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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Entbehrliches und Unentbehrliches der Maigesetze. Puttkamer.
entgegenkommen konnten, hatte ich mich also mit meinen Collegen
zu verständigen. Der Widerstand der Gesammtheit der im Kampfe
betheiligt gewesenen Ministerialräthe war dabei nachhaltiger als
der meiner unmittelbaren Collegen, zunächst des Nachfolgers Falks,
als welchen ich dem Könige Herrn v. Puttkamer vorschlug. Aber auch
nach diesem Personenwechsel konnte es mir nicht sobald gelingen, die
Kirchenpolitik zu ändern, wenn ich nicht neue, dem Könige unwill¬
kommne und mir unerwünschte Cabinetskrisen herbeiführen wollte.
Die Erinnerungen an die Zeiten der Anwerbung neuer Collegen
gehören zu den unerquicklichsten meiner amtlichen Laufbahn. Um
mich mit Herrn v. Puttkamer zu einigen, hätte ich die Unterstützung
der culturkampfgewöhnten Räthe seines Ministeriums gewinnen
müssen, und das überstieg meine Kräfte. Die Erklärung der Falk¬
schen Kirchenpolitik ist nicht ausschließlich auf dem Gebiete des
katholischen Kirchenstreits zu suchen; sie wurde gelegentlich auch
durch die evangelische Kirchenfrage gekreuzt und beeinflußt. In
dieser stand Herr von Puttkamer den am Hofe wirksamen Auf¬
fassungen näher als Falk, und mein Wunsch, den Kampf mit Rom
auf ein engeres Gebiet einzuschränken, hätte bei meinem neuen
Collegen persönlich wohl keinen Widerstand gefunden. Die Hemm¬
nisse lagen aber theils in dem Schwergewicht der vom Zorne des
Culturkampfs erregten Räthe, denen Herr von Puttkamer auch
die natürliche und herkömmliche Entwicklung unsrer Orthographie
zum Opfer zu bringen sich genöthigt glaubte, theils in dem Wider¬
streben meiner übrigen Collegen gegen jeden Anschein von Nach¬
giebigkeit dem Papste gegenüber.

Meine ersten Versuche zur Anbahnung des kirchlichen Friedens
fanden auch bei Sr. Majestät keinen Anklang. Der Einfluß der
höchsten evangelischen Geistlichkeit war damals stärker als der
katholisirende der Kaiserin und letztre vom Centrum her ohne
Anregung, weil dort die Anfänge des Einlenkens ungenügend
befunden wurden, und es auch dort wie am Hofe immer noch
wichtiger schien, mich zu bekämpfen, als versöhnliche Bestrebungen,

Entbehrliches und Unentbehrliches der Maigeſetze. Puttkamer.
entgegenkommen konnten, hatte ich mich alſo mit meinen Collegen
zu verſtändigen. Der Widerſtand der Geſammtheit der im Kampfe
betheiligt geweſenen Miniſterialräthe war dabei nachhaltiger als
der meiner unmittelbaren Collegen, zunächſt des Nachfolgers Falks,
als welchen ich dem Könige Herrn v. Puttkamer vorſchlug. Aber auch
nach dieſem Perſonenwechſel konnte es mir nicht ſobald gelingen, die
Kirchenpolitik zu ändern, wenn ich nicht neue, dem Könige unwill¬
kommne und mir unerwünſchte Cabinetskriſen herbeiführen wollte.
Die Erinnerungen an die Zeiten der Anwerbung neuer Collegen
gehören zu den unerquicklichſten meiner amtlichen Laufbahn. Um
mich mit Herrn v. Puttkamer zu einigen, hätte ich die Unterſtützung
der culturkampfgewöhnten Räthe ſeines Miniſteriums gewinnen
müſſen, und das überſtieg meine Kräfte. Die Erklärung der Falk¬
ſchen Kirchenpolitik iſt nicht ausſchließlich auf dem Gebiete des
katholiſchen Kirchenſtreits zu ſuchen; ſie wurde gelegentlich auch
durch die evangeliſche Kirchenfrage gekreuzt und beeinflußt. In
dieſer ſtand Herr von Puttkamer den am Hofe wirkſamen Auf¬
faſſungen näher als Falk, und mein Wunſch, den Kampf mit Rom
auf ein engeres Gebiet einzuſchränken, hätte bei meinem neuen
Collegen perſönlich wohl keinen Widerſtand gefunden. Die Hemm¬
niſſe lagen aber theils in dem Schwergewicht der vom Zorne des
Culturkampfs erregten Räthe, denen Herr von Puttkamer auch
die natürliche und herkömmliche Entwicklung unſrer Orthographie
zum Opfer zu bringen ſich genöthigt glaubte, theils in dem Wider¬
ſtreben meiner übrigen Collegen gegen jeden Anſchein von Nach¬
giebigkeit dem Papſte gegenüber.

