die von mir ausgingen, zu unterstützen. Die aus der Situ¬ ation hervorgehenden Kämpfe wiederholten sich, allmälig schwerer werdend.
Es bedurfte noch jahrelanger Arbeit, um ohne neue Cabinets¬ krisen an die Revision der Maigesetze gehn zu können, für deren Vertretung in parlamentarischen Kämpfen nach der Desertion der freisinnigen Partei in das ultramontane Oppositionslager die Majo¬ rität fehlte. Ich war zufrieden, wenn es gelang, dem Polonismus gegenüber die im Culturkampf gewonnenen Beziehungen der Schule zum Staate und die eingetretene Aenderung der einschlagenden Ver¬ fassungsartikel als definitive Errungenschaften festzuhalten. Beide sind in meinen Augen werthvoller als die maigesetzlichen Verbote geist¬ licher Thätigkeit und der juristische Fangapparat für widerstrebende Priester, und als einen wichtigen Gewinn durfte ich schon die Be¬ seitigung der katholischen Abtheilung und ihrer staatsgefährlichen Thätigkeit in Schlesien, Posen und Preußen betrachten. Nachdem die Freisinnigen den von ihnen mehr wie von mir betriebenen "Culturkampf", dessen Vorkämpfer Virchow und Genossen gewesen waren, nicht nur aufgegeben hatten, sondern im Parlament wie in den Wahlen das Centrum unterstützten, war letzterm gegenüber die Regirung in der Minorität. Der aus Centrum, Fortschritt, Socialdemokraten, Polen, Elsässern, Welfen bestehenden compacten Mehrheit gegenüber war die Politik Falks im Reichstage ohne Aussicht. Ich hielt um so mehr für angezeigt, den Frieden an¬ zubahnen, wenn die Schule gedeckt, die Verfassung von den auf¬ gehobenen Artikeln und der Staat von der katholischen Abtheilung befreit blieb.
Nachdem ich den Kaiser schließlich gewonnen hatte, war bei Ab¬ schätzung des Festzuhaltenden und des Aufzugebenden die neue Stellung der Fortschrittspartei und der Secessionisten ein entschei¬ dendes Moment; anstatt die Regirung zu unterstützen, schlossen sie bei Wahlen und Abstimmungen Bündnisse mit dem Centrum und hatten Hoffnungen gefaßt, die in dem sog. Ministerium Gladstone
Vierundzwanzigſtes Kapitel: Culturkampf.
die von mir ausgingen, zu unterſtützen. Die aus der Situ¬ ation hervorgehenden Kämpfe wiederholten ſich, allmälig ſchwerer werdend.
Es bedurfte noch jahrelanger Arbeit, um ohne neue Cabinets¬ kriſen an die Reviſion der Maigeſetze gehn zu können, für deren Vertretung in parlamentariſchen Kämpfen nach der Deſertion der freiſinnigen Partei in das ultramontane Oppoſitionslager die Majo¬ rität fehlte. Ich war zufrieden, wenn es gelang, dem Polonismus gegenüber die im Culturkampf gewonnenen Beziehungen der Schule zum Staate und die eingetretene Aenderung der einſchlagenden Ver¬ faſſungsartikel als definitive Errungenſchaften feſtzuhalten. Beide ſind in meinen Augen werthvoller als die maigeſetzlichen Verbote geiſt¬ licher Thätigkeit und der juriſtiſche Fangapparat für widerſtrebende Prieſter, und als einen wichtigen Gewinn durfte ich ſchon die Be¬ ſeitigung der katholiſchen Abtheilung und ihrer ſtaatsgefährlichen Thätigkeit in Schleſien, Poſen und Preußen betrachten. Nachdem die Freiſinnigen den von ihnen mehr wie von mir betriebenen „Culturkampf“, deſſen Vorkämpfer Virchow und Genoſſen geweſen waren, nicht nur aufgegeben hatten, ſondern im Parlament wie in den Wahlen das Centrum unterſtützten, war letzterm gegenüber die Regirung in der Minorität. Der aus Centrum, Fortſchritt, Socialdemokraten, Polen, Elſäſſern, Welfen beſtehenden compacten Mehrheit gegenüber war die Politik Falks im Reichstage ohne Ausſicht. Ich hielt um ſo mehr für angezeigt, den Frieden an¬ zubahnen, wenn die Schule gedeckt, die Verfaſſung von den auf¬ gehobenen Artikeln und der Staat von der katholiſchen Abtheilung befreit blieb.
