle oder den Himmel ſchicken könne, man ihn alſo
auch politiſch zum Freunde haben müſſe. In Polen wird es
mindeſtens ebenſo ſein oder ſchlimmer, weil dem ungebildeten
Manne eingeredet iſt, daß deutſch und lutheriſch ebenſo wie pol¬
niſch und katholiſch identiſche Begriffe ſeien. Ein ewiger Friede
mit der römiſchen Curie liegt nach den gegebenen Lebensbedingungen
ebenſo außerhalb der Möglichkeit, wie ein ſolcher zwiſchen Frank¬
reich und deſſen Nachbarn. Wenn das menſchliche Leben überhaupt
aus einer Reihe von Kämpfen beſteht, ſo trifft das vor Allem bei
den gegenſeitigen Beziehungen unabhängiger politiſcher Mächte zu,
für deren Regelung ein berufenes und vollzugsfähiges Gericht nicht
vorhanden iſt. Die römiſche Curie aber iſt eine unabhängige poli¬
tiſche Macht, zu deren unabänderlichen Eigenſchaften derſelbe Trieb
zum Umſichgreifen gehört, der unſern franzöſiſchen Nachbarn inne¬
wohnt. Für den Proteſtantismus bleibt ihr das durch kein Con¬
cordat zu beruhigende aggreſſive Streben des Proſelytismus und
der Herrſchſucht; ſie duldet keine Götter neben ihr.
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