Meine erſten Verſuche zur Anbahnung des kirchlichen Friedens
fanden auch bei Sr. Majeſtät keinen Anklang. Der Einfluß der
höchſten evangeliſchen Geiſtlichkeit war damals ſtärker als der
katholiſirende der Kaiſerin und letztre vom Centrum her ohne
Anregung, weil dort die Anfänge des Einlenkens ungenügend
befunden wurden, und es auch dort wie am Hofe immer noch
wichtiger ſchien, mich zu bekämpfen, als verſöhnliche Beſtrebungen,

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[133/0157] Entbehrliches und Unentbehrliches der Maigeſetze. Puttkamer. entgegenkommen konnten, hatte ich mich alſo mit meinen Collegen zu verſtändigen. Der Widerſtand der Geſammtheit der im Kampfe betheiligt geweſenen Miniſterialräthe war dabei nachhaltiger als der meiner unmittelbaren Collegen, zunächſt des Nachfolgers Falks, als welchen ich dem Könige Herrn v. Puttkamer vorſchlug. Aber auch nach dieſem Perſonenwechſel konnte es mir nicht ſobald gelingen, die Kirchenpolitik zu ändern, wenn ich nicht neue, dem Könige unwill¬ kommne und mir unerwünſchte Cabinetskriſen herbeiführen wollte. Die Erinnerungen an die Zeiten der Anwerbung neuer Collegen gehören zu den unerquicklichſten meiner amtlichen Laufbahn. Um mich mit Herrn v. Puttkamer zu einigen, hätte ich die Unterſtützung der culturkampfgewöhnten Räthe ſeines Miniſteriums gewinnen müſſen, und das überſtieg meine Kräfte. Die Erklärung der Falk¬ ſchen Kirchenpolitik iſt nicht ausſchließlich auf dem Gebiete des katholiſchen Kirchenſtreits zu ſuchen; ſie wurde gelegentlich auch durch die evangeliſche Kirchenfrage gekreuzt und beeinflußt. In dieſer ſtand Herr von Puttkamer den am Hofe wirkſamen Auf¬ faſſungen näher als Falk, und mein Wunſch, den Kampf mit Rom auf ein engeres Gebiet einzuſchränken, hätte bei meinem neuen Collegen perſönlich wohl keinen Widerſtand gefunden. Die Hemm¬ niſſe lagen aber theils in dem Schwergewicht der vom Zorne des Culturkampfs erregten Räthe, denen Herr von Puttkamer auch die natürliche und herkömmliche Entwicklung unſrer Orthographie zum Opfer zu bringen ſich genöthigt glaubte, theils in dem Wider¬ ſtreben meiner übrigen Collegen gegen jeden Anſchein von Nach¬ giebigkeit dem Papſte gegenüber. Meine erſten Verſuche zur Anbahnung des kirchlichen Friedens fanden auch bei Sr. Majeſtät keinen Anklang. Der Einfluß der höchſten evangeliſchen Geiſtlichkeit war damals ſtärker als der katholiſirende der Kaiſerin und letztre vom Centrum her ohne Anregung, weil dort die Anfänge des Einlenkens ungenügend befunden wurden, und es auch dort wie am Hofe immer noch wichtiger ſchien, mich zu bekämpfen, als verſöhnliche Beſtrebungen,

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/157>, abgerufen am 23.11.2024.