Nachdem ich den Kaiſer ſchließlich gewonnen hatte, war bei Ab¬ ſchätzung des Feſtzuhaltenden und des Aufzugebenden die neue Stellung der Fortſchrittspartei und der Seceſſioniſten ein entſchei¬ dendes Moment; anſtatt die Regirung zu unterſtützen, ſchloſſen ſie bei Wahlen und Abſtimmungen Bündniſſe mit dem Centrum und hatten Hoffnungen gefaßt, die in dem ſog. Miniſterium Gladſtone
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Vierundzwanzigſtes Kapitel: Culturkampf.
die von mir ausgingen, zu unterſtützen. Die aus der Situ¬
ation hervorgehenden Kämpfe wiederholten ſich, allmälig ſchwerer
werdend.
Es bedurfte noch jahrelanger Arbeit, um ohne neue Cabinets¬
kriſen an die Reviſion der Maigeſetze gehn zu können, für deren
Vertretung in parlamentariſchen Kämpfen nach der Deſertion der
freiſinnigen Partei in das ultramontane Oppoſitionslager die Majo¬
rität fehlte. Ich war zufrieden, wenn es gelang, dem Polonismus
gegenüber die im Culturkampf gewonnenen Beziehungen der Schule
zum Staate und die eingetretene Aenderung der einſchlagenden Ver¬
faſſungsartikel als definitive Errungenſchaften feſtzuhalten. Beide ſind
in meinen Augen werthvoller als die maigeſetzlichen Verbote geiſt¬
licher Thätigkeit und der juriſtiſche Fangapparat für widerſtrebende
Prieſter, und als einen wichtigen Gewinn durfte ich ſchon die Be¬
ſeitigung der katholiſchen Abtheilung und ihrer ſtaatsgefährlichen
Thätigkeit in Schleſien, Poſen und Preußen betrachten. Nachdem
die Freiſinnigen den von ihnen mehr wie von mir betriebenen
„Culturkampf“, deſſen Vorkämpfer Virchow und Genoſſen geweſen
waren, nicht nur aufgegeben hatten, ſondern im Parlament wie in
den Wahlen das Centrum unterſtützten, war letzterm gegenüber
die Regirung in der Minorität. Der aus Centrum, Fortſchritt,
Socialdemokraten, Polen, Elſäſſern, Welfen beſtehenden compacten
Mehrheit gegenüber war die Politik Falks im Reichstage ohne
Ausſicht. Ich hielt um ſo mehr für angezeigt, den Frieden an¬
zubahnen, wenn die Schule gedeckt, die Verfaſſung von den auf¬
gehobenen Artikeln und der Staat von der katholiſchen Abtheilung
befreit blieb.
Nachdem ich den Kaiſer ſchließlich gewonnen hatte, war bei Ab¬
ſchätzung des Feſtzuhaltenden und des Aufzugebenden die neue
Stellung der Fortſchrittspartei und der Seceſſioniſten ein entſchei¬
dendes Moment; anſtatt die Regirung zu unterſtützen, ſchloſſen ſie
bei Wahlen und Abſtimmungen Bündniſſe mit dem Centrum und
hatten Hoffnungen gefaßt, die in dem ſog. Miniſterium Gladſtone
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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/158>, abgerufen am 17.07.2024.
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